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Unter falscher Flagge: Der "Monitor"-Beitrag vom 17. Juni zeigt auch Edith Lutz. Gerade als Jüdin will sie den Menschen in Gaza helfen. Nur ist sie keine Jüdin.

© Tsp

Falsche Zeugen der Anklage: Von Heine nach Gaza

Schön, wenn in den Medien deutsche Juden Israel kritisieren. Dumm gelaufen, wenn sie keine Juden sind, wie unlängst im ARD-Magazin "Monitor". Henryk M. Broder über eine Sache, die so koscher ist wie eine Portion Kassler.

Am 17. Juni brachte das ARD-Magazin „Monitor“ einen Beitrag über eine geplante Hilfsaktion für die Not leidenden Menschen in Gaza. Dort, so die Moderatorin Sonia Mikich, müssten „1,5 Millionen Menschen in einem abgeriegelten Homeland“ leben. Nun aber würden bald „die nächsten Helfer … übers Meer kommen – und es sind Juden aus Deutschland“.

Stellvertretend für die „Juden aus Deutschland“ wurde eine ältere weißhaarige Frau gezeigt, die in einem sehr rheinischen Tonfall sagte, die Aktion sei „ein Signal“, dass es Juden gebe, die an die Menschen in Gaza denken und anderen zeigen möchten, „dass sie mit der Politik Israels nicht einverstanden sind“. In der nächsten Einstellung wurde gezeigt, wie die „deutsche Jüdin“ Edith Lutz Spenden einpackt, die per Schiff nach Gaza gebracht werden sollen; nachdem „sich Juden aus der ganzen Welt bei ihr gemeldet“ hätten, seien „aus einem Schiff jetzt drei geworden“.

Dann wurde ein Völkerrechtler von der Humboldt-Uni Berlin befragt und der schwedische Außenminister Carl Bildt mit dem Satz zitiert, Israels Politik würde vor allem die Hamas stärken. Am Ende des etwa sieben Minuten langen Beitrags ging es wieder zurück in die Eifel, in das Haus von Edith Lutz. Ihr letztes Statement wurde mit diesen Sätzen anmoderiert: „Die promovierte Judaistin durchbrach bereits vor zwei Jahren mit einem Schiff die Blockade und schaffte es bis nach Gaza. Die Bundesregierung, sagt sie, soll Israel härtere Bedingungen stellen.“

Frau Lutz war also nicht nur „deutsche Jüdin“, sondern auch Judaistin, eine Fachfrau fürs angewandte Judentum. Mehr Kompetenz, Israel zu kritisieren, konnte es nicht geben. Ich war beeindruckt, aber nicht überzeugt. Irgendwas störte mich, es roch nach Felicitas Krull. Der manische Blick, der missionarische Tonfall. Andererseits: Auch bei Juden ist jeder Jeck anders.

Ich fragte bei den beiden jüdischen Gemeinden in Köln nach, niemand dort hatte je etwas von einer Frau Edith Lutz gehört. Mit Googles Hilfe fand ich den Hinweis auf ein nicht mehr lieferbares Buch, das sie geschrieben hatte (über Heinrich Heine und den „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“) und einen Artikel in der „Rheinischen Post“, in dem Frau Lutz als „eine Powerfrau“ vorgestellt wurde: „Vier Kinder, drei Studienabschlüsse, eine Promotion. Nun kämpft die gebürtige Leverkusenerin für den Frieden in Gaza.“ Nicht schlecht, dachte ich, von Heine nach Gaza, manche kommen in ihrem Leben nicht mal von Bacharach nach Königswinter.

Ich legte die Geschichte zur Seite. Bis mir ein Artikel aus der „taz“ in die Hand fiel („Ärger schaffen ohne Waffen“), in dem es ebenfalls um die „deutsche Jüdin“ Edith Lutz ging, die ein „Hilfsschiff“ für Gaza organisierte, „auf dem nur jüdische Aktivisten mitreisen“ sollten.

Die „taz“-Reporterin traf sich mit Frau Lutz im Garten ihres Hauses in „Sötenich, einem blank geputzten Dorf in der Nordeifel“ zu einem Kaffeeplausch. Dabei durfte sie auch einen Blick in ein „Nebengebäude“ werfen. „In der staubigen, spinnwebverhangenen Kammer lagert ein Teil der Hilfsgüter für Gaza, Spenden von Schülern aus Deutschland. 80 bunte Schulranzen, Kinderrucksäcke und Turnbeutel, der Turm reicht fast bis unter die Decke.“ Der Artikel in der „taz“ erschien am 12. Juli, also vier Wochen nach dem Bericht in „Monitor“, der mit den Worten endete: „Mitte Juli wollen sie in See stechen.“ Doch anstatt, wie angekündigt, auf hoher See zu schaukeln, saß Frau Lutz im Garten ihres Hauses in Sötenich und zeigte einer aus Berlin angereisten Journalistin, was sie alles gehortet hatte, darunter eine Plüschmaus, einen Ringelpulli und ein deutsches Kinderbuch, lauter Dinge, die von den Kindern in Gaza schon sehnsüchtig erwartet wurden.

Da kann doch was nicht stimmen, dachte ich, die Sache ist so koscher wie eine Portion Kassler. Und fragte am 21. Juli bei „Monitor“ in Köln an, woher man dort wisse, dass Frau Lutz eine Jüdin ist. Die Antwort kam umgehend, noch am selben Tag. Frau Lutz habe, hieß es in der Mail, erklärt, „sie sei vor vielen Jahren zum Judentum konvertiert, gehöre keiner Gemeinde und keiner speziellen Strömung an, sei im Zweifel sicher liberal und habe außerdem Judaistik studiert“. Zudem habe auch „Herr Prof. Verleger aus Lübeck“ bestätigt, „dass Frau Lutz Jüdin ist“. Prof. Dr. Rolf Verleger ist von Beruf Psychiater, er hat eine Weile den Landesverband der jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein im Direktorium des Zentralrates der Juden vertreten. Für Konversionen war er nie zuständig.

Ich fand die Antwort unbefriedigend. Man möge, schrieb ich an „Monitor“, bei Frau Lutz selbst nachfragen, wann und bei welchem Rabbiner sie konvertiert sei und welches rabbinische Gericht die Konversion bestätigt habe, alles übrige sei Mumpitz. Worauf mir umgehend mitgeteilt wurde, man nehme bei „Monitor“ meinen „Einwand ernst“ und werde „ihn prüfen“, schon „im eigenen Interesse“: „Vom Ergebnis unserer Recherchen werden wir Sie und gegebenenfalls auch unsere Zuschauer informieren.“ Dann trat Funkstille ein. Bis ich am 30. August wieder eine Mail bekam, diesmal von „Monitor“-Chefin Sonia Mikich persönlich. Sie zeigte sich über „Ton und Drängen“ meiner Anfragen „reichlich verwundert“. Frau Lutz habe sich „uns gegenüber bei den Dreharbeiten als Jüdin vorgestellt“, bei weiteren Nachfragen habe sie „auf ihrer Privatsphäre insistiert, das gilt bis zum heutigen Tag“. Man wolle bei „Monitor“ keine „Glaubensschnüffelei betreiben“. Und: „Uns Unredlichkeit bei der Recherche zu unterstellen, finde ich, ehrlich gesagt, etwas seltsam.“ Ich kontaktierte Prof. Dr. Rolf Verleger in Lübeck. Er habe, teilte er mir per Mail mit, „keinen ersichtlichen Grund“ gehabt, „daran zu zweifeln“, dass Frau Lutz „jüdischen Glaubens“ sei. „Daher sagte ich auch der Journalistin von ,Monitor’ am Telefon, meiner Kenntnis nach sei Frau Dr. Lutz Jüdin. Den Verdacht, sie sei nur in ihrem Herzen, aber niemals formal zum Judentum übergetreten, äußerte ich gegenüber Frau Lutz aufgrund weiterer Nachfragen der Journalistin am 22. 8.10. Frau Lutz’ Antwort räumte diesen Verdacht nicht aus. Das ist der Stand der Dinge…“

Inzwischen ist Frau Edith Lutz tatsächlich übers Meer gesegelt, mit einem Katamaran und weiteren neun „Aktivisten“ an Bord. Als der Törn aufgrund einer Intervention der israelischen Marine in Ashdot statt in Gaza endete, wurden an Bord der „Irene“ drei Rucksäcke mit Kinderspielzeug gefunden. Alles übrige ruht noch immer in der „staubigen, spinnwebverhangenen Kammer“ in Frau Lutz’ Anwesen in Sötenich in der Eifel. Sie selbst ist nach einem kurzen Aufenthalt in israelischer Abschiebehaft wieder daheim in Sötenich eingetroffen und hat auf einer einschlägig bekannten Homepage bekannt gegeben, unter welchen Bedingungen sie für Interviews zur Verfügung steht.

Wahrscheinlich wartet sie auf einen neuen Anruf von „Monitor“.

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