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Fernsehen: Im Namen des Herrn

Thesen für ein öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm - das IHM und denen auf Erden ein Wohlgefallen sein würde.

Gott sieht von oben herab nicht nur uns alle, sondern auch alles, was auf Erden erst künftig zu sehen sein wird. ER hatte deshalb den Zweiteiler „Der Knabe im lockigen Haar“, Weihnachts-Mega-Event auf einem der üblichen verdächtigen Privatsender bereits gesehen. Obwohl ER meist gnädig verzeiht, was Menschen in seinem Namen anrichten, war das, was er sah, bei aller ihm eigenen Güte zu viel: Veronica Ferres als Mutter Maria, Johannes Heesters als Joseph, Dirk Bach als Jesuskind, Hella von Sinnen, Roberto Blanco und Mario Barth als Hirten auf dem Felde, friedlich einen Joint rauchend, bis plötzlich Eva Herman als Engel des Herrn erschien, zu ihnen trat und sprach: Fürchtet euch nicht – woraufhin alle Schafe die Flucht ergriffen. Als Krönung sang Howard Carpendale im Stall „Hello Again“.

ER rief alle Erzengel zu sich, die sich niederließen zu seiner Linken und zu seiner Rechten, und fragte sie, wer vom fliegenden Fußvolk trotz Weihnachtsstress bereit sei, um aus aktuellem Anlass noch eine Botschaft auszutragen.

„Kommt drauf an, Herr“, antwortete Rafael, „sollen alle Sender angeflogen werden oder nur bestimmte Funkhäuser? Die meisten sind einen Tag vor Heiligabend längst geschlossene Anstalten.“

Gott, der sich bei „Expand Your Brand“-Konferenzen zur Verbreitung des Glaubens von allen Erzengeln duzen ließ, dachte nicht lange nach. Jeder Gedanke war bei ihm von Natur aus eine spontane göttliche Eingebung. „Nein“, sagte ER, „die von RTLSUPERSATPROVOX hören schon lange nicht mehr auf mein Wort. Mit ein paar Thesen können allenfalls die Öffentlich-Rechtlichen erreicht werden. Apropos Thesen, Luther soll kommen, dem fällt immer was ein.“

Martin Luther landete innerhalb von Sekunden, klappte sein Notebook auf und las vor: „Also, da hätten wir Bou..., Bou..., Boudgoust oder so ähnlich vom SWR und die Frau vom ,Presseclub‘, die außerdem Intendantin des WDR ist, und dann den aus Saarbrücken, habe versehentlich den Namen gelöscht …“

„… von denen habe ich bisher noch nie Wesentliches gehört“, unterbrach ihn der Herr, „setz sie auf die Warteliste für Weihnachten 2009. Dem Markus Schächter vom ZDF will ich schreiben und ein paar anderen, die christliche Taufnamen haben wie Thomas oder Nikolaus, zum Beispiel Gruber, Baumann, Schreiber, Bellut oder dem aufrechten Brender.“ Verblüfft über Gottes Kenntnisse der Hierarchien in Anstalten, schwiegen die Erzengel. Michael fasste sich als Erster: „Wir wäre es mit einem Abschiedswort für Struve? Der hört doch bald auf …“

„Um Gottes willen“, unterbrach ihn Gabriel und machte eine entschuldigende Geste, als ihm bewusst wurde, dass der bereits über ihm thronte, „wollte dir nicht vorgreifen, Herr.“ ER nickte nur gnädig und bedeutete ihm, weiterzureden.

„Der Günter Struve“, nahm Gabriel seinen Faden wieder auf, „der ist doch verantwortlich für alles, was dir, oh Herr, schon seit Jahren auf den Heiligen Geist geht. Die Quoren …“

„Du meinst Quoten“, verbesserte ihn Martin Luther, der hier oben wegen seiner Lateinkenntnisse einen Ruf genoss wie diesbezüglich auf Erden nur Thomas Gottschalk und Roger Willemsen, „Quoren bedeutet die Anzahl von Menschen, die sich an einer Abstimmung beteiligen, also die GfK …“

„… und das Ergebnis davon sind Quoten“, schnappte Gabriel zurück, „ob du nun Quoren-Struve sagst oder Quoten-Günter, ist letztlich egal. Jedenfalls ist er schon lange fällig. Er hat als oberster Programmchef alle möglichen Jodler von der Alm in die ARD-Stadl getrieben, und er hat die Politmagazine gekürzt und die Kultur in die Nacht verbannt und …“

„Dafür lassen wir ihn dann auf seinem Alterssitz in Los Angeles büßen“, mischte sich Rafael wieder ein, „ist für uns ein Heimspiel. Da werden wir ihn so lange mit A-capella-Schalmeien und Alphörnern und mit Schleichwerbejingles zudecken, bis er alle seine Sünden bereut.“

Martin Luther, der im Himmel nichts von seiner Erdhaftigkeit eingebüßt hatte, platzte dazwischen. „Euer elitäres Geschwätz ödet mich an“, begann er, doch dann fiel ihm ein, wo er war, „ich wollte sagen, meine geschätzten androgynen Brüder und Schwestern, ich weiß, dass ihr lieber Themenabende auf Arte anschaut und die schönen Klugen von 3sat-Kulturzeit und das ,Philosophische Quartett‘ und das ,Wort zum Sonntag‘ und ,Nah dran‘ und alles auf Phoenix, aber Fakt ist: Wir reden zum gemeinen Volk, und das will nun mal in Serie unterhalten werden oder mit Kerner kochen. Wetten, dass? Meint ihr etwa, die himmlischen Heerscharen schauen nicht heimlich ,Wer wird Millionär‘? Oder ,Raus aus den Schulden‘ oder ,Gute Zeiten, Schlechte Zeiten‘ oder ,Verbotene Liebe‘ oder gar“ – er schüttelte sich kurz – „Achim Mentzels Lübbenauer Gurken-Schänke oder Schunkeln im Advent mit Florian Silbereisen und Carmen Nebel …“

„Gott soll schützen“, antwortete Gabriel spitz, und diesmal blickte er nicht erst auf zu IHM. „Man merkt immer wieder, Bruder Martin, dass du aus Sachsen stammst, wo man von jeher am liebsten Volkes Stimme lauscht, damals der deinen in Wittenberg, heute den Stimmungskanonen vom Mitteldeutschen Rundfunk. Wir haben übrigens vom Sender aus Leipzig eine Anfrage von Karsten Weiß, ob wir noch mal ein paar Künstler, die bei uns schon lange im Chor singen, wieder runterschicken können“, und wandte sich dabei fragend Gott zu, „oder wollen wir die dritten Programme alle rauslassen aus deiner Epistel?“

Gott hatte offenbar nicht zugehört. Denn ER murmelte vor sich hin: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde, und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit …“

„Klingt gut. Soll ich mitschreiben?“, fragte Luther und speicherte unter „Gottes Wort“ eine Datei auf seinem PC.

ER winkte ab. „Das war ein alter Text, wir brauchen was Neues.“ Erzengel Kamael, der wie Michael ein Schwert an seiner Seite trug, unter seines Gleichen „Der Gestrenge Gottes“ genannt, hatte die ganze Zeit geschwiegen. Jetzt erhob er seine Stimme. „Ich habe mir mal notiert, was unbedingt in einer Botschaft stehen müsste. Klartext. Darf ich vorlesen ?“

ER nickte. Die anderen seufzten.

Kamael wies kurz darauf hin, dass er diesen Text in Gottes Namen, deshalb in der Ichform verfasst habe, und dann begann er, wobei er, während er sprach, im Schwebezustand verharrte, ohne die Flügel zu bewegen (das können übrigens alle Engel). „In tiefer Sorge um das Wohl der uns anvertrauten Menschen fordere ich die Verantwortlichen bei ARD und ZDF auf: Nicht sollt ihr euch fürderhin orientieren am Erfolg der Privaten und auf deren Niveau euer Programm gestalten. Ich nenne hier nur ,Rauf auf den Bauern‘! Die Schweine in Nachbars Garten mögen zwar stinken, aber wer darüber die Nase rümpft, muss selbst sauber sein …“

Luther nickt begeistert: „Könnte von mir stammen.“

Kamael beachtet ihn nicht: „Ich will Dokumentationen sehen, die den Menschen weiterbilden, und keine Gerichtsshows, die ihn weiter verblöden, ich will leichtfüßige Komödien und keine unterschichtigen Comedys, spannende Krimis und berührende Fernsehfilme und keine Schmonzetten diesseits von Afrika. Ich will Serien in der Klasse des ,letzten Zeugen‘ oder noch besser ,Boston Legal‘, ich will mehr Kultur und mehr Information und mehr …“

Alle Erzengel schauten Kamael bewundernd an. Was der alles wusste! Bis ihnen einfiel, dass Insiderwissen zu seinem Job gehörte. Er war schließlich Medienbeauftragter des Herrn. Der hob die Hand und sprach: „Gut gemeint, Kamael, aber Texte wie deine schreiben die Fernsehkritiker seit vielen Jahren, nicht mal bei uns werden die ernst genommen. Nein, nein, sag nichts, ich weiß genau, was im Himmel eingeschaltet wird, wenn ich mal auf Reisen bin. Ich kenn doch die aktuellen Zahlen des Jahres: ARD nur noch bei 13,4 Prozent Marktanteil, das ZDF 12,8.“

Die Erzengel schwiegen. Immer wieder vergaßen selbst sie, dass ER allwissend war. „Müsste man nicht eine andere Taktik einschlagen?“, fragte Rafael, der dafür bekannt war, mit Engelszungen zu vermitteln, statt mit allen Mitteln Gottes Wort durchzusetzen. „Sollten wir nicht lieber konstruktive Vorschläge machen?“

Alle starrten ihn an wie von einem anderen Stern.

Doch ER nickte ihm zu und bat zwei der zahlreichen Halleluja-Praktikanten, die um ihn herumflogen und alle dreißig Sekunden frohlockten, eine Schiefertafel herbeizuschaffen. Gott hatte sich an die moderne Technik mit Overheads nie gewöhnen können, außerdem mochte er das Wort Overhead überhaupt nicht. Kaum stand die Tafel, drückte er Luther Kreide in die Hand, befahl dem Chor eine Hosianna-Pause und forderte alle Erzengel auf, Thesen für ein öffentlich-rechtliches TV-Programm aufzustellen, das ihm und denen auf Erden ein Wohlgefallen sein würde.

Martin Luther war beleidigt, dass ER ihm Kreide in die Hand drückte, obwohl er gerade einen Computerkurs bestanden hatte, aber er gehorchte.

Gabriel begann: „Einen Spartenkanal ausschließlich für Volksmusikantenstadler. Gemeinsam bespielt von ARD und ZDF. Beide hätten im Programm auf einen Schlag 25 Prozent freien Sendeplatz für alles Mögliche über IQ 100.“

Kamael: „Aufstockung der Rundfunkgebühren um 1,42 Euro pro Monat. Dann kann man auf Werbung verzichten.“

Gabriel murmelte irgendwas von „weltfremd“ und dass so ein naiver Glaube allenfalls Zwerge versetze, sagte dann laut: „Dittsche auf den Samstagabendplatz. Anke Engelke eine eigene Show, auch am Samstag. Günther Jauch um jeden Preis, egal, welchen Abend er will.“

Michael: „Zuständig für die Ideen freier Produzenten sind nur noch Redakteure, die selbst schon mal ein erfolgreiches Fernsehspiel oder einen guten Film produziert haben.“

Gabriel: „TV-Movies, in denen Katja Riemann beim Tanztee in den schottischen Highlands ihre große Liebe Ottfried Fischer wiedersieht, der sie vor 26 Jahren wegen Fritz Wepper verlassen hat, werden nicht mehr versendet.“

ER lachte, dann nickte er.

Luther schrieb: „Kitsch in den Keller.“ Das schien ihm nicht nur kürzer, sondern auch besser.

Michael: „Wenn in einem Exposé das Wort Event-Movie auftaucht, wird das Projekt automatisch abgelehnt.“

Kamael: „Gremiengraulinge haben bei der Berufung von Anstaltsleitern künftig nichts zu melden. Stattdessen wählen berufene Experten, also zum Beispiel Autoren, Produzenten, ehemalige Programmdirektoren oder Intendanten, bei Bedarf einen Neuen.“

ER nickte.

Luther schrieb.

Rafael: „Wer die Ablösung von Moderatorinnen mit deren Alter begründet, wird ,Emma‘ gemeldet.“

Luther brummte und schrieb nicht.

ER schaute ihn an: „Was ist los?“

Luther: „Müssen Weiber gesondert erwähnt werden?“

Gabriel: „ Macho, protestantischer!“

Luther seufzte, schrieb und zählte. „Acht Thesen. Ich hatte damals mehr …, egal. Wie bringen wir sie unters Volk und nicht nur zu den Programmmachern?“

Alle blickten auf IHN.

Und Gott der Herr sprach: „Wir geben es an eine Zeitung. Denn am Anfang war das Wort.“

Der Journalist Michael Jürgs war u. a. Chefredakteur von „Stern“ und „Tempo“ und ist Bestsellerautor von Büchern wie „Der Fall Romy Schneider“.

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