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Fernsehen: Keine Quote für alle

Es leben rund 2,7 Millionen Türken und Türkischstämmige in Deutschland. Sie werden mit ihren Fernsehgewohnheiten nicht erfasst. Als ob Tausende von türkischen Haushalten partout nicht Fußballspiele oder "Wetten, dass…?" gucken würden.

Den dramatischen Halbfinalsieg der deutschen Mannschaft gegen die Türkei haben in Deutschland so viele Fernsehzuschauer verfolgt wie kein anderes Spiel der EM-Geschichte zuvor. Im Durchschnitt fieberten 29,43 Millionen Zuschauer bei der Live-Übertragung samt zwischenzeitlichem Bildausfall aus Basel mit. In der Spitze saßen 32,74 Millionen Menschen vor den Fernsehern. Der Marktanteil lag mit 81,5 Prozent erstmals bei der EM über der 80-Prozent-Marke. Insgesamt dürften nach Schätzungen mindestens 40 Millionen Zuschauer die Partie verfolgt haben, da bei der Quotenmessung keine „Public Viewings“ wie die Fanmeile am Brandenburger Tor und auch keine türkischen Haushalte erfasst werden. Was die Frage nach dem Sinn solcher Quotenmessungen und nach der mutmaßlichen Mediennutzung von Migranten aufwirft.

Fakt ist: Es leben rund 2,7 Millionen Türken und Türkischstämmige in Deutschland. Sie werden mit ihren Fernsehgewohnheiten nicht erfasst. Als ob Tausende von türkischen Haushalten partout nicht Fußballspiele oder „Wetten, dass…?“ gucken würden. Im System der deutschen Fernsehforschung kommt das nicht vor, dabei wird es als eines der weltweit aufwendigsten gerühmt. 5640 nach Alter, Einkommen, Bildung, Kinderzahl und Beruf ausgewählte Haushalte, das sogenannte Fernseh-Panel, sind mit einer Quotenbox ausgestattet, die sekundengenau die Sehgewohnheiten der Teilnehmer erfasst. Das Panel soll ein verkleinertes Abbild der in Deutschland lebenden Deutschen und der EU-ausländischen Wohnbevölkerung in Privathaushalten mit mindestens einem Fernsehgerät darstellen. In 5640 Haushalten mit rund 13 000 Testsehern wurde am Mittwoch- abend also festgestellt und hochgerechnet, dass 29,43 Millionen Zuschauer Deutschland gegen Türkei gesehen haben. Nur über diesen Bevölkerungsausschnitt, sagt Michael Darkow, Leiter der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), gebe es aufgrund von Umfragen des amtlichen Mikrozensus so genaue soziodemografische Daten, dass sich eine Aufnahme in die Quotenmessung lohne.

Dafür muss man wissen, dass hinter der GfK als Auftraggeber die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (ein Zusammenschluss von ARD, ZDF, der RTL-Gruppe, Pro Sieben Sat1 Media und kleineren Sendern) und letztendlich die werbetreibende Wirtschaft steht. Gerade die Privatsender leben von möglichst viel Werbung im Programm – und möglichst hohen Werbeerlösen. Mehr Quote, mithin mehr zielgerichtetes Wissen über Zuschauergewohnheiten, das heißt auch mehr Gewinn. Eine Rechnung, in der das Zuschauer- und Konsumverhalten der in Deutschland lebenden Türken keine Rolle spielt. Dafür müsste auch erst mal näher untersucht werden, was der Türke in Berlin-Kreuzberg verdient, liest, schaut, kauft. „Es gibt aber einfach keine zahlungskräftige Interessengemeinschaft, die bereit ist, für so eine Untersuchung Geld auszugeben“, sagt GfK-Chef Darkow. Die Vorgaben der amtlichen Statistik für Nicht-EU-Ausländer seien zu unpräzise. Darüberhinaus werde immer noch vermutet, dass ein Großteil jener 2,7 Millionen in Deutschland lebenden Türken ihre Heimatprogramme schauen, weniger ARD, ZDF, RTL oder Sat 1. Warum also in den Werbepausen bei „Wer wird Millionär?“ an türkisches Konsumverhalten denken? Dann lieber ein großes EM-Spiel unberücksichtigt lassen, das vielleicht ein bis zwei Millionen Türken eingeschaltet haben.

Ein Vorurteil? Mediale Ghettoisierung? Nach einer Studie von ARD und ZDF aus 2007 nutzt ein Großteil der Migranten und Ausländer in Deutschland verstärkt deutsche Medien. Das bestätigt Dirk Halm von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien in Essen: „Wir beobachten konstant die komplementäre Nutzung von Medien: Wer beide Sprachen beherrscht, der nutzt deutsche und türkische Medien.“ Eine bundesweite Befragung unter 1000 türkischen Migranten ergab: 98 Prozent der telefonisch Befragten nutzen türkische Medien, 91 Prozent auch deutsche. „Es ist eher so, dass die ältere Generation türkisches Fernsehen sieht oder Zeitungen liest“, sagt der Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin, Bekir Yilmaz. Die zweite Generation der um die 40-Jährigen verfolge deutsche und türkische Medien. Bei den Jüngeren werde überwiegend deutsches Fernsehen gesehen. „Meine Kinder schauen sich oft Dokusendungen wie ,Galileo’ an.“ Da sollten sich Pro 7 und die Werbeforscher mal was einfallen lassen.

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