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Fernsehkritik: Anne Will: Keine Politik, keine Moral, keine Ordnung

Bei Anne Will waren große Themen angekündigt, doch es ging mal wieder um etwas ganz Anderes. Robert Birnbaum über die Talkshow als Puppentheater.

Von Robert Birnbaum

Es gibt eine sehr einfache Methode, „Anne Will“ trotzdem zu ertragen. Setzen Sie sich am Sonntagabend ruhig vor Ihren Fernseher. Aber vorher kramen Sie bitte auf dem Dachboden das alte Puppentheater raus. Das stauben Sie ab, bauen es vor der Glotze auf,  ziehen den Vorhang rechts und links sachte beiseite, drapieren vielleicht noch das Krokodil und das Kasperle obendrauf  - und dann können Sie einschalten.

Auf der Bühne erscheint jetzt erst mal ein ziemliches Gedränge. Es werden vorgestellt die Herren Wulff (CDU), Metzger (neuerdings auch CDU), Ernst (Linkspartei), Borer-Fielding (Ex-Schweizer-Botschafter, berät jetzt irgendwen), Paradi (hat viel Geld mit Lehman Brothers verloren) und Jackisch (sendereigener Börsen-Experte), überdies Frau Schwan (will Bundespräsidentin werden). Dabei sitzt Frau Will, die dem Ganzen den Namen gibt, ansonsten aber nicht stört. Wobei „sitzt“ jetzt bitte nur im übertragenen Sinne gemeint ist, weil das Wort ja nur für richtige Menschen einen Sinn ergibt. Was wir hingegen sehen, sind Handpuppen ihrer selbst. Sie führen ein Stück auf. Früher hießen solche Stücke „Räuber Hotzenplotz“, heute tragen sie postmoderne Titel wie „Mehr Moral per Gesetz - sorgt die Politik nun für Ordnung?“ Es geht aber weder um Politik noch um Moral. Um Ordnung schon gar nicht. Es geht darum, dass wir Zuschauer rausfinden sollen, wer in dem Stück der Schönste im Ganzen Land ist, ersatzweise der Giftigste, Schlagfertigste, Seriöseste - und notfalls „die ärmste Sau“.

Die spielt natürlich der Lehman-Geschädigte, dem zum Ausgleich alle auf seinem weiteren Lebensweg viel Glück wünschen. Der Prinz ist versuchsweise galant zur Prinzessin und übt ansonsten auf staatsmännisch-königlich („Das kann man schon bei Ludwig Erhard nachlesen!“). Die Prinzessin reckt das Kinn hoch und schnippt („Damit hatte ich ja angefangen!“). Der Schweizer Oberhofratgeber ist diplomatischer denn je. Der Schatzmeister kann das Wort „Notenbankpolitik“ fehlerfrei aussprechen. Bleibt der Prügelknabe Oswald, über den alle herfallen, weil er das Wort „Gier“ nicht pfui-pfui findet, sowie das Kasperle, das den bösen Knaben patscht: „Sie sind ja nur ein Nörgler!“

Wer wirklich wissen will, wie der nächste Wahlkampf sein wird - danke, „Anne Will“.

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