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Will Und Merkel

© ddp

Fernsehkritik: Merkel bei Illner: Die Schwimmstunde

Maybrit Illner, Angela Merkel und die Simulation eines Gesprächs: Matthias Kalle über eine Sendung, die eine schlimme Woche für das Fernsehen und die Politik beschließt.

Als es endlich vorbei war, kam Kerner, und in diesem Moment, für ein paar Sekunden, konnte man sich sicher sein, dass das deutsche Fernsehen praktisch am Ende ist, nicht mehr zu retten. Aber nach dem ersten Entsetzen, tritt dann doch Milde ein, und vielleicht reicht fürs Erste die Feststellung, dass es im Fernsehen keinen Journalismus mehr gibt.

Die, die am Sonntag die Sendung von Anne Will gesehen haben, in der versucht wurde Frank-Walter Steinmeier zum Hans Wurst der Politik zu machen, haben es geahnt – die, die am Donnerstag Angela Merkel bei Maybrit Illner im ZDF gesehen haben, können sich sicher sein, dass Fernsehjournalismus im Moment so dasteht, wie die Krise: viel schlimmer kann es nicht mehr kommen.

Die Sendung, die eine Stunde dauerte, war eine bodenlose Frechheit, von der ersten bis zur letzten Minute. In der ersten Minute sagte Illner, man wolle hier von der Kanzlerin kein Geld, „sondern nur Antworten“. Blöd für Illner, dass Merkel dann mehr Antworten für sie hatte, als sie sich Fragen bei ihrer Redaktion bestellt hat – zeitweise schwamm Illner regelrecht, hangelte sich von Einspielfilm zu Einspielfilm und hatte natürlich auch zwei „Betroffene“ im Publikum, auf die sie zurückgreifen konnte. Wieso, weshalb, warum – all das blieb unklar, es gab keine Dramaturgie, Illner war nicht in der Lage ein Interview zu führen, Angela Merkel zu fragen, ob sie schon mit Friedrich Merz telefoniert habe, mag Illner als journalistisches Husarenstück ansehen, ist aber ähnlich mutig, wie Marcel Reich-Ranicki zu fragen, ob er denn schon mit Oliver Pocher telefoniert habe – warum sollte er das tun? Und wen interessiert es?

Wen interessiert eigentlich was? Da sitzen zwei Frauen, die bis zur Wende in der DDR gelebt haben. Maybrit Illner studierte Journalistik in Leipzig und war Mitglied der SED, Angela Merkel sagt, so eine Krise habe die Bundesrepublik in 60 Jahren nicht erlebt – möglicherweise wäre es spannend geworden, wenn Merkel nicht eine Stunde lang ohne Widerspruch und intelligente Zwischenfragen über Opel, Arcandor und Banken gesprochen hätte, sondern wenn sich die beiden über die Stasi und die SED und über Kurras und West-Berlin 1967 unterhalten hätten.

Aber so wurde man Zeuge von Angela Merkels Lob für Angela Merkel was die Rettung von Opel angeht und überhaupt: wie sie die CDU führt, was man alles in Gang gebracht habe, was noch vor einem liegt – alles tadellos, manchmal klatschte sogar das Studiopublikum. Und die Fernsehzuschauer konnten sich darüber wundern, warum Illner so oft die Gesichtszüge entglitten, die Frau schien überfordert, daran konnten auch die plasberghaften Einspieler nichts ändern, die Merkel mit der stoischen Ruhe einer Frau, die Kohl überlebt hat, über sich ergehen ließ.

Die Kanzlerin wirkte souverän, Illner konnte ihr nichts anhaben, sie hatte nicht mal ein Gefühl für Timing, für Themenwechsel, für Überraschungen. Einmal versuchte Illner einen Scherz, sie sagte irgendwas und meinte, das sei jetzt mal „plakativ“, woraufhin Merkel sagte: „Gott sei dank sitz ich auch noch hier.“ Und das konnte man tatsächlich auch als Zuschauer denken, Merkel redetet mit den zwei „Betroffenen“ genauso wie mit Illner, von der man irgendwann dachte, die ist nur da, weil die Sendung dummerweise ihren Namen trägt. Einmal zitierte sie Clint Eastwood.

Man müsste sich tatsächlich einmal die Mühe machen, und das Gespräch so einer Sendung transkribieren und dann in einer Zeitung abdrucken. Es wäre nicht lesbar, sterbenslangweilig, ohne Erkenntnisgewinn – und es geht ja hier nicht um Kerner und um Beckmann oder über all die anderen People-Talk-Sendungen, sondern es geht um die Vermittlung von Politik, politischen Inhalten über ein Medium, dass immer noch die meisten Deutschen erreicht, dass von den meisten Deutschen immer noch ernst genommen wird – und hier hört, bei aller lockeren Häme, langsam der Spaß auf.

Am Dienstag schrieb Jürgen Kaube in der „FAZ“ einen Text zum Thema „Wie das Fernsehen die Politik ruiniert“. Kaube schreibt: „Die Politiker werden ausgestellt und lassen es auch gern mit sich tun, drängen sich geradezu danach. Die Fragen nach seinen Entscheidungen, seinen Kenntnissen, seinen Argumenten dienen, genau wie die Präsenz der Opfer oder der Experten, nur dazu, das Sichblamieren oder das Sichausstellenkönnen wahrscheinlicher zu machen. Man sieht es unter anderem daran, dass bei keiner Frage länger verweilt wird.“ In den meistens Fällen sind es ja nicht mal Fragen – es sind Behauptungen, die in den Raum geworfen werden, es sind Überlegungen, die nicht einmal besonders klug sind – hier finden keine Gespräche auf Augenhöhe statt, die Augenhöhe wird dadurch medial hergestellt, dass die Moderatoren ihre politischen Gäste durch Einspielfilme vorführen, oder sie mit Experten und „Betroffenen“ zusammenbringen. Was man dann hat, nennt man aber nicht Talk, sondern Stammtisch, wo es ungefähr die gleiche Zusammensetzung gibt.

Es war eine schlimme Woche für das Fernsehen und die Politik: Steinmeier mit Frau bei Kerner, Steinmeier allein bei Will, Merkel bei Illner. Überall gab es nur die Simulation von Gespräch, nicht den Ansatz von Erkenntnisgewinn. Und es gab, das ist vielleicht die einzig gute Nachricht, Empörung darüber, dass das alles tatsächlich möglich ist. Tatsächlich ist das alles nämlich ziemlich unmöglich.

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