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Gelübde

© WDR

Film: Der Dichter und die Nonne

Jedes Mal, wenn unser innerer Kulturpessimist und Fernsehfatalist schon glauben will, es gibt nichts Neues mehr unter der Sonne oder im Fernsehen, geschieht es doch. Diesmal treten Arte, der WDR und Dominik Graf gemeinsam den Beweis an, dass das Fernsehen Filme machen kann, die haben wir noch nicht gesehen.

Die haben wir fast nicht mehr für möglich gehalten, so sehr unterscheiden sie sich von den üblichen Fertiggerichten, in denen für alle etwas drin ist. An diesem Film dagegen kann man sich verschlucken. Hut ab also vor den unbekannten Redakteuren, die den etwas anderen Fernsehregisseur Dominik Graf („Hotte im Paradies“, „Eine Stadt wird erpresst“) mit seiner Idee nicht gleich wieder nach Hause geschickt haben!

Die Geschichte des deutschen Romantikers Clemens Brentano stand ihm vor Augen, der im Jahr 1818 in das kleine westfälisches Dorf Dülmen kommt, um am Bett einer jungen Frau zu sitzen und jedes Wort mitzuschreiben, das sie sagt. Was für eine Handlung! Und das ist noch nicht alles. Denn es handelt sich nicht um irgendeine Frau: Ihre Hände, Brust und Stirn zeigen die Wundmale Christi, die immer neu zu bluten beginnen.

Was, müssen sich die Arte-undWDR-Redakteure da gefragt haben, wir sollen einen Film produzieren über eine bettlägerige, hysterische Nonne und einen kaputten Dichter? Einen Trumpf hielt Graf immerhin in der Hand: Johannes Paul II. hat Anna Katharina Emmerick am 3. Oktober 2004 seliggesprochen. Wären ihre Wundmale demnach beglaubigt und die Berichte des „Protokollanten der Wunder Gottes“ auch?

Auf dieser Ebene sind wir zu denken gewohnt. Genau diese Ebene interessiert Graf nicht, auch wenn er Katharinas höhere Verletzungen überaus ernst nimmt. „Das Gelübde“ auf Arte zeigt die Begegnung zweier Menschen, die für beide zu einer Selbstbegegnung wird.

Brentano ist ungefähr in der Verfassung wie wir an schlechten Tagen nach zu viel Fernsehen. Überdruss, auch an sich selbst. Für kurze Zeit der Modedichter Berlins, hatte er vor großen Gesellschaften Vorträge gehalten mit so launigen Titeln wie „Der Philister vor, in und nach der Geschichte“, er hatte Volksmärchen weitergedichtet, Lieder geschrieben und selbst gesungen – vorbei. Sobald der Übermut des Schaffens verflogen ist, ist der Dichter allein, allein mit sich, von allen guten Geistern verlassen. Und dass auch der nichtdichtende Mensch möglicherweise mit sich allein bleiben könnte in jener Selbstillusion, die er „die Aufklärung“ nennt, ganz ohne Gott, scheint Brentano mindestens ebenso bedenklich. Das kann der leidenden Westfalin in ihrem ungeheizten Dachzimmer nicht passieren. Sie ist immer zu Hause: in Gott. Nein, so weit führen die Gespräche der beiden Selbstentsager, Selbsterfüller und Kandidaten des Himmelsreichs nicht, sie bleiben im Hier und Jetzt ihres Zusammenseins. Das nicht nur auf Worte angewiesen ist.

Misel Maticevic ist ohne jeden falschen Ton, er gibt seinem Brentano noch etwas von der Skepsis, gar Frivolität des romantischen Ironikers. Der Ex-Dichter mag den vernunftdürren Protestantismus der Preußen nicht, ihre Glaubensnüchternheit, aber soll er dieser Nonne wirklich vertrauen, gar ihrer Brustwunde, die meist mittwochs blutet?

Die Beweislast dieses Films liegt vor allem bei Tanja Schleiff als Katharina, schließlich begegnen wir nicht alle Tage leibhaftigen Hysterikerinnen in Christi. Vom ersten Moment an ist sie dem einstigen Lebemann, der so gern ein Glaubensmann sein möchte, gewachsen. Mystik, ahnen wir, ist nicht unbedingt großäugige Verdummung in Gott, manchmal schärft sie gar den Verstand. Und wie gut, dass Katharina ihre Visionen vornehmlich auf Plattdeutsch vorträgt. Wie diese Frau im Dauerhungerstreik für Gott mit ihrem Protokollanten streiten kann. Wie klar sie sich ist über die eigene Situation.

Das Porträt zweier kompromissloser Heimatsucher. Der vormalige Liedersammler hat das verlorene Zuhause schon in der Vergangenheit vermutet („Des Knaben Wunderhorn“) und im sagentiefsten der deutschen Flüsse, was ihn zum Urheber der Rheinromantik machte. Aber auch der Rhein war nicht tief genug. Jetzt wird diese Katharina seine letzte Türöffnerin sein ... Oder sollte er sie vielmehr schützen vor den ungläubigen Preußen, die kommen wollen, um die Echtheit dieser von Jesus so sichtbar in Mitleidenschaft gezogenen Nonne zu prüfen?

Keinen Augenblick steht „Das Gelübde“ in Gefahr, erbaulich zu wirken, gar zum Wunder- oder Kostümfilm abzusinken. Er hält die Gottesspannung, die – in manchen Menschen ausgetragen – eine auf Leben und Tod sein kann.

„Das Gelübde“, Freitag, Arte, 21 Uhr

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