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Gustloff

© ZDF

Film: Geschichte wird gemacht

Detlev Buck gibt einer umstrittenen Idee sein Gesicht: dass der deutsche Widerstand den Russen den Kurs der "Gustloff“ verraten hat. Heute abend zeigt das ZDF den ersten Teil der zweiteiligen Dokumentation.

Stopp! Klappe! Aus! „Was redest du da, das versteht doch kein Mensch“, ruft Joseph Vilsmaier , der Regisseur mit dem unüberhörbar bayerischen Zungenschlag. Detlev Buck antwortet: „Das ist Ostpreußisch.“ Vilsmaier ruft den Drehbuchautor an: „Der Buck redet hier was und behauptet, das wäre Ostpreußisch.“ Der Drehbuchautor versteht auch nichts. Am Ende setzt Buck sich durch, mit Hilfe seines Schauspielerkollegen Horst Krause, eines gebürtigen Westpreußen, immerhin.

Bizarre Augenblicke müssen das gewesen sein. Im vergangenen Frühjahr, als Joseph Vilsmaier seine Schauspieler versammelte, um die ersten Szenen für „Die Gustloff“ zu drehen. Als Detlev Buck endlich glänzen durfte in der Rolle eines ostpreußischen Funkers, mit dem mühsam erlernten Dialekt, den ihm eine 92-jährige Königsbergerin beigebracht hatte. Detlev Buck, laut Selbstauskunft ein schlechter Anekdotenerzähler, erzählt diese Anekdote bei der Premierenfeier des Gustloff-Films, ausgeschmückt mit vielen Wendungen einer untergegangenen Mundart. „Tät mich läid, ich wäit nich, wovon Sie räiden – na, ich hoffe mal, ich hab das richtig ausgesprochen.“

Das Ostpreußische hat die deutsche Umgangssprache um schöne Wortschöpfungen bereichert. „Ausbaldowern“ oder „begrapschen“, „Flunsch“ oder „mittenmang“. Heute ist es tot. Versunken in den Erinnerungen wie das Motorschiff „Wilhelm Gustloff“ auf dem Boden der Ostsee. 62 Jahre nach Kriegsende steht die Gustloff als Sinnbild für die ostpreußische Tragödie. Das Schiff war, überfüllt mit Flüchtlingen und Soldaten, auf dem Weg von Gotenhafen nach Kiel, als es am 30. Januar 1945 von sowjetischen Torpedos versenkt wurde. 9000 Menschen ließen ihr Leben in der Ostsee.

Im Nachkriegsdeutschland war das größte Schiffsunglück der Weltgeschichte tabu. Erst nach Günter Grass' 2002 erschienener Novelle „Im Krebsgang“ wagten sich ZDF und Ufa an das heikle Thema. Seit ein paar Wochen ist der Zweiteiler fertig, die Produzenten haben ihm einen ungewöhnlich langen PR-Vorlauf gegeben, bevor er heute und am Montag zur besten Sendezeit läuft. Anfang Januar gab es in Hamburg eine Uraufführung im Kreis der Schauspieler, zwei Wochen später in Berlin eine Kinopremiere mit der Bundeskanzlerin, zuletzt eine offizielle Vorstellung in Köln.

Detlev Buck unter dem Premierenpublikum

Diese Unentschiedenheit beim Thema, sie hängt wohl auch damit zusammen, dass der für eine Fernsehausstrahlung logische Termin nicht zur Verfügung stand. Am 30. Januar mag Deutschland aus guten Gründen nicht des Untergangs der „Gustloff“ gedenken. Am 30. Januar erinnert sich Deutschland mit Grauen, wie die SA durchs Brandenburger Tor marschierte.

Detlev Buck hat sich in seiner Lederjacke unter das elegante Premierenpublikum gemischt. Der Glanz des Films strahlt vor allem auf Kai Wiesinger, der einen selbstlos-mutigen Kapitän gibt. Auf seine Freundin, Valerie Niehaus als Marinehelferin mit Herz oder Michael Mendl als sentimentalem Seebär. Detlev Buck ist nicht so oft zu sehen, und mit ein bisschen bösem Willen könnte man seinen Part als Nebenrolle abtun.

Das wäre ein grandioser Irrtum. Detlev Buck, groß, kräftig und blond, spielt die Schlüsselfigur. Einen verzweifelten Verräter, der dem Schicksal „Gustloff“ eine neue Wendung gibt. Wer in Buck nur den trotteligen Polizisten aus der Sonnenallee sieht oder den trinkfesten Saufkumpan von Herrn Lehmann, der wird sich wundern über Joseph Vilsmaiers Mut, ihm die Glaubwürdigkeit des gesamten Films anzuvertrauen. Kann der auch anders als komisch?

Er kann. Schon 1999 hat Buck in „Aimee & Jaguar“ als ganz und gar nicht komischer Nazi-Ehemann beeindruckt. Im Gustloff-Film spielt er den fiktiven Verräter Hagen Koch so, wie man sich einen Ostpreußen vorstellt, wenn man Siegfried Lenz’ Erzählband „So zärtlich war Suleyken“ gelesen hat. Bauernschlau, linkisch, das Denken eher emotional denn rational geprägt. Seine Gesichtsmuskulatur zuckt vor Entsetzen, als ihm die Cousine erzählt, auch sie wolle auf dem Schiff nach Westen flüchten. „Du? Uff Justloff? Dat wirste janz bestimmt nich tun!“

„Die Wirklichkeit hat leider keine dramatische Struktur“

Den Funker Hagen Koch hat es nie gegeben. „Die Wirklichkeit hat leider keine dramatische Struktur“, sagt Drehbuchautor Rainer Berg. Ja, er hat hier und da etwas dazuerfunden. Den Funker Koch und mit ihm die Antwort auf die Frage, ob die Rote Armee informiert war über den Kurs des ihnen verhassten Nazi-Schiffes, getauft von Hitler, benannt nach einem ermordeten Märtyrer der braunen Bewegung.

Es wird viel debattiert werden über diesen Film. Ob nun ausgerechnet der Widerstand für die „Gustloff“-Katastrophe verantwortlich gemacht werden muss. Ob Zeitgeschichte im Fernsehen nur funktioniert, wenn sie über eine Romanze transportiert wird. Doch wer sich die waidwunden Blicke von Veronica Ferres („Die Frau vom Checkpoint Charlie“) oder Maria Furtwängler („Die Flucht) in Erinnerung ruft, wird „Die Gustloff“ als Dokudrama empfinden. Was den politischen Vorwurf betrifft: Über die Konstruktion mit dem verräterischen Funker setzt sich der Film zumindest dem Vorwurf aus, er wolle nicht nur Geschichte beschreiben, sondern Geschichte schreiben.

Genau dafür haben Regisseur und Drehbuchautor einen Fachberater engagiert. Heinz Schön war Zahlmeister auf der „Gustloff“ und einer der tausend Überlebenden. Er glaubt, das Nationalkomitee Freies Deutschland habe die Gustloff vor das Periskop des russischen U-Boots gelotst. Das Nationalkomitee war ein Zusammenschluss kommunistischer Emigranten und deutscher Kriegsgefangener. Walter Ulbricht und Friedrich Paulus, vereint durch das Ziel, Hitler zu stürzen. Seit Jahren sucht der Hobby-Historiker Schön nach Belegen für seine These.

Wie gefährlich ist es für einen Schauspieler, einer so umstrittenen Idee sein Gesicht zu geben? Detlev Buck sagt, er sehe überhaupt keinen politischen Hintergrund und erst recht nicht den Vorwurf, der linke Widerstand habe die „Gustloff“ auf dem Gewissen. „Der Funker ist total unpolitisch. Die Sowjets halten seine Frau und Kinder gefangen. Der Mann muss mit der anderen Seite zusammenzuarbeiten.“

"Ist doch irre, oder?“

Buck ist 1962 geboren, aber er kennt die Mentalität jener, die im letzten Kriegswinter alles verloren bis auf ihr Leben. Er kommt aus Schleswig-Holstein, dem Bundesland, das nach dem Krieg so viele ostpreußische Flüchtlinge aufgenommen hat wie kein anderes. Zu Bucks Jugenderinnerungen zählt die Barackensiedlung daheim in Nienwohld. Die Flüchtlinge aus dem Osten, sie waren immer da und gehörten doch nie ganz dazu. „Wissen Sie, wie wir die Siedlung damals genannt haben? ,Klein Moskau.’ Ist doch irre, oder?“

Von der „Gustloff“ hat er erst viel später erfahren. Vor zwölf Jahren, bei den Dreharbeiten zu „Männerpension“. Bucks Koautor Eckhard Theophil hatte 1945 mit seiner Großmutter in Gotenhafen auf die „Gustloff“ gewartet. „Hätten sie ihn mitgenommen, wäre ,Männerpension’ nie gedreht worden.“ Großes Thema, fand Buck, „aber damals hättest du so einen Film nie drehen können.“

Es ist spät geworden, die Premierenparty geht ihrem Ende entgegen. Ein Kollege kommt an Bucks Tisch vorbei, er hebt sein Weinglas und ruft im Vorbeigehen: „Du bist ein sympathischer Bösewicht.“ Detlev Buck steckt die Hände in die Taschen der Lederjacke. Tät mich läid, ich wäit nich, wovon Sie räiden.

„Die Gustloff“, Teil 1 heute, Teil 2 Montag, jeweils 20 Uhr 15 im ZDF. Ergänzend zeigt das ZDF eine zweiteilige Dokumentation (heute 22 Uhr 05 und am Montag 21 Uhr 45).

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