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Cukrowski

© SWR

Film: Und täglich grüßt das …

Die fabelhafte Gesine Cukrowski kommt in der Tragikomödie einfach nicht in den Urlaub: Für die Hebamme Anna beginnt beim Weckruf immer wieder derselbe Dienstag.

Die Zeitschleife ist als Filmstoff deshalb so ergiebig, weil sie den kalten Stern der Knappheit, unter dem Zeit als Ressource sonst immer steht, urplötzlich zum Erlöschen bringt. Der in der Zeitschleife gefangene Protagonist hat einen unendlichen Vorrat an Minuten, er kann tun, was er will. Was immer er anrichtet, hat Konsequenzen nur für einen Tag. Das Gute: Er kann aus seinen Fehlern lernen. In „Annas Alptraum“ ist es die Hebamme und zweifache Mutter Anna (Gesine Cukrowski), die eines Morgens erwacht und erkennen muss, dass sie den Vortag, einen Dienstag, noch einmal durchlebt. Ihre Älteste reißt kurz nach sechs mit der Mitteilung: „Mia (die Jüngste) hat ins Bett gekotzt“ die Tür zum Schlafzimmer der Mutter auf. Und wie gestern klingelt Nachbar Lukas: Eine Freundin erwartet ein Baby, jetzt haben die Wehen verfrüht eingesetzt. „Sie sind doch Hebamme.“

Anna erstarrt. Sie taumelt zum zweiten Mal durch einen ereignisreichen Tag, an dessen Ende ihr Start in den Urlaub steht. Nur erwacht sie tags darauf nicht an einem See, sondern in Mainz, und Jana öffnet die Tür: „Mia hat ins Bett …“ Annas Leben besteht nur noch aus einer Kette geklonter Dienstage, ohne Aussicht auf den erlösenden Mittwoch. Ihre erste Reaktion ist Wut. Sie brüllt die Kinder an, verweigert dem Nachbarn die Hilfe und sucht einen Psychiater auf. Sie weiß: Niemand kann fassen, was mit ihr geschieht, niemand kann helfen. So findet sie zu ihrer zweiten Reaktion: Zynismus. Sie verblüfft ihre Umwelt durch zutreffende Vorhersagen, zieht Vorteile aus ihrem Vorwissen und fragt den Psychiater: „Könnte ich nicht alle abknallen?“ Der nächste Tag wäre ja wieder Dienstag, wo alle wieder am Leben wären. Spät entdeckt Anna die Chancen ihrer Gefangenschaft. Sie muss nicht mehr ratzfatz irgendein Schäfchen ins Trockene bringen wie der Rest der Welt, sie kann ausprobieren, durchdenken. Das tut sie. Und erkennt sich selbst als immer nur mit sich beschäftigte Person. Sie wird eine andere Frau. Sie tröstet die kleine Mia mit dem undichten Magen, entbindet die junge Mutter mit Freude, findet Zugang zum Nachbarn. Als sie in seinen Armen erwacht, ist es Mittwoch.

Gesine Cukrowski ist die richtige Besetzung für Anna, weil ihr ausdrucksstarkes Gesicht mit den fallenden Mundwinkeln einen Zug ins Verzweifelte hat, der sofort verschwindet, wenn sie lächelt. Als Anna kann sie beides gut gebrauchen: die Leidensmiene und den Hoffnungsstrahl. Ihr Partner Benjamin Sadler, der Musiker mit der Matte und dem prüfenden Blick, liefert den perfekten Gegenspieler. Die Drehbuchautoren Martina Brand und Thomas Kirdorf umschiffen sicher alle Verwirrspielfallen, die bei Filmen mit Zeitmanipulationen drohen und konzentrieren sich auf das Wesentliche: den Entwicklungsroman ihrer Heldin, den diese paradoxerweise durchläuft, während ihre Zeit stillsteht.

Roland Suso Richter inszeniert die Geschichte mit jener sicheren Hand, die eine Story braucht, in der die wesentliche Koordinate des normalen Lebens, der Zeitfluss, nicht vorkommt. Es muss noch hinzugesagt werden, dass „Annas Alptraum“ die Fantastik und den Charme des US-Vorläufers „Täglich grüßt das Murmeltier“ mit Bill Murray und Andy McDowell nirgends erreicht. Das ist von einem deutschen TV-Film auch nicht zu erwarten. Aber da es sich um exakt dieselbe Grundidee inklusive szenische Steigerung und Auflösung handelt, müssen die Macher es ertragen, dass der Vergleich zur Sprache kommt.

„Annas Albtraum kurz nach 6“, ARD, 20 Uhr 15

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