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Filmkritik: Neuer "Kommissar Kreutzer" ist noch verrückter als der erste Teil

ProSieben schickt den durchtriebenen Selbstdarsteller Kommissar Kreutzer (Christoph Maria Herbst) zum zweiten Mal auf dem Bildschirm. Ein absurdes, realitätsfernes Fernsehvergnügen.

Die Ärztin fasst Kommissar Kreutzer an den Hals, tastet nach der Schlagader. „Kein Puls – kein Herz“, lautet ihre sarkastische Diagnose. Ist Kreutzer etwa ein Untoter, der Zombie unter den deutschen Krimi-Ermittlern? Ausgeschlossen ist eigentlich nichts bei diesem fantastischen, durchtriebenen Selbstdarsteller, den ProSieben nun zum zweiten Mal auf den Bildschirm schickt. Und zwar an einen Ort, der wie geschaffen ist für die bisweilen makabren Methoden des Kommissars – und eine ebenso makabre Inszenierung: Ins Krankenhaus, wo eine Ärztin in der Tiefgarage von einem Auto mehrfach überrollt wird. Ihr Bein zuckt noch im Takt zu den Klängen von „Stayin’ alive“ von den Bee Gees, doch auf dem OP-Tisch haucht sie das Leben aus. Gerade in dem Moment, als der Chirurg erkennt, dass es sich um seine eigene Ehefrau handelt.

Der Privatsender ProSieben hat selten Grund, sich für eigenproduzierte Filme und Serien zu brüsten – doch Christoph Maria Herbst führt dort eine erfreuliche Doppel-Existenz als „Stromberg“ und als „Kreutzer“, der im November 2010 seinen ersten Auftritt hatte. 2,72 Millionen Zuschauer sahen seinen überdrehten Ermittlungen zu, die er im ersten Film in einem Hotel führte. Mit einem Marktanteil von 13,4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen erzielte der Sender ein überdurchschnittliches Ergebnis. ProSieben kündigte eine „lockere Reihe“ an, und weil das famose Kernteam mit Autor Christian Jeltsch, Regisseur Richard Huber und natürlich Herbst sowie Rosalie Thomass als Kreutzer-Assistentin Belinda zusammenbleiben sollte, sind die zwei Jahre verflossene Zeit nicht so ungewöhnlich. Ob es weitergeht, hängt auch diesmal von der Quote ab. „Warten wir die Resonanz der Zuschauer ab“, sagt ProSieben-Sprecherin Brigitte Bischoff. Überlegungen für einen dritten Teil gebe es zumindest bereits.

Kreutzer ist der Anti-Held in der deutschen Krimi-Szene, konsequent und witzig gegen den Strich seiner an allerlei Lebenskrisen leidenden Kollegenschaft gebürstet. Und der zweite Kreutzer-Film, wieder nach dem Prinzip der Einheit von Handlung, Raum und Zeit gebaut, ist noch besser als der erste. Verrückte Figuren, scharfe Dialoge, ein hohes Tempo und mittendrin ein Kommissar, der mit allen Tricks Verdächtige verunsichert, täuscht, umschmeichelt oder provoziert. Jeltsch und Huber zünden ein Feuerwerk an Szenen voller Situationskomik.

Kreutzer fährt mit einer Schaufensterpuppe zum Tatort, warum nur? Später stellt er den Mord in der Tiefgarage vor den versammelten Verdächtigen spektakulär nach, mit der Puppe als Double. Außerdem wird er niedergeschlagen, mit einer Spritze bedroht und vollgekotzt, er fällt in Ohnmacht, gibt sich als Arzt aus und entlockt nackt einer Pharma-Vertreterin mit freizügigen Verkaufsmethoden weitere Fakten – ehe er die Flüchtende mit einem gezielten Bettpfannen-Wurf zur Strecke bringt. Wieder wimmelt es vor Verdächtigen: Der Chefarzt, der ein Verhältnis mit dem Opfer hatte. Sein Kollege und betrogener Ehemann, der wiederum seine getötete Frau mit einer Krankenschwester betrog. Eine falsche Ärztin. Ein rüder Krankenpfleger. Ein rätselhafter Besucher mit Stirnwunde. Es geht um illegale Testreihen an Menschen, Organhandel und Transplantationen, um eine von ihrer Familie bedrohte Türkin, um Sinnsuche und Übersinnliches. Überladen und realitätsfern? Aber sicher.

Die einzige Anständige in diesem Tempel unanständiger Weißkittel scheint Dr. Morée (Christina Hecke) zu sein, was sie natürlich in den Augen von Kreutzer besonders verdächtig macht. Mit ihrer Intelligenz und Schlagfertigkeit ist sie aber auch eine Kontrahentin auf Augenhöhe, die zugleich besonders anziehend auf Kreutzer wirkt. Gelungen außerdem, wie das Verhältnis zwischen Kreutzer und Belinda weiterentwickelt wird, auf Schweinsaugen- und Stullen-Basis gewissermaßen. Und dann erfährt man noch einiges über Kreutzer selbst: warum ihn im Krankenhaus Visionen heimsuchen und was ihn mit dem krebskranken Kind verbindet, dem er mehrfach begegnet.

„Kreutzer kommt … ins Krankenhaus“; ProSieben, 20 Uhr 15

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