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Medien: „Fischers Schweigen trieb die Meute zur Jagd“

Recherche oder Revanche? Publizist Michael Jürgs über die Rolle der Journalisten in der Visa-Affäre

Wie viel von einer Medienaffäre steckt in der VisaAffäre von Joschka Fischer?

Weiß ich nicht. Ich habe auch keine Lust, den Richter zu spielen. Wir Journalisten sollten aber nicht so tun, als ob durch unsere Aufmerksamkeit der Skandal zum Skandal geworden ist. Wir Journalisten haben den Skandal erst einmal verpennt. Das Thema Visa-Missbrauch war längst bekannt, es hat nur keinen interessiert. Weil Fischer schwieg, ging die Meute auf die Jagd. Der Außenminister dachte wohl, dem Beispiel eines anderen großen Dicken folgend, er könne alles aussitzen. War zudem schlecht beraten von engen Mitarbeitern wie seinem Sprecher Walter Lindner, den ich an Fischer Stelle in die Pressestelle der deutschen Botschaft nach Kiew versetzen würde.

Rot-Grün hat den Sprengstoff nicht erkannt, Fischer auch nicht, also war’s die Union?

In der Union haben im Gegenteil doch viele gesagt, um Gottes willen, lasst die Finger von der Sache, der Joschka ist zu populär, sie wachten erst spät auf. Es gibt in dieser Geschichte keine weißen Ritter.

Wodurch erreichte aber die Affäre eine solche Dimension?

Die eigentlichen Säue – Arbeitslosigkeit zum Beispiel, Massentlassungen trotz gestiegener Gewinne – waren durchs Dorf getrieben. Man brauchte neue Skandale. Als der Kölner Richter Höppner bei einem Prozess gegen einen Schleuser von einem kalten Putsch gegen den Rechtsstaat sprach, hat auch keiner von uns nachgefragt, wen meint der eigentlich? Am von Mitte Januar an aufbrausenden Bocksgesang wiederum ist Fischer selbst schuld. Er hat geglaubt, er sei der Allergrößte, dabei ist er nur ein Großer, hat Journalisten von oben herab behandelt. So etwas merken wir uns, denn so nachtragend und eitel wie Politiker im Höhenrausch sind wir allemal auch.

Was liegt vor: eine medien-psychologische Affäre, die sich zu einer politischen ausweitet, oder eine klassisch-politische Affäre?

Es ist eine politische und eine medienpolitische Affäre. Wenn die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth von einer Kampagne spricht, ist das lächerlich. Das fällt auf sie zurück und damit auf die ganze rot-grüne Koalition. Joschka Fischer hat eine Menge Auswärtsspiele gewonnen. Nur ein Beispiel unter vielen: Die Enthüllung des Tagesspiegels über die Steinewerfer-Vergangenheit von Fischer hat ihm letztlich nicht geschadet, am Ende hat er sogar an Statur gewonnen. Danach hielt sich Fischer für unbesiegbar. Das wurde schon, wie man weiß, einem gewissen Siegfried zum Verhängnis.

Also der unbesiegbare Fischer und die Journalisten, die Beute machen wollen?

Mittelfeldstratege Fischer ging mit diesem Gefühl der Unbesiegbarkeit auf das Spielfeld, und nun jammert er herum, dass er im Rückstand liegt, und dass die Journalisten, die eigentlich nur Schiedsrichter sein sollen und nicht mitspielen dürften, die Fouls der politischen Gegner gegen ihn nicht ahnden. Aber er kennt die Spielregeln, hat oft genug danach gespielt. Dass plötzlich ein Christian Wulff, über den er früher gar nicht nachgedacht hätte, in der aktuellen Tabelle vor ihm liegt, ist Ergebnis seiner falschen Aufstellung und der falschen Taktik.

Bislang hieß es: „Spiegel“ und „Stern“ unterstützen Rot-Grün, Springer hält dagegen, und das Fernsehen hält sich raus. Stimmt diese Gleichung noch?

Vergessen Sie das. In allen Magazinen, in allen Zeitungen, auf allen Sendern finden Sie inzwischen gut recherchierte Geschichten. Meiner Meinung nach nicht genügend, aber das gehört hier nicht her. Mit der Ideologie ist es vorbei. Ich finde das gut. Journalisten sollten einen Standpunkt haben, keinen parteipolitischen, sondern einen moralischen. Den wiederum vermisse ich bei vielen Journalisten in vielen Blättern, egal aus welchem Verlag, gebe aber zu, dass dies eine altmodische Betrachtung unseres Berufes ist.

Hans Leyendecker hat im „Bericht aus Berlin“ festgestellt, es gebe eine jüngere Journalistengeneration, die nicht mehr in Lagern denke. Was heißt das für den politischen Journalismus, was für die Politik?

Erst einmal ist das eine positive Entwicklung, obwohl Hans Leyendecker, der wie ich nicht mehr zu den ganz so Jungen zählt, immer noch viel jünger ist in seiner unbestechlichen Neugier als viele der Jüngeren.

Ist die Übersichtlichkeit weg, also wer wohin gehört?

Bei Schröders Erstwahl gab es noch das auch unter konservativen Journalisten verbreitete Gefühl, 16 Jahre Kohl seien genug. Schon damals gab es nicht mehr die großen Konflikte wie früher zu Willy Brandts Zeiten, an dem sich die Geister schieden, zwischen den einzelnen Pressehäusern. Solange in der Schwarzgeld-Affäre Kohl, in der Möllemann-Affäre, in der Koch-Affäre usw. genauso unvoreingenommen und hart recherchiert wird wie in der Joschka-Fischer-Affäre, ist alles in Ordnung.Allerdings habe ich in den Zeiten, als ich selbst noch im Glashaus saß und mit Steinen schmiss, noch gelernt, Meinung und Fakten zu trennen.

Wenn die Medien recherchieren, wird dann die Politik besonders unruhig?

Erstens ist das gut so und zweitens sollten sich Politiker, egal welcher Couleur, nicht aufregen über das, was die Medien machen, denn sie spielen das Spiel ja mit. Nehmen Sie „Sabine Christiansen“ vom Sonntagabend: Was zum Teufel haben da drei Mitglieder des Untersuchungsausschusses, der seine Arbeit gerade erst begonnen hat, zu suchen? Die sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren und nicht im Fernsehstudio verkünden, was sie im Untersuchungsausschuss glauben erfahren zu können. Da fehlte nur noch die Abstimmung per TED, wer die bessere Figur gemacht hat.

Muss Joschka Fischer erst in den Untersuchungsausschuss oder erst vor die Bundespressekonferenz?

Er muss zuerst vor den Bundestag. Der Untersuchungsausschuss und die Bundespressekonferenz verbreiten in seltsamer Gemeinsamkeit das Gefühl, sie eigentlich seien das zuständige Gremium. Das jedoch ist in einer Demokratie nun mal das Parlament. Die Opposition kann da eine aktuelle Fragestunde beantragen und Fischer so hart rannehmen, wie sie es kann. Das werden die aber nicht tun. Sie haben ja auch ein eigenes Interesse, die Affäre möglichst lange in den Schlagzeilen zu halten.

Also bleibt es beim Kreislauf: Die Journalisten jagen hinter den Politikern her, die Politiker hinter den Journalisten.

Ja, die Katze beißt sich in den Schwanz. Stellt sich nur die Frage, wer ist die Katze, wer der Schwanz.

Das Gespräch führte Joachim Huber.

Michael Jürgs , 59,

arbeitete als Chefredakteur des „Stern“. Seine Biographien wie der „Fall Romy Schneider“ sind Bestseller. Gerade erschienen: „Typisch Ossi – Typisch Wessi“.

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