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Medien: Franks Reich

Schwieriger Start, große Aufgabe, Aust im Nacken: Der neue Geschäftsführer des Spiegel-Verlags

Der Tag, an dem Mario Frank, 49, das Angebot bekam, Geschäftsführer des „Spiegel“ zu werden, war ein guter Tag für den Verlagsmanager. Chef beim „Spiegel“ – in der Medienbranche bedeutet das so etwas wie den Daueranspruch auf die Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga. Da gab es für den gebürtigen Rostocker, der in der Schweiz aufwuchs, nicht viel nachzudenken. Als die Offerte aus Hamburg im vergangenen Jahr eintraf, führte Frank die „Sächsische Zeitung“ in Dresden seit zwölf Jahren. Das ist, wieder übertragen auf den Fußball, eher Zweite Bundesliga, oberes Drittel.

Die Freude dürfte nicht lange gewährt haben – Frank, dem vor allem der Ruf vorauseilte, ein eiskalter Sanierer und Kostenkiller zu sein, bekam schon Monate vor seinem Antritt im elften Stock des „Spiegel“-Hochhauses an der Hamburger Brandstwiete am 2. Januar dieses Jahres eine Breitseite nach der anderen ab. Er wolle das Magazin auf Rendite trimmen, stehe aufseiten des Mitgesellschafters Gruner + Jahr, werde Verlagsteile ausgliedern und Personal abbauen.

Frank hat das spürbar irritiert. Interviews gibt er so gut wie keine, auch für diesen Artikel wollte er sich nicht zitieren lassen. Um jeden Preis soll offenbar der Eindruck vermieden werden, er sonne sich als „Mr. Spiegel“ im Glanz der Öffentlichkeit. Darum bleibt Frank, den man in Dresden „Supermario“ rief, der zu Hause klassische Musik hört und keinen Fernseher besitzt, lieber im Hintergrund.

Die Zurückhaltung hat ihre Gründe. Die Lage beim wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazin ist, gelinde gesagt, ein wenig verworren. Man kann den Zeitpunkt, an dem sich beim „Spiegel“ alles änderte, ziemlich genau bestimmen, denn es handelt sich um den Todestag seines Gründers Rudolf Augstein. Als Augstein am 7. November 2002 starb, war der interne Machtkampf eröffnet. Für sich entschieden hat ihn bisher Chefredakteur Stefan Aust, 61. Es gibt Mitarbeiter, die sagen, dass der so erfolgreiche wie machtbewusste Aust seit dem für den Verlag so einschneidenden Tag zumindest inoffiziell keinen Vorgesetzten mehr gehabt habe. Ein neuer Herausgeber würde nicht eingesetzt werden, dafür hatte Aust gleich im Heft eins post Augstein gesorgt, in dem er schrieb: „Nach ihm kann und wird es keinen Herausgeber geben, der diesen Titel verdient.“

Mario Franks Vorgänger Karl-Dietrich Seikel, 60, hatte das Haus seit 1991 geführt. In all den Jahren manövrierte der bedächtige Mann den „Spiegel“ mit Umsicht durch die sich verändernde Medienlandschaft. Mit Augstein harmonierte er gut, auch mit Aust. Manche sagen, ein wenig zu gut – Seikel habe Aust in vielen Dingen nachgegeben. Im vergangenen Jahr legte Seikel ein Rekordergebnis von 332 Millionen Euro Gesamtumsatz für die Spiegel-Gruppe vor, dem Unternehmen geht es blendend. Rund 70 Prozent vom Umsatz steuert der Spiegel-Verlag bei, der Rest kommt von Töchtern wie dem „Managermagazin“, Spiegel-TV und dem Internetableger Spiegelnet GmbH. Zu den innovativsten Verlagsmanagern gehörte Seikel nach Meinung seiner Kritiker indes nicht. Darum wurde hinter Seikels Rücken und mithilfe der mächtigen Mitarbeiter KG, der 50,5 Prozent am Unternehmen gehören, nach einem Nachfolger gesucht.

Für Stefan Aust, der seit Ende 1994 das Blatt leitet und dessen Vertrag im kommenden Jahr voraussichtlich noch einmal bis 2010 verlängert wird, bedeutete die Personalie eine neue, zunächst unbekannte Größe im Verlag. Und so kam es nicht ganz unerwartet zu „Machtrangeleien“, wie ein leitender Mitarbeiter vorsichtig formuliert. Andere sprechen von „schweren Zerwürfnissen“. So hatte Frank sinngemäß gesagt, wenn man mit „Spiegel“-Heftablegern zusätzliche Auflage generieren könne, dann seien auch Verluste beim Hauptblatt zu verschmerzen. Aust musste das als eine veritable Drohung auffassen. Der langjährige Berliner Büroleiter und neue Washington-Korrespondent Gabor Steingart, der zum Aust-Lager gehört, hatte dem Vernehmen nach kurze Zeit darauf Frank als Provinzmanager verspottet. Solche gegenseitigen Nadelstiche hinterlassen Spuren. Aust sagt auf Nachfrage, dass eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit Mario Frank „selbstverständlich“ möglich sei: „An mir soll es jedenfalls nicht liegen.“

Erst vor wenigen Wochen musste Aust bei Spiegel-TV, dessen Mitbegründer und Chefredakteur er lange Jahre war, von einem Geschäftsführerposten auf den Sessel des Herausgebers umsatteln. Zuvor hatte es einen Disput über die TV-Tochter gegeben, die zwar im vergangenen Jahr durch den Verkauf des Senders XXP finanziell sehr gut dastand, aber auch wichtige Aufträge verloren hatte. Frank unterstützt einen Plan, Spiegel-TV neu aufzustellen. Aust und die TV-Mitarbeiter lehnen das ab, in einer anonymen Mail an die Gesellschafter ist von „Zerschlagung“ und dem „Primat der Profitmaximierung“ die Rede. Laut Aust sei noch nicht entschieden, auf welche Weise umstrukturiert werde. Dass etwas passiert, ist dennoch abgemachte Sache.

Entschieden ist, dass die TV-Mitarbeiter stärker als bisher mit den Internetkollegen zusammenarbeiten und die Seite mit Videos bestücken. Der Ausbau von „Spiegel Online“, das vor allem bei jungen Leuten vermutlich bereits mehr zum Markenimage des Verlags beiträgt als das gedruckte Heft, ist ein Eckpfeiler der Strategie Franks. Demnächst startet eine Online-Community für zeitgeschichtliche Themen. Für den gedruckten „Spiegel“ hat Frank eine „Wachstumsstrategie“ ausgerufen. Im vergangenen Quartal verkauften sich vom „Spiegel“ jede Woche 1 051 113 Exemplare. Er will den Abstand zu Wettbewerbern wie „Stern“ (1 011 290) oder „Focus“ (711 170) vergrößern, beispielsweise mit regionalen Supplementen und DVDs. In zwei Jahren sollen rund 70 Prozent der Auflage bereits am Sonntag vertrieben werden. Chefredakteur Aust befürwortet diesen Kurs.

Eher bedächtige „Spiegel“-Mitarbeiter sagen, sie wollten noch kein endgültiges Urteil über Frank fällen, dafür sei es zu früh. Er probiere halt viel aus, sagen diejenigen, die ihm eine Chance geben. Er habe keinerlei Strategie, ätzen die Kritiker des passionierten Schachspielers. Und dann gibt es noch jene, die Manager, die nach ihrer Einschätzung genauso gut Schraubenfabriken leiten könnten, am liebsten sofort zum Teufel jagen würden. Sie glauben, dass Frank einer von diesen verkappten Schraubenfabrikanten ist.

Zu diesem Image kam Frank, weil er den Verlag der „Sächsischen Zeitung“ („SZ“) über die Jahre mithilfe radikaler Firmenausgliederungen zu einem sehr profitablen Regionalverlag umkrempelte und dabei auch einen Streik seiner Mitarbeiter in Kauf nahm. Michael Kopp, Verdi-Fachbereichsleiter in Leipzig, sagt: „Der Ausgründungskurs des Verlags war aus Sicht der Gewerkschaft für die Beschäftigten negativ und nicht zwingend notwendig.“ Er vermutet als eines der Hauptmotive Tarifflucht. Hans Eggert, der langjährige Chefredakteur der „SZ“, spricht indes von einer „fruchtbaren Zusammenarbeit“ mit Frank. Arbeitsplätze in der Redaktion seien nicht abgebaut worden.

Frank hat zum gedruckten Wort durchaus ein gutes Verhältnis, das verrät ein Blick in sein Büro: Dort hat er sich ein großes weißes Regal mit offenen quadratischen Fächern aufgestellt, in dem er seine Sammlung historischer Schreibmaschinen untergebracht hat. In seiner Freizeit hat der promovierte Jurist historische Sachbücher über Hitler und Walter Ulbricht geschrieben.

Namentlich zitieren lassen sich nur Branchenkenner außerhalb des Hauses, und das auch nur positiv. „Frank wird dem Unternehmen sehr gut tun“, glaubt beispielsweise Adolf Theobald, der Erfinder solcher Blätter wie „twen“ und „Capital“. Theobald war auch mal „Spiegel“-Geschäftsführer und scheiterte damals an der Mitarbeiter KG, die er noch heute als hinderlich für das Vorankommen des Verlags sieht. Und der ehemalige Gruner+Jahr-Chef Gerd Schulte-Hillen, der mal Franks Chef war, sagt: „Frank ist fleißig und standfest. Aber der ,Spiegel‘ hat seine Besonderheiten, die gelernt sein wollen.“

Standfestigkeit wird Frank brauchen, um an der Brandstwiete durchzuhalten. Sein Vertrag läuft zunächst auf fünf Jahre, bis Ende 2011. Am Ende wird er sich wohl eher dem „Spiegel“ unterordnen müssen, als dass der „Spiegel“ sich auf Frank einstellt. Wohlmeindende Beobachter glauben, dass Frank klug genug sein wird, um das zu begreifen. Sollte er das nicht tun, werde er scheitern. Den „Spiegel“, hinter dem die wahrscheinlich selbstbewussteste und zugleich strukturkonservativste Redaktion Deutschlands steht, erobert man nicht im Handstreich. Selbst Kritiker gestehen zu, dass Mario Frank, der erste „Spiegel“-Chef, der nicht von Gründer Augstein geprägt wurde, vor einer „Riesenaufgabe“ stehe. Im September zieht Frank mit seiner Frau nach Hamburg, bisher lebte er im Hotel. Es dauert wohl einfach seine Zeit, bis man sich die Rolle des Tabellenführers auch wirklich verdient hat.

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