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Medien: „Freunde können sich auch mal anschreien“

Mit der S-Bahn zur Arbeit, mit dem Minister ins Café: „NYT“-Korrespondent Steven Erlanger verlässt Berlin ungern

Herr Erlanger, ihr Vorgänger, Roger Cohen, hat einmal gesagt „Bei Italienern denken wir an Pasta, bei Engländern an merkwürdige Sexpraktiken ihrer Aristokraten und bei Deutschen eben an die Nazis.“

Es reicht nicht aus, Deutschland nur über seine Vergangenheit zu definieren. Deutschland ist das wichtigste Land in Europa und dabei, sich neu zu definieren. Es ist spannend zu beobachten, wie es seine Identitätsprobleme in der Zukunft lösen wird. Wird es die Verantwortung übernehmen, die seine Größe mit sich bringt? Wird es eine ernsthafte militärische Rolle übernehmen? Wie werden sich die Beziehungen zu Frankreich, Großbritannien und Russland gestalten? Das ist alles noch nicht entschieden.

Neben den politischen Themen, was berichten Sie sonst noch aus Deutschland?

Alles, was mich sonst noch interessiert. Zum Beispiel bin ich noch mal nach Erfurt gefahren, um die langfristigen Auswirkungen des Amoklaufes auf die Stadt zu beschreiben. Oder ich berichte über die wirtschaftliche Lage in Bayern, das neue Museum in Nürnberg, die Entwicklungen im Osten. Für die Wirtschaftsnachrichten haben wir ja noch einen BusinessKorrespondenten in Frankfurt.

Haben die Ereignisse des 11. Septembers 2001 etwas an Ihrer Berichterstattung geändert?

Die Ereignisse vom 11. September haben vieles verändert. Die Anschläge in New York wurden auch von Deutschland aus vorbereitet. Das interessiert die Amerikaner sehr. Ich glaube, wir haben genauso viel darüber geschrieben wie der „Spiegel“.

Wie beurteilen Sie das derzeitige Verhältnis zwischen Deutschland und den USA?

Trotz aller Verstimmungen der letzten Zeit: Europa und Amerika sind Partner, wir haben keine Alternativen und wollen das auch nicht. Grundsätzlich haben wir doch die gleichen Werte. Wir haben Differenzen in Bezug auf den Nahen Osten, wir beurteilen den Irak unterschiedlich. Na und? Wir müssen nicht in allem einer Meinung sein, Freunde können sich auch mal anschreien.

Was sollten beide Seiten tun, damit es bei der Freundschaft bleibt?

Es wäre hilfreich, wenn die Europäer sich ernsthafter mit Militärfragen beschäftigen und mehr Geld für Rüstung ausgeben würden. Anstatt ihre Außenpolitik darüber zu definieren, was die Amerikaner alles nicht tun. Und es würde Washington helfen, weniger ideologisch vorzugehen und zu begreifen, dass es Freunde und Verbündete braucht.

Generell ist das Interesse am Ausland bei den Amerikanern ja nicht sehr groß.

Sicher, die meisten Europäer sind mehr an Außenpolitik interessiert. Doch das Interesse der Amerikaner an anderen Teilen der Welt ist zurzeit größer als je zuvor. Leider gibt es heute weniger amerikanische Auslandskorrespondenten als noch vor ein paar Jahren. Zeitungen wie die „Chicago Tribune“, der „Boston Globe“ oder der „Miami Herald“berichten nicht mehr so viel über das Weltgeschehen wie früher. Die Auswahl guter ausländischer Berichterstattung, die den Durchschnittsamerikaner erreicht, ist kleiner geworden. Dazu kommt, dass amerikanisches Fernsehen sehr schlecht geworden ist, besonders bei den Nachrichtensendungen.

Werden Journalisten von Politikern hier anders behandelt als in den USA?

Generell sind die deutschen Politiker sehr kooperativ. Allerdings berichte ich auch für eine große, wichtige Zeitung und habe es deshalb leichter. An amerikanische Politiker heranzukommen, ist viel schwieriger. Schon vor dem 11. September waren sie von sehr viel mehr Sicherheitsleuten umgeben als die deutschen Politiker. Joschka Fischer hat auch eine Menge Bodyguards, trotzdem kann man sich zum Gespräch mit ihm in einem Caféhaus treffen.

Ansonsten gibt es keine Unterschiede?

Ehrlich gesagt: Die zuständigen Pressesprecher hier scheinen manchmal mehr an ihren eigenen Status zu denken als an die Anfragen der Journalisten. „Schreiben Sie uns erst mal einen Brief", heißt es oft, und wenn man dann wieder anruft, ist der Brief angeblich nicht angekommen, und man soll noch mal schriftlich anfragen und so weiter. Als ob Briefeschreiben das Wichtigste wäre!

Es heißt immer, amerikanischer Journalismus sei objektiver, deutscher Journalismus hingegen subjektiver. Sehen Sie das auch so?

Wir versuchen Meinungen aus der Berichterstattung herauszuhalten. Es gibt fast so etwas wie eine Berliner Mauer zwischen Meinung und Nachricht . Ich sage nicht, dass das objektiver ist, zumal ich den deutschen Journalismus für sehr gut halte. Aber wenn Sie zum Beispiel die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lesen, merken Sie, dass sie eine konservative Zeitung ist, auch ohne die Kommentare auf der Meinungsseite zu lesen. Für Meinungen haben wir die Leitartikler und Kommentatoren. Deren Standpunkte kann man beurteilen, wie man will. Die Zeitung gibt ihnen nur den Raum, dort präsentieren sie mit ihrer Meinung niemanden außer sich selbst.

Im Moment suchen viele deutsche Journalisten einen neuen Arbeitsplatz. Wie ist es in Amerika?

Die „New York Times“ stellt zurzeit auch niemanden ein. Übrigens werden amerikanische Journalisten niedriger bezahlt, haben längere Arbeitszeiten und weniger Urlaub.

In Zukunft werden Sie in der Kulturredaktion der „New York Times“ arbeiten. Ist das nicht ein ziemlich großer Sprung, vom politischen Korrespondenten zum Kulturredakteur?

Erstens habe ich früher schon als Redakteur gearbeitet, und zweitens: In Hollywood oder am Broadway, bei Kunst oder Tanztheater spielen Geld und Politik ja auch eine Rolle. Naja, und manchmal kann man es sich eben nicht aussuchen. In Amerika sagt man: Veränderung ist eine gute Sache, nicht eine schlechte. Ich freue mich sehr auf meinen neuen Job, aber ich hasse es, Berlin wieder zu verlassen.

Warum?

Ich mag Berlin. Es gibt hier vieles, was mir sehr gut gefällt. So ganz einfache Sachen, zum Beispiel die S-Bahn oder das Bussystem. Außerdem ist Berlin in kultureller Hinsicht die aufregendste Stadt in Westeuropa und hat genauso viel zu bieten wie New York.

Haben Sie bei Ihrem Job überhaupt noch Zeit für eine Familie?

Ja, doch, meine Frau reist mit mir und lebt jetzt auch in Berlin. Wir sind schon lange verheiratet.

Seit wann denn?

Da muss ich mal nachdenken. Seit 30 Jahren? Nein, Moment. Hmm. Ja, also ungefähr seit 25 Jahren.

Das Interview führte Antje Kraschinski.

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