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Seltener Glücksfall: Qualität und Quote müssen kein Widerspruch sein. Im ARD-Film „George“, in dem Götz George seinen Vater Heinrich verkörpert, kommt beides zusammen. Das Erste strahlt die Produktion am 24. Juli aus. Foto: ARD

© SWR/Thomas Kost

Für eine Koalition der Mutwilligen: ARD und ZDF sitzen fest zwischen Quotendruck und Qualitätsbewusstsein. Das muss so nicht sein.

Nicht nur die Sender, auch die Zuschauer und die Politik sind herausgefordert, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag wieder ernstgenommen wird.

Die pauschale Kritik am öffentlich-rechtlichen Fernsehen geht meist darauf aus, dass ARD und ZDF durch die Gelder, die vormals „Gebühren“ hießen, finanziell üppig genug ausgestattet seien, um freiweg Qualitätsfernsehen zu machen, sprich sich nicht um die Einschaltquoten zu kümmern. Das vielmehr sei Pflicht und Los kommerzieller Sender, die von Werbeeinnahmen leben und daher zuvörderst darauf schauen müssen, dass die Quote stimmt. Es ist an der Zeit, dieses Argumentationsmuster aufzugeben. Denn spätestens seit es die „Haushaltsabgabe“ ist, mit der die öffentlich-rechtlichen Sender wirtschaften, kehren sie den Spieß mit gutem Recht um: Wenn alle Haushalte das öffentlich-rechtliche Fernsehen bezahlen, dann müssen sie auch alle was davon haben. Vorwiegend Minderheitenprogramme mit verschwindenden Quoten – das würfe die Frage nach der Existenzberechtigung von ARD und ZDF auf, und man kann ja wohl kaum erwarten, dass diese Anstalten an ihrer Selbstabschaffung arbeiten.

Es sollte vielmehr zugestanden werden, dass sich alle, auch die öffentlich-rechtlichen Sender, am Markt bewähren müssen, dass der Zuspruch des Publikums, sein sogenanntes Einschaltverhalten, ein entscheidendes Kriterium für Erfolg oder Misserfolg einer jeden Fernsehproduktion ist. Das war auch schon vor Etablierung des dualen Systems aus öffentlich-rechtlichem und kommerziellem Fernsehen so. Und man wird weder einst noch in Zukunft einen Produzenten, Redakteur oder Regisseur finden, dem es egal ist, ob die Leute sein Werk gucken wollen oder nicht. Auch der Macher eines dokumentarischen Filmes über ein Orchideenthema wünscht sich ein großes Publikum, diese Art von marktmäßigem Verhalten legen alle Beteiligten an den Tag. Wenn man in der Argumentation erst einmal so weit gekommen ist, kann man neu nachdenken und sich überlegen, wo und wie auf unserem Fernsehmarkt tatsächlich etwas zum Besseren gewendet werden kann.

Das fängt bei der Quotenerhebung selbst an. Man weiß, die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung arbeitet mit einem repräsentativen Panel von rund 5000 Haushalten und 10 500 Personen, die ihr Einschaltverhalten einem von der GfK installierten Gerät anvertrauen. Eine Hochrechnung ergibt dann annähernd die reale Sehbeteiligung in absoluten Zahlen sowie den Marktanteil, der sich auf die Menge aller Fernsehzuschauer in einem bestimmten Zeitraum bezieht. Die Messungen sind immer genauer geworden. So können Fernsehmacher ihnen inzwischen entnehmen, wann relevante Zuschauerströme sich von ihrem Programm verabschiedet haben. Was die GfK indessen nicht misst, sind Aufzeichnungen mit zeitversetzten Sichtungen, sind Mediathekabrufe aus dem Netz und Wiederholungen beispielsweise von ARD-Talkshows in den Dritten Programmen. Und das ist ein großes Manko gerade für solche Sendungen, die, weil man ihnen ein Massenpublikum nicht zutraut, in der Nacht gezeigt werden. Anspruchsvolle Dokus etwa werden, vom Programmablauf und vom Messverfahren, somit doppelt abgestraft: Sie werden ausgestrahlt, wenn die Nation schläft, sie erringen Quoten im kaum messbaren Bereich. Dass aber ein interessiertes Publikum seinen Recorder programmiert oder am nächsten Tag per Mediathek guckt, erscheint nicht in der Messung, obwohl da schon mal einige hunderttausend Zuschauer zusammenkommen können. Man nennt so einen Vorgang selffulfilling prophecy. Ein schwieriges Thema, heißt es, findet sowieso kein Publikum, also ab damit in die Nacht. Und das Publikum, das es via zeitversetztes Fernsehen dann doch gefunden hat, diese Zuschauer zu erfassen, so die zynische Pointe, ist uns leider erst recht zu schwierig. Immerhin, die Debatte um eine Verbesserung der Quotenerhebung ist im Gange, Netzabrufe sollen erfasst werden, obwohl das technisch kompliziert ist. Die AG Fernsehforschung als Auftraggeber der GfK – in ihr sind die vier großen Fernsehfamilien ARD, ZDF, Pro7/Sat1, RTL – fürchtet steigende Kosten. Auf der anderen Seite ist der Werbewirtschaft an einer Verbesserung der Messungen gelegen. Es wird in dieser Richtung einiges passieren.

Ein anderer Punkt ist die Politik. Es müsste doch zu machen sein, unter dem Rubrum Kulturförderung sicherzustellen, dass ein gewisser Sektor im öffentlich-rechtlichen Fernsehen tatsächlich von Quotendruck und Finanzsorgen sehr weitgehend befreit wird, dass also solche Formate gefördert werden, die keinen Anspruch auf Massenunterhaltung entwickeln können und wollen; dafür aber den Anspruch haben, den Menschen schwierige Zusammenhänge zu erklären oder auch, sie zu neuen Sehweisen zu verführen. Vor circa einem Jahr machte ein Buch Furore, das „Der Kulturinfarkt“ hieß und dessen Argument für die Schließung der Hälfte unserer Theater, Museen und Galerien zum Teil darin lag, dass viele dieser öffentlich geförderten Kulturanstrengungen kein „echtes“ Publikum mehr fänden und selbstreferenziell vor sich hin werkelten. Von den Kulturprogrammen des Fernsehens, die seit Jahren halbiert, gestutzt, gestrichen, in die Nacht geschoben und mit Minibudgets abgespeist werden, weiß man, dass ein Publikum existiert, welches der ständig fortgesetzten Kürzungen wegen äußerst frustriert ist. Dieses kulturinteressierte Publikum ist nicht groß genug, um für das Kommerzfernsehen interessant zu sein, aber existent genug, um den öffentlich-rechtlichen Anstalten und den Politikern, die da mitmischen, als ein Faktor des öffentlichen Lebens wichtig zu sein.

Statt ganz bewusst eine Nische zu schaffen und diese programmstrategisch und finanziell abzusichern, beschäftigen manche Politiker sich lieber mit Personalien. So wie Roland Koch, der fand, dass Nikolaus Brender mit seinem Nachrichtenformat nicht genug Zuschauer holte und ihn deshalb als Chefredakteur des ZDF absägte. Da müssen Medien- und Kulturpolitiker wirklich aufpassen: Sie haben den geringsten Grund, die Strategien und Argumente des Privatfernsehens zu übernehmen.

Es ist ja so: Die Quote klärt nur über Quantitäten auf. Über Qualitäten sagt sie nichts. Fernsehen, auch als Markt, braucht die Debatte über Qualitäten, sonst sackt das Medium in Richtung italienische Zustände ab, was keiner will. Qualität kann man nicht so leicht messen wie Quoten, man kann nur in der Debatte Kriterien für sie entwickeln. Ausgerechnet der Chef der Sektion Fernsehforschung in der GfK, Michael Darkow, bedauerte in einem Deutschlandfunk-Interview die Schließung von Medienseiten in Zeitungen, auf denen die Qualitätsdebatte ihren angestammten Platz hat. Der Chef des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, verbringt einen viel zu großen Teil seiner Arbeitszeit mit Fundraising, um sein Institut am Leben zu erhalten – das genau diesen Zweck hat: Maßstäbe für Qualität im Fernsehen zu schmieden.

Wenn beim Fernsehen die Qualitätsdebatte ausdünnt, droht beim Medium und so auch beim Markt Land unter. Natürlich führen auch die Macher Qualitätsdebatten. Aber sie befreien sich dabei selten oder nie vom Quotendruck. Das ist (dual-)systembedingt. Medienseiten, Medienforschung, -tagungen und -institute, eine sie stützende Zuschauerschaft und Politik bilden die unabhängige Macht, die der Quotenfixierung ihre Werte und Kriterien entgegensetzt. Ohne sie wäre das deutsche Fernsehen verloren.

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