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Medien: Fußball Bundesliga: "Alex, bitte!"

Dies waren die unsterblichen Sekunden im Leben des Alexander Bleick. Er saß genau zum richtigen Zeitpunkt im Hamburger Volksparkstadion, und soeben war ihm die Stimme gebrochen: Barbarez hatte tatsächlich das 1:0 für den HSV gegen die Bayern erzielt, in der 90.

Dies waren die unsterblichen Sekunden im Leben des Alexander Bleick. Er saß genau zum richtigen Zeitpunkt im Hamburger Volksparkstadion, und soeben war ihm die Stimme gebrochen: Barbarez hatte tatsächlich das 1:0 für den HSV gegen die Bayern erzielt, in der 90. Minute, das war wie die Verwirklichung eines Traumes. Der HSV spielte ja nicht in erster Linie für Schalke 04 - das natürlich auch, denn durch dieses Tor war Schalke 04 rechnerisch Deutscher Meister, Sekunden vor dem Ende des letzten Spieltages -, der HSV spielte vor allem für die Schönheit, für die Gerechtigkeit, für den Sinn an sich. Alexander Bleick, das hatte er die ganze Zeit vorher bewiesen, wusste das.

Und deswegen spielte der HSV, der lange in Abstiegsängsten gewesen war, auch das beste Spiel der Saison. Für den HSV ging es um nichts mehr, aber es ging gegen Bayern. Es ging darum, ob das Gute oder das Böse siegt. Es ging um die entscheidenden existenziellen Fragen. Deswegen zerrissen sie sich, deswegen kämpften sie bis zum Schluss, deswegen schaffte Sergej Barbarez das 1:0. Und Alexander Bleick war bei diesem Tor direkt auf Sendung, und er wusste, dass sich dieses Tor in Millionen von Ohren vervielfachen würde; er konnte den Torschrei gar nicht ausdehnen, auf dem triumphalen O-Vokal verharren, weil sein Blut zu sehr ins Schießen geraten war; er setzte das kongenial um in ein mehrfaches, stakkatohaftes, kurz abgehacktes "Tor, Tor, Tor". Und allen anderen an den Rundfunkempfängern schoss es dieselbe Blutgeschwindigkeit in die Körper, alle riss es hoch - einmal hätten sich die Bayern verrechnet, einmal wären sie mit ihrem minimalistischen, taktischen Erfolgsfußball an die Grenzen gelangt, einmal hätten sie nicht ihr unverschämtes Glück gehabt, und Manchester wäre ein weiterer Mythos hinzugefügt worden.

Auf Schalke saß Manni Breuckmann, der schon vieles erlebt hatte auf den diversen Reporterplätzen des Ruhrgebiets, aber dass er während dieses Spiels noch einmal mit der Möglichkeit konfrontiert werden würde, dass Schalke Meister würde - nein, das war außerhalb seiner Vorstellungskraft. Immerhin hatte Unterhaching schon 2:0 und 3:2 gegen Schalke geführt, und mit der bloßen Nennung dieser Zahlen hatte Breuckmann schon Abgründe aufgetan. Aber jetzt hatte Schalke doch 5:3 gewonnen; in Schalke war schon Schluss, alles hing jetzt vom Schlusspfiff in Hamburg ab, Breuckmann, kurz gerufen, erstarb die Stimme: "Wir brauchen das Endergebnis, Alex, bitte!"

Blinder Bleick

"Alex, bitte!" Die letzten Worte des alten Recken Breuckmann, kaum noch verständlich, waren für Alexander Bleick der Lebensauftrag, das spürte er. Der Schiedsrichter zeigte an, dass noch zwei Minuten nachgespielt werden sollten. Bleick war auf der Höhe: "Ich kann nichts mehr sehen! Ich muss selbst auf den Stuhl steigen!" Und er ahnte das Unheil, er sprach furchtbare Worte aus, Worte, die das Schlimmste verhießen - das Foul von Kuffour an dem HSV-Torwart Schober, die Verunsicherung Schobers, der indirekte Freistoß für Bayern acht Meter vor dem HSV-Tor, das Auftauchen des zu allem fähigen Oliver Kahn auf der Torlinie des HSV - und dann ...

Alexander Bleick gab uns dennoch Hoffnung. Denn er bewies, was in der Fußball-Konferenzreportage im Radio immer noch möglich ist. Es gibt nach dem auf einsamer Höhe sprechenden Günther Koch durchaus Reporter, die aus einem Fußballspiel etwas herausholen können, die sich die Dramatik zugestehen - die lange Zeit der Sprechfunktionäre, der Nachrichtentechniker, der pragmatischen Informierer neigt sich vielleicht doch dem Ende zu. Allein, wie Koch "die angeblichen Löwen" beim Spiel des TSV 1860 München gegen Cottbus charakterisierte, zeigte seine ganze Größe: sein Vergleich der Trainingskluft von Cottbus-Trainer Geyer mit dem Abendanzug von 60-Trainer Lorant war ein Kabinettstückchen; im sprechenden Detail war sofort alles präsent. Was für ein Gegensatz zu einer Verwaltungschefin wie Sabine Töpperwien, die mit gelangweilter Stimme Sachen sagt, die man nie sagen darf: "Also hier ist Spannung pur" - und das bei Leverkusen gegen Bochum, also bitte!

Und leider nutzte auch jemand wie Jens-Jörg Rieck nicht die Chance, die sich einem Reporter bei einer so fantastischen Mannschaft wie dem SC Freiburg bietet, die mit dem geringsten Etat und dem schönsten Fußball völlig unverhofft einen Uefa-Cup-Platz erreicht. Rieck scheint noch durch die landläufige Managerschule gegangen zu sein; cool und mit markiger Stimme ein bisschen Service zu bieten - da möchte ich dann in Mailand, in Lissabon und im Halbfinale in Barcelona aber andere Töne hören!

Helmut Böttiger

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