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Medien: Ganz nah dran

Vor 15 Jahren entdeckte „Spiegel-TV“ den Sonntagabend für die Politik. Seine Existenz verdankt es dem Privatfernsehen

„Spiegel-TV war eine WG mit Sendeerlaubnis – und ist es im Prinzip immer noch“, sagte Stefan Aust 1998 in Hamburg bei der Feier zum Zehnjährigen von Spiegel-TV. Schon damals beschäftigte die hundertprozentige Tochter des Spiegel-Verlags nicht mehr nur fünf Mitarbeiter, die sich auf zwei Räume mit ausrangierten Möbeln verteilten, sondern fast 200. Heute, fünf Jahre später, sind es über 300 Mitarbeiter. Um im Bild zu bleiben, müsste Aust also eher den Vergleich mit einem Studentenwohnheim bemühen. Das mit der WG sei anders gemeint, sagt Stefan Aust, „Spiegel“-Chefredakteur sowie Gründer und Geschäftsführer von Spiegel-TV. Gemeint sei nicht die schiere Größe, sondern die Aufbruchstimmung, und die könne sich nur dann entwickeln, wenn man etwas Neues anfängt. Und etwas Neues müsse man immer wieder anfangen, nur so lasse sich ein Unternehmen auf Trab halten. Das derzeit Neue sei XXP, der vor zwei Jahren in Berlin gegründete Sender, den Spiegel-TV gemeinsam mit Alexander Kluges dctp (Development Company for Television Program) betreibt.

Es war der 8. Mai 1988, als Spiegel-TV mit dem Magazin bei RTL erstmals auf Sendung ging. Der erste Beitrag erinnerte an den 8. Mai 1945, das Kriegsende, den Tag der Befreiung. „Spiegel TV“ war die erste politische Sendung im damals noch jungen Privatfernsehen, und es war das erste Magazin, das den Sonntagabend, nach dem Spielfilm, als Sendeplatz für politische Information auslobte. Heute gehört der Sonntagabend auf vielen Sendern der Politik. Dem Beispiel „Spiegel TV“ folgte 1990 Sat 1 mit dem „Talk im Turm“ (den Stefan Aust auch eine Zeitlang moderierte – glücklos allerdings), später rückte „Focus-TV“ auf den Sonntag, 1997 kam „Christiansen“ bei der ARD dazu, sie eroberte die Marktführerschaft.

„Spiegel-TV“ hat unter der gewachsenen Konkurrenz gelitten. Ja, es sei sehr schwierig geworden, räumt Aust ein. Die Zeiten, in denen die Sendung durchschnittlich vier Millionen schauten, sind vorbei, aber immerhin: Unter den werberelevanten 14- bis 49-Jährigen rangiert „Spiegel-TV“ am Sonntag vor der früher beginnenden „Christiansen“. Aust nennt weitere Gründe für den Quotenrückgang des „Spiegel-TV-Magazins“, das auf einen Marktanteil von 12,9 Prozent kommt: Erstens gebe es schlicht sehr viel mehr Kanäle als in den Anfangszeiten der Sendung; zweitens hängen die Quoten von ,Spiegel-TV’ immer auch davon ab, wie attraktiv das Vorprogramm ist, wie lange die Werbeunterbrechung vor dem Beginn von „Spiegel-TV“ ist, und wie verlässlich die Anfangszeiten der Sendung sind. Beginnt „Spiegel TV“, bevor der Blockbuster bei Pro 7 zu Ende ist, wirkt sich das negativ aus. Was das Programm anbelangt, in das das „Spiegel-TV-Magazin“ bei RTL eingebettet ist, aber auch die ständig schwankenden Anfangszeiten waren früher oft Anlass für Streitereien mit RTL. Mittlerweile hält sich bei Stefan Aust der Ärger über RTL in Grenzen: So sei das nunmal beim Privatfernsehen, damit müsse man leben. Und „aus tiefstem Herzen, so ich denn eines habe“, sagt Aust, „haben wir ein wirklich gutes Verhältnis zu RTL“. Vergessen ist der Streit, als RTL-Chef Gerhard Zeiler maulte, wenn er für Spiegel-TV verantwortlich wäre, hätte er das Magazin längst eingestellt.

Warum sollte Aust auch böse sein mit dem kommerziell orientierten RTL – schließlich gäbe es Spiegel-TV nicht, wäre nicht das Privatfernsehen eingeführt worden. Seine Existenz verdankt Spiegel TV nämlich medienpolitischen Auflagen für RTL und Sat 1, die zur Sicherung der Meinungsvielfalt Sendezeit an unabhängige Dritte abgeben mussten. Über Alexander Kluges dctp, an der der Spiegel-Verlag beteiligt ist, erhielt der fernseherfahrene Ex-„Panorama“-Redakteur Aust die Möglichkeit, Spiegel-TV ins Leben zu rufen.

Und so kam es, dass ausgerechnet der damals noch als Tittensender verrufene RTL der erste Kanal mit einem wöchentlichen politischen Magazin war. Nicht nur das: „Spiegel-TV“ war auch das erste Fernsehformat einer Zeitschrift. Erst später wollten plötzlich alle Verlage ihre Zeitschriften als Vorbild für ein Fernsehformat nutzen: Vom „Stern“ über „Cinema“, „Auto Motor und Sport“ und „Brigitte“ bis zu „Focus“. Viele floppten. Nicht zuletzt, weil die Verlage nicht erkannt hatten, dass eine Fernsehsendung eben doch anders funktioniert als eine Zeitschrift, und, so Aust, die von den Verlagen angenommene Werbewirkung einer Fernsehsendung auf den Verkauf einer Zeitschrift zu vernachlässigen ist.

Was war das Besondere an „Spiegel-TV“? Mehr als Austs Moderation im Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und Krawatte war und ist es das dokumentarische Erzählen längerer Geschichten mit der Kamera. „Gutes Handwerk in Form eines Dokumentarfilms“ nennt Aust das.

Das Highlight in der 15-jährigen Geschichte von „Spiegel-TV“ war sicherlich Georg Mascolos Beitrag über die Öffnung der Grenze am Übergang Bornholmer Straße. Generell, sagt Aust, sei Spiegel-TV immer dann gut, wenn es darum geht, dort ganz nah dabei zu sein, wo etwas Gravierendes passiert.

Doch das im Mai vor 15 Jahren gestartete „Spiegel-TV-Magazin“ ist bei weitem nicht die einzige Produktion der 1990 als eigenständige Tochter des Spiegel-Verlags gegründeten Spiegel-TV GmbH. 1993 bis 1994 gab es auch das „Spiegel-TV-Interview“ mit Sandra Maischberger, es gab bis 1994 das „Spiegel-TV-Thema“, unverändert gibt es neben dem Magazin die „Spiegel-TV-Reportage“, „Spiegel-TV-Special“, „Spiegel- TV-Extra“ und den „Spiegel-TV-Themenabend“. Doch es dreht sich nicht immer nur alles um den „Spiegel“, schließlich steuert Spiegel-TV auch Dokumentationen fürs ZDF bei und produziert außerdem die Talkshow von Johannes B. Kerner sowie „Wa(h)re Liebe“ bei Vox. Über 900 Sendeminuten stammen pro Woche aus der Fernsehfabrik Spiegel-TV.

Ein bisschen erinnert Stefan Austs Fernsehunternehmen an jenes von Leo Kirch, der auch stets auf der Suche nach Abspielstationen für seine Programmware war. Mit dem Unterschied, dass Kirchs Firma pleite ist und Aust sein Programm nicht einkauft, sondern selber produziert. So nutzte Aust 1994 die Gunst der Stunde und produziert mit Spiegel TV seitdem die Nachrichten des damals finanziell arg angeschlagenen Kölner Senders Vox. Doch Aust wollte mehr, er wollte einen eigenen Sender. Zunächst beteiligte sich Spiegel-TV am Fernsehen aus Berlin (FAB). Ziel war, bei FAB die über Jahre angesammelte Programmware ausstrahlen zu können. Das FAB-Engagement endete jedoch mit dem Start von XXP, dem mittlerweile in mehreren Bundesländern verbreiteten Berliner Ballungsraumsender, das zwei Jahre nach seiner Gründung noch defizitär ist.

Dort, sagt Aust, herrsche die WG-artige Aufbruchstimmung, die für Spiegel-TV immer typisch gewesen sei. Außer zeitlosen Dokumentationen, Themenabenden und dem eigenproduzierten Nachrichtenmagazin „Punkt X“ gibt es dort auch Aktuelles aus dem Pferdesport, Dressurreiten zum Beispiel. Wer Austs Liebhaberei für Pferde kennt, den verwundert das nicht. Auch nicht, dass er plant, bei XXP noch viel mehr Sendezeit fürs Reiten zu reservieren. „Pferdesport birgt eines der großen ungenutzten Zuschauerpotenziale im deutschen Fernsehen“, ist sich der „Spiegel“- Chefredakteur sicher.

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