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© dpa

Geburtstag: Sender wie das Land

Die ARD wird 60. Sie verfügt über eine Erfolgsgeschichte, nicht aber über einen Gründungsmythos. Angesagt ist feiern statt nachdenken

Die Pressemitteilung verspricht uns einen „unvergesslichen Abend“ durch die „ultimative Geburtstagsshow“ mit den „emotionalsten Momenten“, den „größten Stars“ (vulgo: Günther Jauch und Thomas Gottschalk) und „fantastische Ausschnitte“ aus den „beliebtesten Sendungen“ aus 60 Jahren ARD. Das – nach Bertelsmann – mit Abstand größte deutsche Medienhaus kündigt das Fernsehereignis zur eigenen Geschichte also an wie einen x-beliebigen RTL-Rummel. Irgendwie groß soll das Ereignis sein, für jedermann, witzig und unterhaltsam. Die ARD feiert sich, aber nimmt sich nicht ernst. Wie die Bundesrepublik verfügt sie zwar über eine Erfolgsgeschichte, aber nicht über einen Gründungsmythos. Selbst das Datum ist willkürlich gesetzt. Aus sechs Landesrundfunkanstalten wurde die „Arbeitsgemeinschaft“ am 5. Juni 1950 gegründet, das gemeinsame Erste Programm sendet seit dem 31. Oktober 1954.

Am 15. und 17. April nun werden die zuvor sorgsam aufgezeichneten Shows ausgestrahlt. Reinhold Beckmann moderiert und Günther Jauch produziert sie. Sicher wird es Lustiges geben und auch Erinnernswertes – aber kann es das sein? Wenn das Fernsehen eine der stärksten, den Alltag prägenden friedlichen Revolutionen bewirkt hat und die ARD lange „das“ Fernsehen war und heute noch beansprucht, es zu sein – müsste sie dann nicht mehr über sich entdecken und dies anders erzählen?

Eine Geschichte, die zur Schnurre wird, ist da zu wenig. So kommt nicht vor, wie der junge Thilo Koch dem ersten NWDR-Generalintendanten Adolf Grimme vorwirft, ungeeignet zu sein, tiefe Kontroversen im Konsensmedium auszutragen; wie viel Verständnis die erste 14-teilige Serie über die NS-Zeit 1960/61 für die Mitläufer aufbrachte; wie Dagobert Lindlau den Philosophen Max Horkheimer immer wieder in Magazinsendungen unterbrachte; wie Gert von Paczensky und Joachim Fest im NDR vom Hof gejagt wurden; wie die Parteien das Fernsehen okkupierten, als dieses die Politikberichterstattung zu prägen begann; wie lang der Weg war von der Direktive des SWF-Intendanten Friedrich Bischoff an alle Redakteure, Positives und Negatives habe stets „gleichgewichtig“ zu sein, bis zum bahnbrechenden Beschluss von 1972, den Radikalenerlass nicht auf die eigenen Funkhäuser anzuwenden. Die Geschichte des Films „Bambule“, der 24 Jahre lang nicht ausgestrahlt wurde, wäre ebenso zu erzählen wie die bereits 1974 erfolgte Live-Ausstrahlung einer Abtreibung zu erklären.

Tatsächlich verläuft die Geschichte der ARD, die heute jährlich rund fünf Milliarden Euro einnimmt und mehr als 20 000 Menschen fest beschäftigt, in steter Expansion bis hin zur heutigen institutionellen Verfestigung oft parallel zur bundesrepublikanischen Entwicklung. Sie ist föderal gestartet und trotz regionaler Vielfalt längst stark zentralisiert. „Tagesschau“, „Sportschau“, „Tatort“ und „Lindenstraße“ zeugen von stabiler Kontinuität. Die einstige DDR ist nur noch in Spuren mental präsent, ansonsten komplett aufgesogen worden. Wie das Land ist die ARD ein ökonomischer Riese mit vielen strukturellen Defiziten. Sie ist unbeweglich und überaltert. Nach „Beatclub“ und „Rockpalast“ verabschiedete sie sich von der Jugendkultur. Es gibt einen Generationenabriss, aber kaum Ideen, ihn zu kitten. Selbst vor der Bundestagswahl findet die wichtigste Sendung für die Jugend bei Stefan Raab statt, dem die ARD inzwischen sogar ihr einstiges Flaggschiff, den „Eurovision Song Contest“ zur Reanimation übergab. Da nimmt es nicht Wunder, dass die Show zum eigenen Geburtstag ebenfalls an den RTL-Star Günther Jauch als Produzenten outgesourct wird, der sie sicher handwerklich prima bewältigen wird.

Die ARD versteht sich immer weniger als Gemeinschaft der redaktionellen Gestalter und TV-Produzenten denn als wichtigster Plattforminhaber, Markenbetreiber und Distributor von anderswo entwickelten Inhalten. Die Produktionsweise hat sich grundlegend verändert – wie im Land auch gibt es in der Stilistik der Eigenrepräsentation dabei wenig Eleganz.

Natürlich war für die ARD der Weg vom Monopol zum Wettbewerb mit den Privaten einschneidend. Die öffentlich-rechtliche Ursprungsidee, den Zuschauer als Bürger und nicht als Kunden anzusprechen, ist dabei ramponiert worden. Mit der verspäteten und dann zunächst rasanten Entwicklung des Privatfernsehens verschoben sich die Maßstäbe. Fernsehschaffende wurden zu fanatischen Anhängern der großen Zahl.

Rund um die Sender, egal ob sie nun privatwirtschaftlich organisiert sind oder sich aus Gebühren finanzieren, hat sich längst eine Produktionslandschaft entwickelt. Zum Teil ist sie noch mittelständisch geprägt. Viele dieser Firmen sind Töchter der öffentlich-rechtlichen Sender, die tun, was diese einst tun sollten: Programm herstellen. Klare Vergaberichtlinien gibt es nicht. Diese Firmen, ob Brainpool oder Studio Hamburg, verfügen längst über alles, was ein Sender braucht – vom Studiobetrieb bis zum Catering. Sie können Serien und große Filme, Talkshows und Unterhaltung, oft billiger und besser als die Sender selbst.

Deren Manager kümmern sich um Programmfarben und das Image, die Performance und das Marketing. Welcher Intendant oder leitende Redakteur könnte heute noch wie einst Eugen Kogon oder Walter Diercks, Hajo Friedrichs oder Gerd Ruge; Hans Bausch, Friedrich Nowottny oder Fritz Pleitgen eine das Land mit prägende intellektuell-publizistische Ausstrahlung für sich beanspruchen?

Auch darin zeigt sich: Das Fernsehen ist zu einem Nebenbei-Medium geworden. Das führt im Management vor allem dazu, dass es das eigene Medium weniger ernst nimmt. Statt nachzudenken über dessen Stil und Ästhetik, statt zu überlegen, wie Bürgerbeteiligung und Repräsentanz auch formal interessant gestaltet werden können, gibt es vor allem Anpassung an neue Nutzungsgewohnheiten und technische Möglichkeiten.

Seit Egon Monk und Klaus Wildenhahn gibt es im und durch das Fernsehen kaum noch ästhetische Umwälzungen. Dabei muss es, gerade wenn es auf das Internet ausstrahlen will, über seinen spezifischen Wort-Bild-Journalismus neu nachdenken, vermutlich den öffentlich-rechtlichen Auftrag durch Öffnung hin zum Bürger als Produzenten grundlegend erneuern und formgebend gestalten.

Die ARD hat sich für den 15. und 17. April anders entschieden: Feiern statt Nachdenken. Alles soll – wie gewohnt – behaglich und vergnüglich werden. Auch hier ähnelt die ARD dem Land: Das Brodeln und die diffuse Unsicherheit werden weggelächelt, Kontinuität soll siegen, Reformen sollen nicht wehtun. Wie dem Bürger, so wird dem Zuschauer lieber nichts zugemutet.

„Glückwunsch ARD!“, am 12. April, um 21 Uhr; „60 Jahre ARD“, Teil 1, am 15. April, 20 Uhr 15; Teil 2, am 17. April, 20 Uhr 15

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