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Medien: "Gefängnisbilder": Wie Gladiatoren ohne Publikum

Harun Farocki, 55, lebt als Filmemacher in Berlin und macht vor allem dokumentarische und essayistische Filme. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören ("Etwas wird sichtbar", 1980, "Leben BRD", 1989).

Harun Farocki, 55, lebt als Filmemacher in Berlin und macht vor allem dokumentarische und essayistische Filme. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören ("Etwas wird sichtbar", 1980, "Leben BRD", 1989). 3 sat zeigt um 21 Uhr 15 seinen Film "Gefängnisbilder". ist heute abend um 21 Uhr 15 in 3 sat zu sehen. Danach, zeigt 3 sat ein Gespräch mit dem Berliner Filmemacher, geführt von Dietrich Leder. Zum Weiterlesen: "Der Ärger mit den Bildern - Die Filme von Harun Farocki", herausgegeben von Rolf Aurich und Ulrich Kriest, 426 Seiten, Konstanz 1998.

"Gefängnisbilder" zeigt und kommentiert vorhandene Bilder - Bilder aus Filmen von Bresson und Genet, Bilder von Überwachungskameras in kalifornischen Hochsicherheitsgefängnissen. So entsteht eine Skizze der Mythen des Gefängnisses. Warum diese Kritik der Bilder? Warum keine eigenen Bilder?

Zunächst weiß ich nicht, was für Bilder ich in einem Gefängnis aufnehmen sollte. Ich kann nur Dinge aufnehmen, die ich kenne, so wie ich nicht über ein Buch sprechen kann, dass ich nicht ausreichend gelesen oder verstanden habe. Außerdem ist es gar nicht sicher, ob man noch eigene Bilder machen kann. Ich war oft an einem Schauplatz und die dort Arbeitenden sagten mir: normalerweise stellen die Teams die Kamera hier, hier und hier auf. Es wurde mir klar, dass ich keine nachdrücklich eigenen Bilder machen kann. Dass es eher gilt, vorhandene zu lesen, indem ich sie in bestimmte Zusammenhänge bringen. Es ist mit den Bildern wie mit den Worten: in jedem Wort ist das vorher Geschriebene, Gesagte anwesend.

Dieser analytische Blick auf Bilder ist selten. Es gibt ein ausgeprägtes Vermögen, Worte zu deuten und zu kritisieren, aber nichts Vergleichbares für Bilder - obwohl Bilder immer mächtiger werden. Warum diese Unangemessenheit?

Die Schrift ist das Leitmedium. Die Diskurse in Politik und Wirtschaft sind noch immer schriftlich. Ich würde aber sagen, dass die Fähigkeit, Bilder zu lesen, in den letzten zwanzig, dreißig Jahren zugenommen hat. Das schlägt sich bloß im Schreiben über Film wenig nieder: "Schöne Bilder, Kamera: Herr Maier", das gibt es noch immer in den Kritiken. Aber trotzdem wächst das Verständnis, dass Bilder wie Worte Phrasen sein können. Das dauert allerdings, weil die Idee, Bilder- wie Sprachkritik zu betreiben, noch sehr neu ist. Vielleicht ist es auch so, dass es schon ein Vermögen gibt, Bilder zu sehen, aber keine entsprechenden Denkstrukturen. Wir sehen fünfzig TV-Kanäle, aber wir finden keine Worte für das, was wir sehen.

In der zentralen Szene des Films sieht man, wie ein Häftling eines kalifornischen Gefängnisses im Hof von einem Wärter erschossen wird. Aufgenommen von einer automatischen Überwachungskamera, gesehen aus der Perspektive des Wärters. Das ist ein extremes Bild: ein echter Tod, ein snuff movie. Wie vermeidet man, das Obszöne dieses Bildes bloß zu verdoppeln?

Man muss einen Zusammenhang schaffen. Deshalb sieht man dieses Bild nicht am Anfang des Films, eher gegen Ende. Und davor zum Beispiel, wie Gefängnisse gebaut werden, wie also dieser Unort, der Hof, auf den sich alles zuspitzt, entsteht. Die Gefangenen in diesem Hof kämpfen miteinander. Sie sind wie Gladiatoren, ohne Publikum. Und die Überwachungskameras nehmen die Position des römischen Stadtproletariats ein.

Die Gefangenen wissen, dass sie erschossen werden können. Trotzdem kämpfen sie. Das ist wie ein Rollenspiel, deshalb vielleicht auch der Eindruck von Schauspiel, den diese Bilder haben. Warum tun sie das? Warum riskieren sie ihr Leben?

Die Gefangenen haben nichts als ihren Körper und die Zugehörigkeit zu einer Gang. Im Gefängnis bringen sich viele, sehr viele um.

In dem Film sieht man Ausschnitte von Bresson und Genet: Da erscheint der Knast als Ort sexueller Übertretung und als Ort, wo der Einzelne in einer Ursituation ist, wo er sich selbst als Mensch, als Arbeiter wieder erschaffen muss. Das sind die Mythen. In den videoüberwachten US-Gefängnissen gibt es keine Geheimnisse mehr, keine Mythen, sondern die totale Kontrolle.

Auch diese Hochsicherheitsgefängnisse haben Verborgenheiten. Die Idee, dass der Wärter den Gefangenen total kontrollieren kann, funktioniert nicht. Das wäre für den Wärter eine solche Last, dass er lieber eine Dunkelzone lässt. Der Wärter braucht etwas, um regulieren zu können. Wenn er dem Häftling nichts mehr wegnehmen kann, kann er keinen Druck mehr ausüben. Deshalb wird in den Gefängnissen ja auch der Schwarzmarkt zugelassen, als Regulativ.

"Gefängnisbilder" ist nicht nur eine Analyse von Bildern, sondern auch eine Kritik an Gewalt-Politik ...

Ja. Die Kriminalität in den USA sinkt, die Zahl der Gefangenen steigt. Und 80 Prozent sitzen wegen Drogendelikten. Vor allem Farbige. Es gibt Theorien, dass die Weißen damit eine neue Form von Sklaverei einführen. Das glaube ich nicht. In manchen Bundesstaaten werden nur ein paar Cent am Tag für die Arbeit der Gefangenen bezahlt. Die können mit chinesischen Gefängnissen konkurrieren. Ich glaube aber trotzdem, dass Marx Recht hat: Die freie Lohnarbeit ist die effektivste für den Kapitalismus.

Warum bringt eine freie Gesellschaft wie die US-amerikanische so barbarische Gefängnisse und die Todesstrafe?

Das ist vielleicht zu rational gefragt. Ich glaube, das wurzelt in der Geschichte der USA. Die Siedler waren herrschaftskritisch und obrigkeitsfern. Sie haben mit der europäischen Vorstellung von Herrschaft gebrochen. Deshalb steht das persönliche "Streben nach Glück" in der Verfassung. Dazu gehört die Idee, eine freie Assoziation zu bilden - das ist eine kommunistische Tendenz, die noch sehr lebendig ist in den USA. Kurz gesagt: Sie sind den König los geworden, aber die Kirche nicht. Und das Religiöse ist übersteigert. Deshalb dieses "Auge um Auge, Zahn um Zahn".

Harun Farocki[lebt als Filmemacher in Berlin], 55[lebt als Filmemacher in Berlin]

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