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Medien: Geheuert und gefeuert

Nach hundert Tagen muss Marc Conrad bei RTL wieder gehen. Der Vorwurf lautet: Führungsschwäche

Eine Maßnahme zwischen Panikattacke und Vollbremsung: Nach nur dreieinhalb Monaten trennt sich der private Fernsehsender RTL von seinem Geschäftsführer Marc Conrad (44). Die Leitung des Senders übernimmt wieder Conrads Vorgänger und Chef der international agierenden RTL-Group in Luxemburg, Gerhard Zeiler (49). Zeilers Stellvertreterin wird Anke Schäferkordt (42), die derzeit den Privatsender Vox leitet. Dies teilte RTL am Donnerstag mit. Zeiler übernahm die Verantwortung für den Rauswurf und betonte zugleich, Conrad sei ein herausragender Fernsehmacher und Kreativer. „Dass wir beschlossen haben, die Zusammenarbeit in der bestehenden Form nicht fortzuführen, bedeutet nicht, dass wir nicht auch künftig zusammenarbeiten werden.“ Für den geschassten Geschäftsführer Conrad „waren die vergangenen Monate interessant und lehrreich“, auf die künftige Zusammenarbeit mit Zeiler und RTL freue er sich.

Nein, es gebe keinen Streit. Verstehen könne er seinen Rauswurf aber nicht, er sei für ihn überraschend gekommen, sagte Conrad im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Vorgeworfen wird ihm, er habe weder innerhalb des Senders noch nach außen die Richtung gezeigt, in die sich RTL entwickeln soll. Gefährlich sei diese Orientierungslosigkeit geworden, weil sie bei der Werbewirtschaft zu Unsicherheit geführt habe, heißt es bei RTL. „Die wollen wissen, ob ihr Geld gut angelegt ist, wenn sie bei RTL werben.“ Conrad kontert: „Nur ein Blender kann sich schon nach sechs Wochen hinstellen und eine Vision verkünden. Man braucht 100 Tage, um Substanzielles sagen und den Weg vorgeben zu können.“ Jetzt sei er soweit gewesen, seine Vision habe er im gerade erschienenen Interview mit „epd Medien“ erläutert.

Doch da war es schon zu spät. Am Montagabend teilte ihm Zeiler die Entscheidung mit. Erst danach las Zeiler das Interview. Er fühlte sich bestätigt. Kenntnisreich hat Conrad über die Psychologie von Programmen gesprochen. Für Zeilers Geschmack viel zu vorsichtig hat sich Conrad zu jetzt anstehenden Plänen und zu den Zielen seines Managements geäußert.

Conrad wird bei RTL vorgeworfen, er habe seine Führungsaufgaben nicht wahrgenommen. Er kenne den Sender zwar aus seiner Zeit als Programmdirektor unter Gründungschef Helmut Thoma. Seither sei jedoch viel passiert. Offensichtlich habe man sich geirrt, als man dachte, Conrad beherrsche das Denken, das der Geschäftsführer eines TV-Konzerns mitbringen müsse. Zeiler habe die Notbremse ziehen müssen. Dass er wieder die Geschäftsführung übernimmt, würde in der Außenwirkung als Zeichen der zurückgekehrten Stabilität und Sicherheit verstanden.

Gerhard Zeiler nimmt sich in die Pflicht. Sein „Mann“ ist gescheitert, da muss er sich herausgefordert fühlen, wieder beide Aufgaben – die abgeschüttelte Last als Chef von RTL Deutschland und die gewünschte Aufgabe als Beiratsvorsitzender der RTL- Group – zu schultern. Mit Anke Schäferkordt hat er sich und dem Sender eine Perspektive gegeben: Nicht, wie bei Conrad, die vollständige Übergabe an einen Nachfolger, sondern jetzt der Aufbau einer potenziellen Nachfolgerin. Zeiler erklärte, in den vergangenen Jahren habe der Fokus auf der Stärkung der kleinen Sender in der RTL-Gruppe gelegen, künftig werde die Konzentration wieder auf RTL gerichtet.

Helmut Thoma sagt, Conrad hätte den von Zeiler hinterlassenen Sender in einer unerwartet schlechten Situation vorgefunden. Thoma hat den Eindruck, der Grund sei, dass Zeiler nach seinem Start bei RTL Ende 1998 nicht ins Programm investiert habe. Ihn wundert das nicht, denn Zeiler habe „in seiner beruflichen Laufbahn“, sei es bei Tele München, sei es bei RTL 2 oder in Österreich, „kaum etwas mit Programm zu tun gehabt“. RTL fehle einerseits der Sport, Fußball gebe es keinen, Skispringen habe sich überlebt, und um die Formel 1 attraktiv zu halten, gebe es kein zusätzliches Geld. Andererseits habe RTL nicht in neue Produktionen investiert und arbeite mit Serien, die aus der Zeit vor Zeiler rührten, als Conrad Programmchef war, wie Thoma meint. Um neue Ware zu produzieren, fehle wiederum das Geld, weil der Mutterkonzern Bertelsmann von RTL gewohnt ist, stets hohe Gewinnausschüttungen zu erhalten. Selbst wenn Conrad hätte investieren können: 100 Tage sind zu kurz, um Erfolge vorzuweisen.

Der Marktanteil und die Quoten gelten im TV-Bereich als unabweisbarer Gradmesser für Erfolg oder Misserfolg. Und, Überraschung, mit Conrad ist RTL seit November 2004 nicht eingebrochen. Die Marktanteile bei den 14- bis 49-Jährigen, von November bis Februar: 17,4, 15,8, 15,9 und 15,8 Prozent. Gesamtanteil 2004: 16,8 Prozent. Wobei RTL selbst darauf hinweist, dass den Quoten im Winter die Zahlen für die Formel-1-Übertragungen fehlen, dass im Januar 2004 mit der „Dschungelshow“ herausragende Quoten eingefahren worden seien.

Doch eine „Dschungelshow“ mag Quoten bringen, ist aber kein Umfeld, in dem Werbekunden ihre Produkte sehen wollen. Um von der Werbung unabhängiger zu werden, wie Zeiler zuletzt immer betonte, hätte RTL die Möglichkeit, mit Klingelton-Werbung, Telefonquiz oder Sexclips Erlöse zu generieren. Dann wären wohl die letzten Werbekunden weggelaufen. Aus diesem Dilemma kann sich nur befreien, wer Zeit und Geld bekommt, um in anspruchsvollere Produktionen zu investieren. Conrad hatte die Zeit nicht. Das Dilemma bleibt. Nun muss es Zeiler lösen – bevor Schäferkordt übernimmt.

Die unauffällige, aber erfolgreiche Schäferkordt kennt RTL. Zwischen 1991 und 1995 hat sie für den Sender im Controlling gearbeitet, ehe sie zu Vox wechselte: Kaufmännische Leiterin, Programmdirektorin, Geschäftsführerin. Mit aufwändigen Dokumentationen und internationaler Programmware, insbesondere US-Serien, ist Vox stetig nach oben geklettert. Bei den Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren, die Währung bei der werbetreibenden Industrie, konnte der Jahresmarktanteil von 3,9 Prozent im Jahre 2000 bis zur jetzigen Rekordmarke von 6,9 Prozent in diesem Februar hochgefahren werden.

Als oberste Priorität bei RTL gilt jetzt, den verunsicherten Werbekunden und Agenturen zu sagen, wohin die Reise geht. Die erste Maßnahme bestand darin, Conrad zu opfern.

Von Montag an wird Conrad, der bei RTL einen Vierjahresvertrag hatte, wieder als Produzent arbeiten. Im April kommt sein nächster Film mit Armin Rohde und Uwe Ochsenknecht. Darauf freut er sich.

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