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Medien: Gerd Ruge im Gespräch: Ein sehr praktischer Mensch

Gerd Ruge, 73, ist der unbestrittene Globetrotter unter den deutschen Journalisten. Ruge war für die Zeitung "Die Welt" in China, für die ARD arbeitete er in Washington und in Moskau.

Gerd Ruge, 73, ist der unbestrittene Globetrotter unter den deutschen Journalisten. Ruge war für die Zeitung "Die Welt" in China, für die ARD arbeitete er in Washington und in Moskau. In den letzten Jahren verwöhnte der Russland-Experte sein Publikum immer wieder mit epischen Reise-Reportagen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Jetzt wurde der Journalist mit dem Hanns Joachim Friedrichs-Preis ausgezeichnet.

Herr Ruge, Wieder einmal ist Ihre Lebensleistung gewürdigt worden, diesmal mit dem Hanns Joachim Friedrichs-Preis. Bei all den Ehrungen - können Sie sich da noch freuen?

Aber natürlich. Ich freue mich sogar ganz besonders über den Hanns Joachim Friedrichs-Preis. Zum einen, weil ich mich mit Alexander Kluge und mit Günter Gaus, die gemeinsam mit mir auszeichnet worden sind, in bester Gesellschaft befinde. Zum anderen auch aus sentimentalen Gründen. Denn immerhin habe ich Hajo Friedrichs seit 1956 gekannt; wir haben auch sehr lange zusammengearbeitet, was mir als sehr angenehm in Erinnerung geblieben ist.

Bei allem, was Sie erlebt haben, gibt es auch etwas, was Sie versäumt haben, was vielleicht unerreicht bleiben wird?

Ich bin kein großer Träumer, sondern eher ein sehr praktischer Mensch. Die Dinge, die mich interessiert haben, die habe ich dann auch möglichst rasch realisiert. Meine Neugier auf die Welt besteht nach wie vor, ich könnte aber jetzt nicht sagen, dass ein ganz bestimmter Ort Ziel meiner Sehnsucht wäre. Es gibt viele Orte, die mich noch interessieren. So werde ich Sommer drei Filme über den Süden Afrikas machen, und mich interessiert es sehr, ob es mir gelingt, den Zugang zu den Menschen dort zu finden.

Sie haben die meiste Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet. Wie beurteilen Sie als "Auslandsdeutscher" die Nationalstolz-Debatte?

Diese Debatte scheint mir eine künstlich vom Zaun gebrochene, politische Auseinandersetzung und damit eigentlich völlig absurd. Je länger ich im Ausland bin, desto bewusster wird mir überhaupt erst, dass ich Deutscher bin. Warum das dann aber ein Grund dafür sein sollte, besonders stolz zu sein, das verschließt sich mir völlig.

Wie bewertet man die Debatte in Russland?

Die Russen selbst fühlen sich einerseits ganz wohl dabei, Russen zu sein, andererseits werden sie immer wieder geplagt von einem großen Minderwertigkeitskomplex, man schwankt also ein wenig zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass man dort sogar noch stolz darauf ist, wenn alles mal wieder besonders schief geht. Ich selbst bin das letzte Mal vor etwa drei Wochen in Rußland gewesen und ich konnte nicht feststellen, dass man unsere Nationalstolz-Debatte dort wirklich wahrgenommen hätte. 99 Prozent der Russen dürfte das auch gar nicht interessieren.

Weil die Russen andere Probleme haben, etwa mit der Pressefreiheit, wie die Übernahme des regierungskritischen Privatsenders NTW durch den staatlich kontrollierten Energiekonzern gezeigt hat?

Es geht längst nicht nur um diesen Sender, die Pressefreiheit an sich ist ein großes Problem in Rußland. So ist beispielsweise die gesamte Provinzpresse abhängig von den kommunalen Behörden, den Bürgermeistern, den Gouverneuren - ganz einfach, weil die wirtschaftliche Basis vollkommen fehlt. Und das gleiche gilt für alle Fernseh-Sender, eben nicht nur für NTW. NTW selbst wiederum hat sich zwar in der Tat regierungskritisch gegeben, war aber auf Gedeih und Verderb abhängig von den Interessen des Unternehmers Wladimir Gussinski, der sein Geld in den Sender investierte ...

so dass von wirklicher Pressefreiheit keiner sprechen konnte ...

Genau. Ich halte die Proteste gegen die Übernahme zwar für richtig und notwendig, sehe aber auch, dass es unter wirtschaftlichen Aspekten überhaupt keine andere Möglichkeit mehr gab. In Rußland ist einfach kein System gefunden worden, die Verantwortung und die Freiheit vor allem der Fernseh-Journalisten wirklich sicherzustellen. Anfang der 90er Jahre hat man das versucht, ist aber nur auf wenig Interesse gestoßen. Man hat damals geglaubt, Pressefreiheit besteht schon dann, wenn die Medien nur nicht staatlich geführt sind; heute weiß man natürlich auch in Russland, dass das ein fataler Irrtum ist.

Hat der russische Präsident Putin, immerhin ein ehemaliger KGB-Mann, überhaupt ein Interesse an Pressefreiheit?

Ich glaube schon, dass ihm klar ist, dass er auf Dauer mit einer rein staatlich kontrollierten Presse nicht leben können wird. Das Land braucht einfach eine Selbstkontrolle, und er weiß das auch. Das große Problem ist, dass es keine Regeln gibt, weder für das staatliche noch für das private Fernsehen, die die Fairness der Berichterstattung garantieren würden. Da muss unbedingt eine Lösung gefunden werden.

Sind Sie froh, in einer Zeit Korrespondent gewesen zu sein, in der man nicht jeden Tag eine neue Sensation liefern musste?

Das war in mancher Hinsicht schon ein Vorteil. Bedenken Sie, dass man zum Beispiel noch vor zwölf Jahren aus Moskau nach Deutschland nur unter sehr großen Schwierigkeiten telefonieren konnte. Das dauerte manchmal zwei, drei Stunden, bis die Verbindung stand. Das gab einem schon eine gewisse Ruhe, alles noch einmal zu überdenken.

Heute stehen viele Korrespondenten im Wettbewerb um die stets aktuellste Meldung.

Ich hoffe, dass sich das wieder einpendelt. Es muss ein gutes Verhältnis gefunden werden zwischen dem, was man an aktueller Berichterstattung von den Korrespondenten verlangt, und dem, was diese an Hintergrundberichten liefern sollen. Trotzdem sehe ich in der Mehrheit immer wieder interessante Berichte, wobei ich auch nicht verschweigen möchte, dass ich mich bisweilen nach einem Beitrag frage: Wie ist der denn Korrespondent geworden?

Herr Ruge[Wieder einmal ist Ihre Lebensleistung g]

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