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Show bloß nicht hin: Heidi Klum kürt wieder Topmodels

© ProSieben/Rankin

Update

"Germany's Next Topmodel"-Livekritik: "Die haben Sparkle im Auge"

Der Winter ist Trash-Saison im deutschen Fernsehen: Heidi Klums Catwalk-Casting "Germany's Next Topmodel" startete mit Aschenputtel-Highheels und Zahnspangen-Entlein. Eine Show voller Mädchenmärchen ist es trotzdem nicht - eine Rezension in Sendungsschnelle.

Die folgenden Ereignisse spielten sich zwischen 20.15 Uhr und 22.45 Uhr am Donnerstagabend ab. Versuch einer Live-Rezension:

Zugegeben, ein bisschen weiß ich schon: "Germany's Next Topmodel", das ist eine Castingshow mit Heidi Klum. Sie läuft lange genug, um von seinen Fans mit einer Abkürzung ("GNTM") geadelt worden zu sein. Sie läuft auch lange genug, um Politiker, Neider, Gutmenschen auf die Schlankheitsbarrikaden geschickt zu haben. Und dann läuft "GNTM" wohl auch lange genug - nunmehr ist's die neunte Staffel - um ebenjene Barrikaden immer wieder wie eine heiße Zucker-Meringue in sich zusammensacken zu lassen. Was ich auch weiß: Heidi Klum ist immer dabei, Wolfgang Joop nun erstmals. Der dürfte - noch etwas, dass ich erfahren habe - durch den immer stärkeren Quotenhype der vergangenen Staffeln angelockt worden sein.

20.14 Uhr Wenn ich die Show bisher gesehen habe, dann immer mit halbem Gehör - ganz dem Heidi-Quietsch geschuldet. Nun wird das hier der Versuch einer Live-Rezension: Quietscht Heidi immer noch? Oder kommt auch Joop zu Wort? Sind die Models immer noch Staffage - oder tatsächlich mal Inhalt geworden?

20.23 Uhr Heidi hat "die schönsten 70 Mädchen" eingeladen, sagt sie in den ersten Minuten. Ich nehme an, von Deutschland. 15.000 sollen sich insgesamt beworben haben. Aber eigentlich geht es bei "GNTM" nur am Rande um die "GNTMs" - sondern vor allem um Heidi. Die ersten Sendeminuten gehörten ihr und ihren Co-Juroren. Heidi und Thomas Hayo (der mit Bart) sitzen im Auto und reden über ihren Neuzugang Wolfgang Joop: "Ich glaub, die Zuschauer kommen voll auf ihre Kosten." Dann witzeln sie, man könne ihn "Wolle" nennen. Und "Wolle" wird zwischengeschnitten, auch im Auto sitzend, alle sind aufgeregt. Wolle sagt, er sei hier, "um gut auszusehen". Erst dann geht es um die 70 Mädchen - kurz, bevor die Kamera zu Wolle und Heidi zurückkehrt. Sie: "Du darfst mich Heidi nennen". Na, dann ist ja alles klar.

Wenn Heidi rosa Schühchen verteilt, dann ist da viel Aschenputtel drin - aber kein Interesse an den Mädchen

20.36 Uhr Okay, ich war ungerecht: Es geht doch auch um die Mädchen. Immer zu dritt müssen sie vor die drei Juroren - die mit großen goldenen Schirmen wie Cäsaren beleuchtet werden. Also die Mädchen treten zu einer Art "Petite Battle Royale" an, Daumen hoch und runter wird gezeigt, wenn Heidi rosa Highheels verschenkt - einer für die Warteliste, ein Paar für ei sicheres "Du bist weiter". Das sieht nicht nur plakativer aus als ein ausgedrucktes Foto, das ist auch direkt aschenputtelesk.

Und im Mädchenmärchenproduzieren ist Heidi gut: Da ist zum Beispiel Anna aus Ostfriesland, die eine Zahnspange trägt. Sie beteuert, dass der Zahnarzt meint: Wenn Catwalk, dann darf die Spange raus. Die Juroren beschmunzeln das und wollen dem vermeintlich hässlichen Entlein gleich mal die Federn rupfen: Klamotten runter, Bikini an! Die anderen beiden Kandidatinnen werden von "Wolle" abgewatscht ("Sie ist schon so elegant. Da kann man nicht mehr formen"), Anna aber hat sich nun bloßgelegt und, ach, ihre Schönheit offenbart. Ich freue mich schon jetzt auf das Aufbrechen der Zahnspange...

20.37 Uhr Warum redet Wolfgang Joop eigentlich immer wieder Englisch? Might be some Potsdam shit, you know...

21.02 Uhr Mir blieb noch kein Name der bisherigen Gewinnerinnen haften. Oder auch anderer Teilnehmerinnen. Allein Larissa Maroldt kenne ich, aber das lag an einem anderen Trash-Format. Nun könnte es sein, dass ich mir die ganzen Annas, Tanjas und Susannes nicht merken kann - oder es liegt daran, dass das Sendekonzept von vornherein Stereotypen produziert. Das hässliche Entlein ist ja schon ausgemacht. Im letzten Jahr gab es da eine Kirchenmaus, die von Heidi lange durchgeboxt wurde und immer wieder als "Entdeckung" gepriesen wurde. Wahrscheinlich war das Mädchen tatsächlich toll, aber sie sollte nun mal nur "Kirchenmaus" sein. Bin mir sicher, dass "Zahnspange" die neue "Kirchenmaus" wird.

Damit die Kandidatinnen in Rollen passen, verkleiden sich die Juroren schon mal als Cowboy

Weitere Rollen, die sicher wieder dabei sind: die Zicke, die Ehrgeizige, die mit dem Schokoriegel-Problem oder eben auch die vom Lande. Letzte wurde gerade mit einem Einspieler vorgestellt. Schon damit die Fallhöhe zünftig crasht, wurde der Juror mit dem Bart extra mit dem Auto losgeschickt. "Das ist ja ein Kulturschock", sagt er und fährt durch ein ganz durchschnittsbayrisches Dorf, "bisschen weniger los als bei mir in New York". Dann sieht er sich Tracht an, klopft im Wirtshaus Karten und bestellt ein großes Bier. Die Maskerade ist so gut das, joa mei, die zu castende Kellnerin, den Juror gar nicht erkennen mag. Es sei ihr verzeihen: In echt sind die aus dem Fernsehen ja immer viel kleiner.

21.12 Uhr Nur eine Werbepause, und der gleiche Gag noch mal: Thomas Hayo diesmal mit Cowboyhut auf dem Pferdehof.

21.31 Uhr Ich gönne mir den Luxus, "GNTM" mit Second Screen zu schauen. Das erlaubt gleich zwei Beobachtungen: a) wie sich ProSieben seine Zuschauer(innen) erzieht und b) wie endlos lang so ein Zehn-Minuten-Werbeblock-Monster eigentlich ist. Denn bei seinem Livestream ProSieben-Connect kann der Fernsehsender die eingekaufte Werbung nicht zeigen. Gähnend lange steht dort "Gleich geht's weiter", während herkömmliche Fernsehzuschauer mit Schampoo-Werbung bestraft werden. Das hat eine buddhistische Ruhe, wahrscheinlich das Schönste an der ganzen Sendung. Aber zurück zum a), der Erziehung!

Teil zwei: Wie ProSieben im Second Screen die Zuschauer mit perfiden Fragen trainiert

Bei der Connect-Plattform werden von der ProSieben-Redaktion auch minütlich mit Abstimmungen traktiert. Während ein Timer abläuft, müssen alle ganz rasch auf vorgegebene Antworten klicken. "Wie würdest du zum Casting kommen", wird da gefragt, "Klassisch mit Jeans" oder "Stylish"? 82 Prozent haben sich für die Jeans entschieden, das ist Zuschauerkonditionierung und Werbemarkt-Analyse in einem. Auch die Einstimmung auf den kommenden Läster-Zirkus wird vorbereitet: Wie gefällt dir dieses oder jenes Mädchen? Was sagst du zur Haare-ab-Aktion von Heidi? Sollte sie tatsächlich mehr abnehmen? Die Zuschauer im Netz sind mit ihren Click-Fingern zum Teil härter als Heidi in der Sendung. Und posten dies: "oh gott ... voll blondie die eine :X"

21.36 Uhr Wenn Sie hier nur aus Versehen gelandet sind: Wir berichten auch über die Steueraffäre rund um Klaus Wowereit oder über den Bürgerkrieg in Syrien.

Fremdschämen für die Zuschauer wird auch einkalkuliert: Wo und was, bitte, ist Singapur?

21.48 Uhr Aus den 70 Kandidatinnen wurden mittlerweile 50 extrahiert. Die fliegen nun nach Singapur, um dort zu - ach, keine Ahnung. Aber auch die Mädels hatten keine Ahnung, was von der Kamera gut zelebriert wurde: Mit einem launigen Zusammenschnitt werden die Mädchen vorgeführt, die raten dürfen, was und wo Singapur eigentlich ist. "Asien" kristallisiert sich irgendwann heraus, Heidi gibt aus dem Off dann noch "Stadtstaat" und "malaiische Halbinsel" als Stichworte. Und dann natürlich: "Das ist schon ein bisschen Luxus jetzt!" Das ist natürlich wieder die Vom-Lande-Erzählung, aber dann auch das, was Trash-TV für so viele Zuschauer immer wieder gut macht: diese Mischung aus Fremdschämen und Besserwissen.

Die drei von der Tankstyle: Thomas Hayo, Heidi Klum und Wolfgang Joop
Die drei von der Tankstyle: Thomas Hayo, Heidi Klum und Wolfgang Joop

© dpa

Eine neue Machart fällt mir dann doch auf: Es gab da diese Szene, in der Heidi vom Castingthron herabschreitet und ins Catering eilt. Die Kamera folgt ihr und liegt dann plötzlich beiläufig auf dem Tisch: Im Bildausschnitt 20 Quadratmeter Zimmerdecke und ein kleiner Heidi-Kopf am unteren Rand. Was hier im Found-Footage-Stil à la "Blair Witch Project" daherkommt, ist natürlich nur eine bewusste Beiläufigkeit. Denn selbst wenn Heidi "behind the scenes" einen Apfel schnurpst, sagt sie sendefertige Sätze über die Mädels: "Die haben Sparkle im Auge!"

22.05 Uhr Upps, Rassismus-Falle. Die - oder irgendeine andere Stammtischproletanz - gehört ja in jedes gutes Trash-Format. Aber dieses Mal geht's schnell: Das Mädchen aus Bayern meint, "die Dunkelhäutigen" dürften es vor der Kamera dieses Mal schwer haben. Dieses Mal, weil gleich drei schwarze Mädchen dabei sind: also haben die's dreimal schwer. Der Stumpfsinn wird natürlich live korrigiert: Erst post die Schwarze, "ganz stiff und strong", dann muss das Bayernmädel ran, und hat leider auf den Fotos "ihr Gesicht nicht angeschaltet". Was richtig und falsch ist, wird bei "Germany's Next Topmodel" nicht moralisch erörtert - es wird einfach im im "Hot or Not"-Spiel* abgewatscht. Die ehrlichste Variante, nämlich die Fehltritte pubertierender Mädchen gar nicht erst ins deutsche Fernsehen zu heben, ist natürlich keine Option.

* Während vor der Kamera Heidi zugunsten der schwarzen Kandidatin schiedsrichtete, ging das Voting im Second Screen übrigens mit 78 Prozent zugunsten der Weißen aus.

22.41 Uhr So, vorbei: 25 Kandidaten sind für die kommenden Grill-Wochen ausgewählt, die anderen 25 müssen Singapur wieder verlassen. Statt pinken Schühchen wurden nun doch die altbewährten Fotos vom einem ersten Pool-Shooting verteilt. Was noch? Das Bayernmädel entschuldigte sich lang und weinerlich für die "Dumme-Spruch-gar-nicht-Rassismus-Kack-Sache"; ihr wurde verziehen. Und Heidi erzählte in den letzten 20 Sendeminuten, sie bekomme jetzt wahrscheinlich Fieber. Thomas Hayo dazu: "Auch eine Heidi Klum ist keine Wonder Woman."

Und obwohl sie nicht Wonder Woman ist, verteilt sie weiter tapfer ihre Fotos. Es ist eine große Heidi-Show.

In seiner Gänze ist "GNTM" somit das, was es immer sein will: Mädchenvernichtung untermalt mit Miley-Cyrus-Mucke, mal mit "ehrlichen" Blicken hinter die Kulissen der Modelszene, vor allem aber mit viel Heidi-Momenten. Selbst "Wolle" spielte keine Rolle. Wie viel Heidi-Show es tatsächlich wird, sollte sich nächste Woche zeigen: Denn im Teaser für die kommende Folge liegt die Modelmutti fiebrig im Krankenhausbett und bittet um ein Kamera-Aus. Der REC-Button geht sicher schnell wieder an.

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