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Haben noch etwas nachzuholen: Die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl, li.) und Batic (Miroslav Nemec) in der Synagoge. Foto: BR

© BR/Barbara Bauriedl

Gottes Werk, Rabbis Beitrag: Mord in der Synagoge

Ein delikater Fall: Der 60. „Tatort“ aus München taucht in jüdisches Gemeindeleben ein. Aber herauskommt ein Telekolleg über Religion und Rituale.

Willkommen im Telekolleg „Tatort“! Wer seine Grundkenntnisse über die jüdische Religion auffrischen oder immer schon einmal einen Blick in das neue jüdische Gemeindezentrum von München werfen wollte, dem wird im 60. Fall der Kommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) geholfen. Man lernt wirklich allerhand, zum Beispiel dass ein strenggläubiger Jude am Schabbat nur 2000 Ellen weit laufen darf. Also bleibt der Tatverdächtige Jonathan Fränkel (Alexander Beyer) auf der Flucht vor der Polizei nach rund einem Kilometer einfach stehen. Kommissar Leitmayr findet diese „Weglaufsperre“, wie er sagt, ganz praktisch.

Ansonsten hat er so seine Beklemmungen, als er sich mit einem Mordfall in der neuen Münchner Synagoge konfrontiert sieht. „Franz, mach jetzt bloß keinen Fehler“, habe er gedacht, bekennt er später seinem Kollegen. „Was ist das, die Erbschuld der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk?“, entgegnet der aus Kroatien stammende Batic und erklärt, dass doch jeder sein nationales Päckchen zu tragen habe. „Aber manche Päckchen sind halt schon größer als andere“, sagt Leitmayr und erinnert sich mit schlechtem Gewissen daran, dass er den aus Krankheitsgründen verpassten Schulausflug zur Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau niemals nachgeholt habe.

„Ein ganz normaler Fall“ hat der Bayerische Rundfunk diese Folge übertitelt – und das stimmt leider. Denn dass Spannung und Raffinesse in den Hintergrund treten und die guten Absichten in den Vordergrund, das ist im „Tatort“ nicht selten normal. Die Frage, ob diese beliebte Krimi-Reihe überhaupt noch Kriminalfälle erzähle, kann man in diesem „ganz normalen Fall“ mit einem „Ja, so nebenbei“ beantworten. Die pädagogischen Vorsätze überwiegen: Der Film ist gespickt mit Dialogen voller Informationen, mit ausgiebigen Kamerafahrten durch die Synagoge in München und beschäftigt sich insgesamt mit der Frage, wie es um die gerne beschworene Normalität zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland bestellt ist.

Da gibt es durchaus starke Szenen, etwa als der Oberstaatsanwalt von den Kommissaren verlangt, sie müssten sich bei der Jüdischen Gemeinde entschuldigen, weil sie bei der Verhaftung Fränkels unsensibel vorgegangen seien (und vor allem, weil davon ein Bild in der Zeitung erschien). Allerdings hatte die Gemeinde gar keine Entschuldigung verlangt. Die vorauseilende Zerknirschtheit wird hier sehr schön als Variante der immer noch existierenden Vorurteile gegenüber Juden entlarvt.

Das Drehbuch schrieb Daniel Wolf, ein laut BR-Presseheft „gebürtiger Münchner und traditioneller Jude“. Das garantiert sicher für Sorgfalt in den Details. Außerdem gibt es einige geistreiche Dialoge vor allem zwischen Leitmayr und Rabbiner Grünberg (André Jung), die mit philosophischem Witz punkten. Aber Wolf hat auch ein bisschen viel hineingepackt in sein Lehrstück: Den ersten Golfkrieg, den Mord an Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin durch einen strenggläubigen Juden im November 1995, die Selbstmordattentate durch Palästinenser – die jüngere Geschichte blitzt schlaglichtartig, aber ohne dramaturgische Notwendigkeit auf. Für unterhaltsame Entlastung sorgen die eifersüchtigen Kabbeleien zwischen Batic und Leitmayr, die sich eher unfreiwillig im Wahlkampf um den „Polizisten des Jahres“ befinden.

Zum Fall: Am Fuß einer Treppe in einem Nebengebäude der Synagoge wird Rafael Klein (Oliver Nägele) tot aufgefunden. Mit seinem Blut hat der Täter das Wort „Moser“ auf den Fußboden geschrieben, womit nach alter jüdischer Vorstellung ein Verräter bezeichnet wird. Kleins Tochter Leah hatte sich kurz zuvor selbst umgebracht, was der Vater offenbar jemandem aus der jüdischen Gemeinde anlastete. In Verdacht gerät neben Fränkel auch Kleins Geschäftspartner Michael Großmann, den der neue Dortmunder „Tatort“-Kommissar Jörg Hartmann spielt. In einer weiteren Nebenrolle überzeugt Florian Bartholomäi als geistig behinderter Aaron. Batic hält den Schützling und Gehilfen des Rabbiners zu Beginn davon ab, sich vom Geländer des Treppenhauses im Gemeindezentrum zu stürzen, weil die Spurensicherer der Polizei den Zeitplan von Aarons Kehrdienst durcheinandergebracht haben. Zum Dank schenkt ihm Aaron eine selbst bestickte Kippa, das traditionelle jüdische „Hüterl“, wie Leitmayr sagt.

Und das ist sicher das Beste, was man über diesen „Tatort“ sagen kann: Dass er im Bemühen, Sorgfalt walten zu lassen, nicht in politisch korrekte Lähmung verfällt. Es hieße allerdings den Film zu überfordern, wenn er zur auch von Autor Wolf gewünschten „Normalität“ beitragen müsste. Am Ende ist es doch nur Fernsehen, das ein bisschen naiv glaubt, mit seinen Kommissar-Figuren als Vorbildern Gutes bewirken zu können. Folgerichtig holt Leitmayr seinen Besuch in Dachau nach. Es war wohl doch kein „ganz normaler Fall“.

„Tatort: Ein ganz normaler Fall“,

ARD, 20 Uhr 15

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