zum Hauptinhalt

Grimme-Preis: Mit einem Blick

Wo das Leben grau ist, bringt es Matthias Brandt zum Leuchten. Jetzt erhält der Schauspieler den Grimme-Preis.

Den Durchbruch schaffte er als DDR-Spion Günter Guillaume. Als Matthias Brandt in dem TV-Zweiteiler „Schatten der Macht“ (2003) ausgerechnet den Mann spielte, über den sein Vater Willy Brandt als Bundeskanzler gestürzt war, argwöhnten viele einen Publicity-Trick. Die meisten nahmen Matthias Brandt damals als Sohn eines großen Mannes wahr, wenige kannten ihn als Schauspieler. Man munkelte bei ihm, 1961 als jüngster Sohn des damals Regierenden Bürgermeisters von Berlin geboren, von symbolischem Vatermord und raffiniertem Besetzungscoup, doch es war weitaus einfacher. Matthias Brandt selbst hatte sich intensiv um die Rolle bemüht, weil ihn das zwiespältige Wesen des Spions interessierte. Ihn reizte dieser fast schizophrene Typ, der zwischen Weltläufigkeit und Spießertum pendelte, der glaubte, er könne zugleich loyal dem westdeutschen Kanzler und dem ostdeutschen Staat dienen. Die Rolle wurde ein großer Erfolg, weil sich Brandt so leise an Guillaume heranschlich.

Seither ist er zum Experten für zerrissene Innenwelten geworden, und kaum ein deutscher Schauspieler war in den letzten Jahren so präsent auf dem Bildschirm wie er. Ob als schrulliger Briefträger in „Arnies Welt“ (2005), als geistig zurückgebliebener Vater in „In Sachen Kaminski“ (2005) oder als spielsüchtiger Vater in „Schimanski“ (2006), der von seinem eigenen Sohn an die Heizung gekettet wird.

Matthias Brandt rührt durch stille Tiefe. Er ist der große Verschlossene, Verschrobene, der Verklemmt-Verschmitzte des deutschen Fernsehens, einer, der von fern an Heinz Rühmann erinnert, an dessen zärtlich-zähe Verteidigungen des kleinen Mannes. Matthias Brandts vielfach zerfließender, schwer einzuordnender Blick ist schon so etwas wie sein Markenzeichen geworden, jeder Blick füllt den Raum mit schillernder Bedeutung. Dabei nähert er sich seinen Figuren oft auf akustischem Wege: „Ich höre die Figur zuerst, ich höre in mich hinein und die Gefühle werden in Bilder übersetzt, das sind dann aber noch lange nicht die Filmbilder, die man dann sieht.“ Ein durchgängiges schauspielerisches Credo, ein Patentrezept besitzt er nicht. Er spielt ins Offene, um offen zu bleiben, um nicht in Konzeptionen zu erstarren: „Ich überlasse mich gerne Situationen, werfe mich in sie hinein und schätze durchaus eine gewisse Unsicherheit und ein gewisses Risiko. Ich versuche sehr situativ zu arbeiten, Moment für Moment angemessen zu erzählen. Der große Bogen ergibt sich später.“

Gab es den Ich-will-Schauspieler-werden-Moment in seinem Leben? Eine Initialzündung? Brandt sucht, horcht in sich hinein: „Nö, gab es nicht. Ich habe den Entschluss, Schauspieler zu werden, ganz allein gefasst und es niemandem erzählt, nicht einmal Freunden. Ich rief beim Arbeitsamt an und wollte wissen, wie man Schauspieler wird, woraufhin man mir ‚Blätter zur Berufskunde‘ zuschickte, in denen die Adressen aller Schauspielschulen verzeichnet waren.“

So landet er zur Aufnahmeprüfung in Hannover. Zu Hause hat er fleißig geübt, aber alle Rollen nur geflüstert. Niemand soll davon erfahren. Er ist voller Zweifel, aber zielstrebig. So flüstert und spielt er wochenlang allein vor sich hin. Die Prüfer sind angetan – und irritiert. „Meine Aufnahmeprüfung endete damit, dass alle ihre Stühle bis auf einen halben Meter an mich heranschoben und ich alle meine Rollen noch einmal vorflüsterte. Ich war angenommen“, erzählt er.

Nach der Schauspielschule folgen Lehrjahre auf zahlreichen deutschen Bühnen. Er probiert sich aus, eignet sich sein Handwerkszeug an, sucht und zweifelt: „Ich muss mich jedes Mal wieder entscheiden, Schauspieler zu sein und zu werden. Ich glaube schon, dass ich was in diesem Beruf zu suchen habe, aber Zweifel und Unsicherheit gehören immer dazu.“ Als der berühmte Vater das erste Mal seinen Sohn im Theater sieht – es ist Mitte der achtziger Jahre in Oldenburg –, richten sich alle Augen auf den legendären SPD-Politiker. Der Sohn bittet den Vater, nicht mehr zu kommen. Der suchende Anfänger will nicht abgelenkt werden.

Direkte Vorbilder hat Matthias Brandt nicht, aber es fällt auf, dass seine Lieblingsschauspieler keine strahlenden Heroen sind, sondern, so wie er, Charaktere spielen, die das durchschnittliche Leben verteidigen: „Als Kind habe ich irre viel Fernsehen geschaut. Amerikanische Schauspieler wie James Stewart, Jack Lemmon, Walter Matthau oder auch Robert Mitchum beeindruckten mich sehr. Als junger Theaterschauspieler hatte dann Bruno Ganz eine ungeheure Bedeutung, weshalb ich mich lange Zeit weigerte, den ‚Untergang‘ anzusehen. Ich wollte mein Idol nicht als Hitler erleben.“ Matthias Brandt, leidenschaftlicher Werder-Bremen-Fan und eingetragenes Vereinsmitglied, der mit Frau und Tochter in Zehlendorf lebt, ist kein Star, dessen Alltag aus den Fugen ist. Auf Glamour-Veranstaltungen findet man ihn selten, er ist auch kein Prominenter, der kollektive Kreisch-Chöre auslöst. Er wirkt, im Leben wie im Spiel, wie der Typ von nebenan, mit dem man einvernehmlich schweigen kann.

Zwar ist er nicht wortkarg, auch nicht im Interview, aber für einen Schauspieler gibt er sich lakonisch, er prüft sich und seine Sätze und ist sparsam mit Gesten und Gesichtern. Das spiel- und selbsttrunkene Moment, das man oft in der Begegnung mit Schauspielern erlebt, fehlt ihm. Den Hang, nicht alles zu- oder auszuquatschen, eher Blicke und Pausen sprechen zu lassen, findet man auch bei seiner Rollengestaltung: „Es stört mich, wenn in Drehbüchern jedes Gefühl benannt, jede Regung ausgesprochen wird. Diese Dialoglastigkeit entspricht nicht meiner Lebenswahrnehmung. Die interessantesten Momente ereignen sich im Film oft dann, wenn man die Stille, wenn man sprachlose Momente wirken lässt. Vielleicht spielt mein Blick daher eine gewisse Rolle, aber ich denke nicht, hier muss ich jetzt den Brandt-Blick auspacken.“ An solchen Stellen des Gesprächs lacht er kräftig. Matthias Brandt hat Talent zur Selbstbelustigung.

Mit der zunehmenden Popularität geht er gelassen um. Er, der seit seinem achten Lebensjahr Personenschutz genossen hat und die Beamten hemmungslos instrumentalisierte, sie mussten ständig mit ihm Fußball spielen, hat als Kind eine viel lastendere Öffentlichkeit erlebt. Er bewegt sich daher selbstbewusst und ungezwungen in seiner Stadt, zumal ihn viele zwar sofort erkennen, aber nicht gleich wissen, wer er ist. Das mag auch daran liegen, dass er hinter seine Figuren zurücktritt und kein unverrückbares Star-Image erspielt. Der Spezialist für leise Töne und introvertierte Figuren fährt oft stundenlang mit dem Fahrrad durch Berlin und beobachtet den fließenden Alltag, das unscheinbare, graue, das gewöhnliche Leben, das er dann im Film zum Leuchten bringt.

„Adolf-Grimme-Preis 2009“, 3sat, um 22 Uhr 25

Torsten Körner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false