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Günter Netzer und Gerhard Delling

© dpa

Günter Netzer: "Mich verstehen die Frauen"

Günter Netzer über Expertensprache, EM-Chancen, Fußball als Show und - Gerhard Delling.

Herr Netzer, bei der Fußball-Europameisterschaft werden Gerhard Delling und Sie direkt an den Spielorten sein und dabei die Atmosphäre des Public Viewing einfangen. Sind Sie ein Fan von Public Viewing?

Public Viewing kannte vor der Weltmeisterschaft 2006 kein Mensch. Wir besaßen als Agentur die Public-Viewing- Rechte und haben dann gesehen, was für ein Interesse es daran gab. Nun ist es nicht mehr wegzudenken. Es ist ein Ventil für die Fans, die nicht in die Stadien können.

Gerhard Delling hofft bei der EM auf ein Endspiel Deutschland gegen Italien ...

(lacht) Da hat er sich wieder nicht vorinformiert. Denn die werden wahrscheinlich schon im Viertelfinale aufeinandertreffen.

Sie stehen ja nicht nur vor der Kamera. Mit Ihrer Schweizer Sportrechteagentur Infront handeln Sie mit Fernsehrechten für Großereignisse. Sehen Sie eine Gefahr durch die Kommerzialisierung des Sports?

Man darf es nicht übertreiben. Wir sind mit unseren Lizenzen fast am obersten Rand angekommen. Die Übertragungsrechte für die WM in Südafrika wurden für Europa für rund eine Milliarde Euro verkauft. Es gibt nur wenige Veranstaltungen, die überhaupt noch Steigerungspotenzial haben. Dazu zählen eben Fußball-Welt- oder -Europameisterschaften.

Der Showfaktor nimmt überhand.

Eine gewisse Gefahr ist immer vorhanden, weil die Fernsehanstalten, die das Produkt „Fußball“ teuer einkaufen, es entsprechend vermarkten müssen, um das investierte Geld irgendwie wieder reinzuholen. Man darf aber auf keinen Fall den Fußball verändern und alles auf den Kopf stellen wollen. Der Fußball muss seine Ursprünglichkeit behalten und darf nicht zur Show verkommen.

Wie stellen Sie sich die Berichterstattung in den Medien in den nächsten Jahren vor?

Das Internet wird ganz sicher eine Rolle spielen. Es wird neue Vermarktungsmöglichkeiten bieten. Außerdem ist Pay-TV von enormer Bedeutung. Man sieht am Beispiel England, welche Gelder da akquiriert werden. Dort wird gut das Dreifache von dem erzielt, was Pay-TV in Deutschland einbringt.

Zurück zu Ihrem Fernsehjob. Sie stehen seit zehn Jahren zusammen mit Gerhard Delling als Kommentator der Fußballländerspiele vor der Kamera. Wie ist die Bilanz ihrer Zusammenarbeit?

Für mich gibt es zwei Bilanzen – eine persönliche, die ich im tiefsten Inneren mit mir trage, und eine Bilanz für die Öffentlichkeit. Die Bilanz für die Öffentlichkeit ist, glaube ich, sehr erfreulich, weil die ARD mit uns eine Verpflichtung gemacht hat, die sich mehrfach bewährt hat. Unser Auftreten entspricht dem Wunsch des Publikums. Zu meiner persönlichen Bilanz muss ich sagen, dass die Präsenz vor der Kamera für mich eine völlig neue Erfahrung gewesen ist. Ich bin kein geborener Fernsehmann. Für mich wäre es nicht anders machbar, als mit Gerhard Delling einen Partner an meiner Seite zu haben, bei dem ich mich wohlfühle und keine Sekunde befürchten muss, dass irgendetwas im Argen ist. Unsere gemeinsame Arbeit funktioniert nur auf einer intakten freundschaftlichen Basis.

Das sieht vor der Kamera gar nicht immer so nach Freundschaft aus.

Gerhard Delling verfügt als Fernsehprofi viel mehr über die Macht der Sprache als ich. Er hat keine Angst vor diesem Medium. Ich selbst habe immer noch hohen Respekt vor der Fernsehkamera und teilweise auch noch Lampenfieber. Delling hat in all den Jahren seine kritische Einstellung nicht verändert. Seine Fragen hatten immer die richtige professionelle Basis. Unser Zusammenwirken hätte auf Dauer nicht funktioniert, wenn ich ihn als Fußballlaien betrachten würde. Ich muss keine Angst vor Fragen haben, die völlig an der Sache vorbeigehen.

Haben Sie 1998 geglaubt, dass diese Zusammenarbeit so lange andauern würde?

Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht und nicht nach jedem Jahr geschaut, wie die Quoten waren. Für mich war die Sprache der Straße immer ganz wichtig. Taxifahrer sind zum Beispiel ein Pegel für mich, da sie die Wahrheit sagen. Und Frauen waren immer ganz wichtig. Mit ihrem fraulichen Instinkt sagen sie Sachen über den Fußball, die bemerkenswert sind und die ein typischer Fußballkenner nie sagen würde. Wenn ich mit Frauen spreche, höre ich oft: „Herr Netzer, wir sind Ihnen dankbar, denn wir sind keine Fußballfreaks, Sie erklären uns diesen Sport, und wir verstehen Sie.“ Gibt es ein größeres Kompliment, als dass mich die Frauen verstehen?

Sie und Delling haben kürzlich den Medienpreis für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache erhalten. Begründung: Auch Leute, die sich nicht für Fußball interessieren, hören bei Ihnen zu.

Genau das war immer mein Ziel. Ich wollte nie mit meinen Fachkenntnissen protzen. Das war nie mein Streben, weil ich es bei anderen hasse, wenn sie mir eine Sache nicht erklären können.

Wenn man sich die Fußballberichterstattung ansieht, hat man manchmal schon den Eindruck, dass sich der Fußball zu einer Wissenschaft entwickelt hat.

Die Sprache hat sich enorm verbessert, aber ich würde es nicht kritisch anmerken wollen, dass wir zu meinen aktiven Zeiten ein niedrigeres Sprachniveau hatten. Man kann das Niveau damals nicht direkt mit dem heutigen vergleichen, ebenso wenig wie das fußballerische Niveau damals mit dem von heute.

Wenn Sie als TV-Experte etwas erklären: Tun Sie das eigentlich eher für die Zuschauer oder für Gerhard Delling?

(lacht) Delling ist immer noch nicht auf der Höhe des Geschehens, aber er ist absolut lernfähig. Wobei, manchmal ist er bockig, dann will er einfach nicht lernen und ist wie ein trotziges Kind. Dann stampft er mit dem Fuß auf, und ich muss es ihm zum zehnten Mal erklären.

Welche Chancen hat die deutsche Mannschaft bei der Europameisterschaft?

Die Leistungen der Mannschaft waren zuletzt ansprechend, obwohl während der Saison immer wieder Spieler ausgefallen sind. Es muss aber noch eine Steigerung geben, denn so reicht es nicht. Wenn die Atmosphäre der Europameisterschaft das Team erreicht, wird es zu einer Steigerung fähig sein und wachsen.

Das Interview führten Ingmar Bertram und Tobias Goltz.

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