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Die Talkrunde von "Günther Jauch" beschäftigte sich mit dem Thema „Lustobjekt Kind – Was tun gegen das böse Geschäft mit nackten Jungen und Mädchen?“.

© ARD/imago

"Günther Jauch": Kinderpornographie in Dunkelfeld-Deutschland

Der Missbrauch von Kindern ist da. Günther Jauch hat mit seiner Talkshow, die von Millionen Zuschauern gesehen wird, ein Schlaglicht gesetzt. Wegsehen wird schwieriger.

Gut, am Schluss war die Diskussion doch wieder bei Sebastian Edathy gelandet. Beim persönlichen Fall des SPD-Politikers, der unter dem Verdacht der Pädophilie steht. Wieder Spekulationen, Mutmaßungen, Diskussion, ob die SPD mit der Personalie richtig umgeht. Mit der Frage hatten sich bereits in der vergangenen Woche Talkshows wie „Maybrit Illner“ im ZDF beschäftigt. Günther Jauch wollte das nicht. Er wollte mit seiner Gesprächsrunde auf das größere, das gesellschaftliche Problem hinaus. Keine individualisierte Ableitung, sondern die direkte Auseinandersetzung mit dem Thema: Pädophilie. Was über die meiste Zeit der 60 Minuten kam, war kein Überbietungswettbewerb, wie er sonst in Talkshows geboten und gepflegt wird. Wenn Parteipolitiker in Parteipolitik machen, ums Wahlvolk buhlen, und die Moderatoren verwertbare Zitate herauskitzeln wollen.

Wegsehen wird schwieriger

Makaber nur, wenn dieser Talk-Status über dieses Thema hergestellt werden muss: „Lustobjekt Kind – Was tun gegen das böse Geschäft mit nackten Jungen und Mädchen?“ Geschätzt 250 000 Männer in Deutschland fühlen sich zu Minderjährigen hingezogen, der Markt dieser Lust-Befriedigung soll ein Milliardenmarkt sein. Das Phänomen, besser: das Problem hat eine Dimension, die faktisch nur erahnt werden kann. Pädophilie findet in Dunkel-Deutschland statt. Aber der Missbrauch von Kindern ist da, und wenn Günther Jauch seine von Millionen Zuschauern gesehene Talkshow für dieses Thema nutzt, ist das Schlaglicht gesetzt. Wegsehen geht nach wie vor, wird aber in einer zunehmend sensibilisierten und aufmerksameren Öffentlichkeit schwieriger.

Günther Jauch wollte dieses Mal keine Oberflächenreize, er wollte das Thema in seiner Breite  ausloten. Eine Expertenrunde hatte seine Redaktion eingeladen: den Sexualpsychologen Christoph J. Ahlers, Bernd Siggelkow (Pastor und Leiter des Jugendhilfswerks „Die Arche“), Udo Vetter, Rechtsanwalt und Strafverteidiger, den Journalisten Sebastian Bellwinkel, schließlich die Bundesministerin Manuela Schwesig (SPD) für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Wie können Kinder geschützt werden?

Was hilft wirklich zum Schutz der Kinder? Die Diskutanten wollten nicht die eine Maßnahme, die so schnell und so gerne ins Feld geführt wird: schärfere Gesetze. Und wenn schärfere Gesetze zum Schutz der Kinder, dann auch bessere Hilfsangebote für die Pädophilen? Prävention und Strafverfolgung, in diesem Korridor bewegte sich die Diskussion.

Der Moderator und die Gäste haben in den 60 Minuten allerhand geleistet. Sie haben nicht spekuliert, waren nicht auf die Sensation aus, sie haben die Lust am Kind positiv skandalisiert. Wegschauen, Weghören, Wegsehen – das wird auch weiter möglich sein. Die Opfer aber, namenlos und sprachlos, können mindestens das Gefühl bekommen, dass sich gekümmert wird.

Aber wie und in welchem Umfang wird sich gekümmert? Wenn Ministerin Schwesig politische Aktion ankündigte, dann war Journalist Bellwinkel schnell dabei, auf schon früher erfolgte Ankündigungsrunden, auf fehlende Ausstattung bei Justiz und Polizei hinzuweisen. Wer Strafverteidiger Vetter und dem Sexualpsychologen Ahlers zuhörte, der konnte weitere Dimensionen des Problems erfahren. Therapie ist möglich, doch die Erwartung, dass eine sexuelle Orientierung so mir nichts, dir nichts – und mit Strafandrohung – aus der Welt zu schaffen, diese Erwartung dämpfte Ahlers vehement. Verhaltenskontrolle könne der Betroffene erreichen, und dann sei viel erreicht.

Mehr kann eine 60-Minuten-Sendung nicht erreichen

Diese Talkshow hat einen sehr weiten Radius abgeschritten, sie hat Produktion, Vertrieb und Handel mit kinderpornographischem Material dargestellt, die Täter in den Blick genommen und die missbrauchten Kinder dabei so weit wie möglich geschützt. Mehr kann eine 60-minütige Sendung kaum erreichen. Der Fall Edathy ist nur ein Fall unter sehr vielen Fällen. Das muss die Politik begreifen, von der Opposition bis zur Regierung. Sonst bleibt sie nur Selbstbefriedigung.

Vor der anscheinend unvermeidlichen Edathy-Volte erlaubte sich der konzentriert agierende Moderator Jauch noch einen interessanten Rückgriff. Er nahm eine 40 Jahre alte Ausgabe des „Zeit“-Magazins in die Hand. Darin wurde in eindeutigen Bildern und mit saloppem Text über einen Berliner Kinderladen reportiert, wo Kinder ihre Sexualität aktiv erfahren sollten. Aus heutiger Sicht schlichter Wahnsinn.

Oder steht der heutigen Gesellschaft gleich der nächste Wahnsinn bevor? Einer Gesellschaft, deren Mehrheit das Leitbild der sexuellen Vielfalt wenn nicht gutheißt, so doch akzeptiert, öffnet die nicht weiteren Irrungen und Wirrungen Tür und Tor? Unter der Hand hatte die Jauch-Runde doch zu verstehen gegeben, dass wir mit der Ächtung der Pädophilie einen nie dagewesenen Bewusstseins- und Aufklärungsstand erreicht haben. Heißt: Die Sexualität beherrscht uns weiter, nicht wir beherrschen unsere Sexualität.

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