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Brigitte Nielsen darf ungestraft dummes Zeug über ihren Exmann Sylvester Stallone verzapfen, hat aber sonst beste Chancen auf die Dschungelkrone.

© RTL

Halbzeitbilanz: Dschungel-Dämmerung im Camp

Die RTL-Formel „Das Format ist der Star“ funktioniert nicht. Auch das Camp braucht echte Helden.

Immerhin hat das Fernsehen jetzt ein neues Phänomen, denn so wie es eine gefühlte Temperatur gibt, gibt es eine gefühlte Einschaltquote, im Fall der aktuellen Staffel von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ ist die gefühlte Einschaltquote ein Desaster, während die tatsächliche Einschaltquote – immerhin durchschnittlich 6,55 Millionen an diesem Freitag – gut ist. Kann das sein? Ja, das kann nicht nur sein, das ist so: Niemand spricht über „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“. Die wenigen, die über das Format sprechen, nennen es „Dschungelcamp“, und Gespräche unter Freunden, Kollegen, Verwandten liefen in den vergangenen Tagen ungefähr so: „Guckst du eigentlich Dschungelcamp?“ – „Nö.“ – „Ich auch nicht.“ Vielleicht lief die Sendung nebenbei, vielleicht deshalb die hohen Werte, es interessiert sich nur niemand dafür, und der Grund ist relativ simpel: So langweilig war es noch nie. So muss das Halbzeit-Fazit lauten, und die Prognose für die zweite Woche fällt nicht besser aus: Es wird wohl eher noch schlimmer. Woran liegt das? Diese Halbzeitanalyse listet drei Punkte auf: Es fehlen die Helden: Offensichtlich war sich RTL seiner Sache wegen des Erfolges im vergangenen Jahr zu sicher und leitete die Formel ab „Das Format ist der Star“. Anscheinend hielten es die Verantwortlichen für zweitrangig, wen sie in den australischen Dschungel schicken, die Grundkonstellation würde schon dafür sorgen, dass es spannend und interessant werden wird. Das entpuppte sich als Fehleinschätzung, die so genannten Prominenten sind diesmal schlichtweg ungeeignet, um ein an sich seelenloses Format mit Leben zu füllen. Sie sind diesmal entweder furchtbar unsympathisch (Früh-Aufgeber Martin Kesici, Ramona Leiß, Vincent Raven), unfassbar dumm (Jazzy, der am Freitag rausgewählte Daniel Lopes), unglaublich egal (Radost Bokel, Kim Debkowski), sagenhaft unangezogen (Micaela Schäfer) oder aber schlichtweg furchtbar unbekannt (Rocco Stark). Der Auftritt des ehemaligen Fußballers Ailton kann nur tragisch genannt werden, und Brigitte Nielsen wird ohnehin zur Dschungelkönigin gewählt, obwohl sie ungestraft dummes Zeug über ihren Exmann, den Giganten Sylvester Stallone, verzapfen durfte. Dieses Casting war ganz großer Mist. Die so genannte Dschungelprüfung ist überflüssig geworden: Vielleicht fand ein Abstumpfungsprozess statt – bei den Zuschauern, aber vor allem bei den Kandidaten. Egal ob Mehlwürmer, Kakerlaken oder Schleim jedweder Art – der rechte Ekel will sich nicht einstellen, routiniert wird alles gegessen, was der so genannte Doktor Bob den Prüflingen vor die Nase setzt. Während die Prüfungen früher einmal die Höhepunkte der Sendung waren, werden sie jetzt lieblos weg gesendet. Der größte dramaturgische Kniff ist zurzeit die Verwandlung der Ramona Leiß zum Grinch.

Fernsehkritik im Fernsehen ist Verrat: Es soll tatsächlich Leute geben, die das ganz großartig finden – wie sich das Fernsehen in Gestalt von Dirk Bach und Sonja Zietlow selber auf den Arm nimmt. Dass die beiden Probleme damit haben, die von Gagautoren aufgeschriebenen Witzchen fehlerfrei vorzulesen – sie sind halt schlechte Moderatoren. Dass die aber tatsächlich glauben, sie könnten sich von dem, was sie senden, dadurch distanzieren, dass sie sich darüber lustig machen, funktioniert als tragendes Element nicht. Weil es falsch wirkt. Aufgesetzt. Gekünstelt. Weil den Job andere machen. Ich bin der Fernsehkritiker – ich schalt jetzt aus.

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