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Medien: Hallo, hier spricht der Zeitgeist!

„twen“ und „Tempo“ waren die Trend-Magazine der 60er und 80er Jahre. Jetzt sucht „Neon“ nach seiner Generation. Ein Gipfeltreffen der Erfinder.

Herr Peichl, Herr Theobald, ist „Neon“ ein würdiger Nachfolger von „Tempo“ und „twen“, den Magazinen, die Sie gegründet haben?

THEOBALD: Von Nachfolge will ich nicht reden. Aber es ist eine höchst erfreuliche Erscheinung auf dem Zeitschriftenmarkt, der immer monotoner wird. Endlich mal jemand, der den Häppchenjournalismus von „Focus“ vergisst und mit Text und Bild seinen Inhalt transportiert. Und das mit einer Ernsthaftigkeit, die mich sympathisch berührt hat.

PEICHL: Ich kann Ihnen nur teilweise Recht geben. Das Blatt hat eine ähnliche Funktion als unsere damals, es versucht, das Lebensgefühl der 20- bis 35-Jährigen zu vermitteln. Und es gibt da eine ganze Gründerwelle, „Dummy“, „Zoo“, „Deutsch“ und „Quest“ besteht schon länger … Sie kommen nicht mal aus großen Verlagen, sondern aus einer Art Independent-Szene.

THEOBALD: Ich sehe da nur noch keine klaren Konturen.

PEICHL: Ich schon, diese Zeitschriften haben nicht viel Geld, aber dafür etwas, was „Neon“ fehlt: Mut, Kraft, Spaß, Sinnlichkeit.

KLOTZEK: Dann müssen wir erstmal klären, was Sinnlichkeit ist. Ich finde unsere Bildsprache gut und zeitgemäß. Wir stellen niemanden neben eine weiße Säule und dazu eine vertrocknete Zimmerpflanze, so artifizielles Zeugs. Unsere Leser sollen das Gefühl haben, da wird auch meine Welt fotografisch abgebildet. Möglichst hübsche Menschen möglichst hübsch ausgeleuchtet zu fotografieren, das mag Herr Peichl sinnlich finden.

THEOBALD: Gehen wir mal weg von der Oberfläche, wir reden ja nicht über Fotozeitschriften. Ich fand jedenfalls die Askese im Layout ungeheuer wohltuend, in der Hoffnung, damit würden die Inhalte besser herauskommen. Sprechen wir also von den Inhalten und …

PEICHL: Bei einem Generationenblatt können Sie die Form doch nicht vom Inhalt trennen. Was wäre „twen“ ohne den Art Director Willy Fleckhaus gewesen? Ohne seine Ästhetik hätte es nie eine solche Wirkung gehabt.

In einer Pressemitteilung des „Stern“ wurde die „Neon“-Redaktion für ihre „theoretische Herangehensweise“ gelobt. Was ist das denn?

KLOTZEK: Das erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte von „Neon“. Ich war vorher wie einige aus der Entwicklungsredaktion bei „Jetzt“, ehe wir bei der „SZ“ entlassen wurden. Und als Gruner & Jahr auf uns zukam, haben wir uns lange darüber unterhalten, wo es hingehen soll. Es liegt so viel am Kiosk. Was für eine Zeitschrift wird noch gebraucht? Unser Interesse war nicht, ein rein anzeigengetriebenes Heft mit geringer Auflage zu machen. Auch nicht eines nach dem Motto: Hey, da sind ja Superfotos, die müssen endlich mal gedruckt werden! Nach und nach kamen wir beim Nachdenken über die Zielgruppe der 20- bis 35-Jährigen und deren Lebensgefühl zu einem Konzept.

PEICHL: Tut mir Leid, das klingt doch sehr verkopft. Und auch wenn ich mich jetzt wahnsinnig unbeliebt mache, vielleicht kommt ja damit etwas Schwung in unsere Runde: „Jetzt“ fand ich immer mit großer Souveränität und Selbstverständlichkeit gemacht. Bei „Neon“ vermisse ich das komplett. Das Heft schmeckt beim Blättern nach vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Markt und dem Verlag. Diese ganzen pädagogischen Ansätze in dem Teil, wo es um Wissen geht, das ist so etwas von verkrampft, dass ich gar nicht glauben kann, das soll von ehemaligen „Jetzt“-Leuten gemacht sein.

THEOBALD: Ich sehe in „Neon“ Heike Makatsch und Franka Potente, die eine schreibt auf, welche Platten sie hört, die andere erzählt, wie es sich in Amerika so lebt. Und beide Male finde ich keinen Satz, der mich aufhorchen lässt. Das ist zu flach. Wir wären bei „twen“ nie auf die Idee gekommen, so jemanden zu interviewen oder schreiben zu lassen. „twen“ hat mit Idealen gehandelt, nicht mit Idolen.

KLOTZEK: Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie sich nicht für Potente und Makatsch interessieren.

THEOBALD: Nein, nein, es geht um ein journalistisches Prinzip: Sie gehen von Personen aus. Sie müssen aber von Problemen ausgehen und erst dann fragen, wer steht dafür und wie kann ich das journalistisch bearbeiten? Da vermisse ich bei Ihnen einiges an intellektueller Schärfe.

KLOTZEK: Kein Journalist hat Franka Potente bekommen, es gab lange kein Interview mit ihr. Und dann sagt sie, ich mag „Neon“, kommt mal nach Los Angeles, und wir reden in aller Ruhe. Das soll ich unserer Leserschaft nicht anbieten? Ich wäre vorsichtig beim Abschießen von solchen Geschichten.

PEICHL: Ich habe kein Problem mit Makatsch und Potente. Ich finde „Neon“ zu selbstreflexiv. Diese Art Journalismus war in den 90er Jahren angesagt. Aber wir haben jetzt drängende Probleme, und wir brauchen wieder mal ein paar klare Antworten.

KLOTZEK: Tun wir doch. Auch wenn wir keinen Waschzettel haben, auf dem steht: Diese Probleme müssen in den nächsten Heften gelöst werden. Im neuen Heft gibt es eine Geschichte über die ganze Widersprüchlichkeit der Generationendebatte. Von unserer Generation wird verlangt, beruflich mobil zu sein, es gibt Halbjahresverträge, man soll immer auf dem Sprung sein, interessiert Sie unser Büro in London...? Und in der „Tagesschau“ klagen Politiker, wir sollten endlich Kinder kriegen – mit Hinweisen auf den demographischen Faktor. Oder wir werden aufgefordert, wie wild zu konsumieren, aber gleichzeitig für unsere Rente vorzusorgen. Das alles steht sich diametral gegenüber, auch wenn es nicht sehr sexy klingt.

THEOBALD: Das sind doch aufregende Themen. Aber: Sie müssen Antworten geben, sonst sind Sie überflüssig. Man braucht doch ein Ziel, jedes Magazin braucht eine Formel. So kurz wie möglich.

KLOTZEK: Die steht bei uns sogar auf dem Cover: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden.“

THEOBALD: Dieses Wort eigentlich, eigentlich, das ist schon so …

KLOTZEK: …wichtig, dieses Wort ist total wichtig, was das Lebensgefühl angeht. Sonst kriegen Sie eine Powerkarrieristenzeitschrift oder eine für Berlin-Mitte-Hänger.

THEOBALD: Der Satz führt doch weiter im Kopf: „Eigentlich sollten wir erwachsen werden, aber wir wollen das gar nicht.“ Das klingt so unentschlossen.

KLOTZEK: Es ist keine Unentschlossenheit. Es definiert ein Lebensgefühl zwischen zwei Kraftfeldern, zwischen der unbeschwerten Jugend und dem vollkommenen Erwachsensein. „Neon“ ist für Leute, die den Führerschein haben, die ihre Eltern nicht fragen müssen, wen sie nach Hause bringen dürfen, die halt diesen Leitzordner haben mit der Aufschrift: wichtige Dokumente. Da schmeißen sie dann alles rein und wissen nicht genau, ist das so sinnvoll, was ich hier mache? Das „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“ ist ein Zwischenstadium von Ich-muss- mich-um-nichts-kümmern und der Doppelhaushälfte mit dem Kombi davor.

PEICHL: Das ganze Heft entschuldigt sich dauernd dafür, dass man jung ist. „Eigentlich müssen wir erwachsen werden …“ sagen heute die 40 bis 50-Jährigen, nicht die Twens. Die junge Generation sieht sich nicht mit Ewig-Gestrigen konfrontiert, sondern mit Ewig-Heutigen. Das ist eine Ursache, weshalb „Neon“ so verzagt, so traurig wirkt. Ihr könnt euch von niemandem ernsthaft abgrenzen..

Herr Klotzek, wir hatten Ihnen einige Hefte von „Twen“ und „Tempo“ zugeschickt. Mit welchem Gefühl lesen Sie die?

KLOTZEK: Es sind schon Zeitschriften aus irre fernen Zeiten für mich. Als Herr Peichl 1990 aufhörte, war ich 17. Als bei „twen“ Schluss war, war Herr Peichl noch jünger. Ich sehe natürlich die Superoptik bei „twen“, das aufregende Layout, die langen Texte, aber ich kann mich schwer reindenken in diese Zeit und Geschichten wie „Minderjährige verführen, wen denn sonst?“ ….

THEOBALD: Die Zeile war juristisch einwandfrei, denn Nicht-Minderjährige kann man nicht verführen.

KLOTZEK: …und bei „Tempo“ geht es mir ähnlich. Sicher sind da viele bekannte Journalisten durchgegangen, die einen eigenen Stil geprägt haben. Nur bringt es nichts, sich an diesen alten Heften abzuarbeiten. Ich kann mir allerdings vorstellen, warum diese Hefte für Aufregung sorgten.

THEOBALD: Wir hatten es auch einfacher als Sie heute, das muss ich fairerweise mal sagen. Wir brachten Themen wie Abtreibung, Homosexualität oder Jungfräulichkeit ins Heft, wir zeigten Christine Kaufmann als Kinderstar im Bikini – und schon waren wir verhasst bei Klerikern und Kommunisten. Darüber wurde geredet! Das ist heute undenkbar. „twen“ war frech und voller Lebenslust, das Gegenteil der miefigen Adenauer-Ära. Man muss es in dieser Zeit sehen.

PEICHL: Ist Provokation für euch ernsthaft ein Thema?

KLOTZEK: Ich gehe bestimmt nicht montags in die Redaktion und sage: So, ich hätte gerne eine Provokation, egal zu was. Ihr hattet früher eure Feindbilder. Wogegen sind wir? Unsere Eltern sind die klassischen 68er, die sich beim Grillfest ungefragt dazu gesetzt haben und keiner hat sie weggeschickt.

PEICHL: Ihr habt wirklich mein vollstes Mitgefühl. Provokation geht nicht, Abgrenzung geht nicht, auch Relevanz ist schwierig in diesen komplexen Globalisierungszeiten. Aber eines ging auch jetzt; Wagnis, Frechheit, Lebenslust. Der intensive Blick. Jeder von uns begleitet eine Zielgruppe für eine Weile. Und der Unterschied ist: Wir wollten sie wohin führen, ihr begleitet sie irrlichternd und stochernd durchs Nirgendwo. Oft liegt es gar nicht an den Themen, sonder an ihrer Machart. Viele Geschichten aus dem ersten „Neon“ gab’s auch in „Tempo“. Zum Beispiel die „100 wichtigsten jungen Deutschen“, Menschen beim Orgasmus, eine Story über Autopsie. Unlängst sagte mir jemand: „Geschichten aus ,Tempo‘ wirken noch heute moderner als die in ,Neon‘.“ Beispiel Autopsie. Wir haben da Fotos gedruckt, die dem „Stern“ zu brutal waren, zu aufwühlend. Wir wollten keine solchen Tabus und haben es einfach gemacht. Bei euch ist die Autopsie eine Illustration und dazu drei nüchterne Absätze vom Fachmann Doktor Soundso. Es ist so brav, so bieder. Und dann auch noch 26 Tipps, wie man richtig umzieht.

THEOBALD: Also ich bin vom Umzug begeistert. Die Geschichte war originell und ich habe etwas gelernt, zum Beispiel: Man darf nie fragen, hilfst Du mit beim Umzug? Sondern: Hast Du nächsten Samstag Zeit?

PEICHL: Herr Theobald, Sie können mir nicht weiß machen, dass die einigermaßen intelligenten Leser nicht selber wissen, wie man umzieht. Die wollen solchen pädagogischen Quatsch nicht.

KLOTZEK: Was für Sie pädagogischer Quatsch ist, wurde wahnsinnig viel gelesen und auch gemocht. Das weiß ich aus der Marktforschung und der Post, die wir bekommen haben. Umziehen ist etwas, womit sich unsere Leser beschäftigen. Viele fanden die Geschichte lustig, die fünf Floskeln, die bei keinem Umzug fehlen dürfen, sie fühlten sich ertappt und sagten, das spricht mir aus der Seele, den Scheiß kenne ich von meinen letzten Umzugshelfereien. Wir machen das Blatt anders als „Tempo“, das nie überlegt hätte: Was für Alltagsprobleme hat ein Viertsemester in Wuppertal? Aber dort sitzen auch Menschen, die Magazine lesen wollen.

PEICHL: Wir hatten auch Leser in Wuppertal, und ich kriege heute noch gelegentlich Briefe von denen. Ein Satz lautet immer wieder: „,Tempo‘ hat unser Leben in der Provinz erträglich gemacht.“ Und wissen Sie, warum? Weil wir ihnen nicht den Umzug, sondern die Welt erklärt haben.

KLOTZEK: Ich will ja nicht den Enkel spielen, der bockig ist gegen gute Ratschläge. Aber ich sehe nicht, wo „Tempo“ die Welt verändert hat, und in „Twen“ von 1962 fand ich einen Leserbrief mit der Beschwerde: In Berlin wurde vor sieben Monaten die Mauer gebaut und im Heft finde ich keine Zeile darüber. Soviel zur Relevanz. Wir machen ja kein unpolitisches Heft, im neuen gibt es auch eine Reportage aus Bagdad.

PEICHL: Es ist ungerecht, ich weiß, denn wir reden nur über ein einziges Heft von „Neon“. Würden wir über die erste Ausgabe von „Tempo“ reden, wäre das auch nicht erfreulich. Sie war alles andere als berühmt.

„twen“ war toll, „Tempo“ war grandios – und doch sind beide eingegangen.

THEOBALD: Wir waren anfangs alleine auf dem Markt, es kamen andere Magazine dazu, und am Ende wurde „twen“ zu kunstgewerblich. Wegen der nackten Frauen sagte der Verleger, ich hab’ doch kein Bordell, und wenn Andreas Baader auch beim Pinkeln gezeigt wird, das kommt nicht gut an. Außerdem hat „twen“ nie Geld verdient.

PEICHL: Da sind wir wieder beim Thema Aufreger. Baader beim Pinkeln! Wir haben mal eine Geschichte gemacht über Sex und …

Warum „Tempo“ einging, war die Frage, Herr Peichl!

PEICHL: Erstens: Generationenblätter haben immer eine geringe Halbwertszeit. Zweitens hat man dem Blatt nach meinem Abgang zu viele Richtungswechsel zugemutet. Man kann nicht andauernd die komplette Leserschaft austauschen. Michael Jürgs etwa kam als Chefredakteur vom „Stern“, und wir hatten ein Blatt gegen den „Stern“ gemacht. Da ist auch so ein Unterschied zu „Neon“: Ihr seid ein Kind des „Stern“. Das hätten weder wir noch unsere Leser gewollt.

Herr Klotzek, eine beliebte „Jetzt“-Rubrik hieß: Lernen von den Alten. Haben Sie bei diesem Gespräch etwas gelernt?

KLOTZEK: Jedes Heft hat seine Zeit.

Das Gespräch moderierten Ulrike Simon und Norbert Thomma

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