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Medien: Heimatabend Ost

Kennen Sie „Wofalor“? Dann sind Sie richtig bei den DDR-Fernsehshows

Als „Good Bye, Lenin“ anlief, wurden aus ostdeutschen Kinos plötzlich DDR-Devotionalienmuseen. Jeder brachte irgendetwas Ostiges mit. Das war eine merkwürdige Reaktion, gerade vor dem tiefen Ernst dieses Films, aber sie war ganz und gar spontan – also nicht kritisierbar. Und als Marianne Birthler, die Chefin der Gauck-Behörde, einmal vor Publikum berichtete, und ihre Augen schleuderten Blitze dabei, dass ihre Bekannten regelmäßig Ostalgiepartys feiern, dachten wir zum ersten Mal über die Ostalgie als subversive Geisteshaltung nach. Wider den tierischen Ernst – egal, ob er von gestern ist oder von heute. Und subversiv hatte die (Wieder-)Entdeckung des Ostens durch den Osten schließlich begonnen. Nicht zufällig hieß das erste Label, das sich nach der Wende der Ostmusik annahm, „Buschfunk“.

Aber eine Ostalgieshow ist etwas anderes. Hier ist alles kälteste Kalkulation und ultimativ weich gespült zugleich. Wie hieß noch mal der DDR-Weichspüler? Es gab nur einen, man hätte sich das wirklich merken können. Zu fürchten war gesterrn Abend, bei der „Ostalgie-Show“ im ZDF, im Grunde nur eins: die alles durchdringende Peinlichkeit. Die Bestände der DDR-Requisitenkammer sind endlich. Nur jetzt keinen Trabbi, dachte man noch, als die Trabbi-Parade schon begann. Dann folgten die längst bekannten Missverständnisse der Ost-West-Sprache.

Natürlich muss kein Fremdsozialisierter wissen, was ein „ABV“ gewesen ist. Die befragten Westkollegen der beiden jungen ZDF-(Ost-)Moderatoren Andrea Kiewel und Marco Schreyl entfalteten immerhin eine beachtliche Sprachfantasie angesichts solcher Begriffe: ABV – vielleicht Abgasbremsversicherung? Der ABV war der Abschnittsbevollmächtigte, eine Mischung aus Schutzmann und Blockwart. Aber solche Genealogien kann keine Ostalgie-Show aufnehmen, sie ist das ganz und gar falsche Format dafür.

Nun halten manche die gerade auf uns zurollende Welle der Ostalgie-Shows ohnehin für ein vollkommen falsches Format, schon politisch. Aber die Ostalgie-Shows sind wohl auch eine Antwort auf die Einseitigkeiten des DDR-Bildes der vergangenen zwölf Jahre. Man hatte sich längst daran gewöhnt, dass nirgends das Wort „DDR-Sport“ auftauchte ohne das Beiwort „Doping“. Keine echte Leistung, keine echte Sport-Begeisterung durfte es gegeben haben. Und gestern Abend? Das ZDF versammelte einige der größten Namen des DDR-Sports im Halbkreis. Man wartete. Das Wort „Doping“ fiel nicht. Stattdessen das Bekenntnis der ZDF-Moderatorin Andrea Kiewel, einst Mitglied der DDR-Schwimmnationalmannschaft: Wegen Kornelia Ender, einer der erfolgreichsten Schwimmerinnen aller Zeiten, habe sie überhaupt erst mit dem Schwimmen begonnen. Wenn etwas aufregend war an dieser Show, dann solche Momente unmerklicher Korrekturen.

Bislang machte sich verdächtig, wer bekannte, in der DDR eine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Die beiden Moderatoren brachen in aller Unbefangenheit mit diesem Tabu. Überhaupt rettete nur ihre Unmittelbarkeit diese Clip-Maskenshow vor dem Totalabsturz. Aber eine große Frage bleibt: Was, um Himmels willen, soll ein Westler damit anfangen? Mit diesem Heimatabend Ost, ja, Vertriebenenabend Ost auf einem gesamtdeutschen Sender? Es war genau wie das Blättern in einem Fotoalbum: alte bekannte Gesichter wiedersehen, sich an fast vergessene Namen erinnern, und ehe einer wieder richtig lebendig wird, hat man schon umgeblättert. Und wer sie nun gar nicht kannte? Wenn dieses Land aus zwanzig Prozent Altbundesbürgern und achtzig Prozent Ex-DDR-Bürgern bestehen würde, dürfte man diesen Aspekt getrost vernachlässigen. Es ist aber genau umgekehrt, und nicht nur das. Der Osten kannte den Westen, nicht andersrum. Niemand aus der Gruppe der achtzig Prozent muss sich darum jetzt Vorwürfe machen, er muss auch keine nachholende Bildungsarbeit leisten. Denn man weiß ja gar nicht, was einem erspart geblieben ist: Achim Menzel zum Beispiel und die Welt des DDR-Schlagers. Es ist ein kultureller Vorzug, bestimmte Dinge nicht zu kennen.

Andererseits kann die Bevölkerungsmehrheit ganz ruhig sein, auch wenn sie die nächsten Ostalgie-Shows auf Sat 1 und RTL verpassen sollte. Es geschieht nichts Schlimmes. Das Ostvolk hat nur einfach ein wenig quasikulturelle Emanzipation nachzuholen. Nach der Wende hat man alle seine „Broilerbars“ in Hähnchen-Imbisse umbenannt. Weil es im Westen keine Broiler gab. Das war irgendwie demütigend. Jetzt kehren die Gaststätten „Zum Goldbroiler“ zurück. Und sogar bei „real“, nicht eben eine Ost-Kette, gibt es wieder die hässlichsten Trainingsanzüge der Welt: fäkalienbraun mit goldroten Streifen. Aus kongenialem Material. Denn alle Ostalgie ist zugleich Selbstironie. Die DDR war eben ein sehr lächerliches, kleines Land.

Und wenn da doch ein Rest von Sehnsucht sein sollte – den wollte Andrea Kiewel wohl moderieren mit ihrem seltsamen, vollkommen übergangslosen Schlusssatz: „Aber in einem sind wir uns doch wohl alle einig: So wie es jetzt ist, ist es gut.“ Da klang sie plötzlich steif wie eine FDJ-Sekretärin. Wenn da also doch ein Rest Sehnsucht sein sollte, darf man den nicht politisch verstehen. Sondern eher anthropologisch, mit Wolfgang Joop vielleicht, der den treffendsten Satz über den Osten seit langem gesagt hat: „Die Glückschancen waren in der DDR gering, aber messbar. Lag darin das Geheimnis einer Zufriedenheit, die jetzt verschwunden war?“

Es war „Wofalor“. „Wofalor“ hieß der einzige Weichspüler der DDR.

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