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Medien: „Hier spricht Radio Kabul!“

Rundfunk nach dem Krieg – Wie baut man einen demokratischen Sender auf?

Von Caroline Fetscher

Freie Medien waren unter den Taliban in Afghanistan undenkbar – so, wie unter Saddam Hussein auch. Nach Bilderverbot und Musikverbot kommt die staatliche afghanische Rundfunkanstalt wieder auf die Beine. Sie macht durch, was dem Irak noch bevorsteht.

Der Mann, der als Generaldirektor des Senders den freien Rundfunk in Afghanistan mitaufbaut, hat sein drittes Leben begonnen, mit Anfang fünfzig. Als Mohammad Eshaq, geboren im Pandschir-Tal am Fuß des Hindukusch, 75 Kilometer nördlich von Kabul, Ingenieurswissenschaften studierte und sich auf Radiotechnik spezialisierte, ahnte er nicht, dass er Jahre später in sein Tal zurückkehren würde – als Radio-Partisan. Ausgestattet mit einem UKW-Sender, das Geschenk einer französischen Hilfsorganisation, produzierte Eshaq heimlich Sendungen auf Dari, Pashtu und Russisch. Sein Sender protestierte gegen die Besetzung Afghanistans durch Truppen der Sowjetunion. „Dann nahmen die Sowjets zwei unserer Mitarbeiter gefangen und brachten zwei von uns um“, erzählt er. Es war das Ende des Senders.

Später diente Eshaq dem Leiter der „Nordallianz“, Ahmed Sheikh Masoud, als Pressesprecher – im Kampf gegen die Taliban. Dann musste er mit der Familie ins Exil. In Washington, wo er mit seiner Frau und seinen sieben Kindern im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren, lebte, erfuhr er von Masouds Ermordung durch die Taliban: „Das einzige Mal im Leben hatte ich alle Hoffnung verloren.“ Es kam der 11. September. Es kam der Krieg, der Kabul befreite. Und jetzt baut Mohammad Eshaq wieder einen Sender in Afghanistan auf. Ein Machtmensch und Menschenkenner, der nicht aufgibt, einer, der ausgezeichnet englisch und alle Landessprachen Afghanistans spricht, ist seit Juli 2002 Generaldirektor von Radio-Television-Afghanistan (RTA). Er hat nicht eine Handvoll Mitarbeiter, wie damals in den Bergen, sondern 1500 feste Mitarbeiter – Sekretärinnen, Techniker, Redakteure, Moderatoren – und etwa fünfhundert freie. Sechzig seiner Angestellten sind Reporter.

Zwei Millionen Menschen empfangen die Sendungen von RTA, der Informationsdurst ist riesengroß. Ehe eine Familie eine Waschmaschine anschafft, leistet sie sich lieber einen Fernseher. „Die Leute wollen verlässliche Nachrichten, Unterhaltung und Bildung“, erklärt Eshaq, „aber kein Kabarett, keine Witze. Sie wollen sehen, dass es der Regierung Ernst ist.“ Um 17 Uhr beginnt das Programm mit fünf Minuten Lesung aus dem Heiligen Koran, dann gibt es eine Art afghanische „Sesamstraße“ für Kinder, und es folgt Informatives, wie es sich die Zuschauer wünschen: Sendungen über Tierzucht und Gartenbau, über Impfschutz für Kinder, Gesundheit, Krankheit, Vorsorge. Abends um sieben sieht, wer immer kann, die Nachrichten. Lokales vom RTA- Team, Weltnachrichten aufbereitet vom afghanischen Team der Deutschen Welle in Berlin. „Da kommen keine Strände mit Frauen in Bikinis vor, wir müssen Rücksicht nehmen auf unsere Kultur.“ Der Abend endet um zehn Uhr, oft mit Debatten im Frage- und Antwort- Stil, übertragen aus Gemeindesälen oder Auditorien. Gelegentlich dürfen Imame die Regierung kritisieren, „manche gehen zu weit, manche nicht“, meint diplomatisch.

Mädchen sind Mädchen

Die 30 Prozent weiblicher Mitarbeiter bei RTA – keine davon im Management – müssen Schleier tragen, aber keine Burkha. Seine Ehefrau allerdings, so Eshaq, hat die Burkha wieder angelegt, als die Familie aus Washington zurückkehrte, und auch die vier Töchter tragen Schleier: „Mit geht es um den Schutz und die Ehre der Frau“, sagt Eshaq, der moderne Traditionalist, unbeirrt. Zur Schule gehen und studieren sollen seine Töchter, ja. Aber auch einmal Kinder bekommen. „Mädchen sind genauso gut wie Jungen. Aber sie sind Mädchen.“ Er lächelt. Er will lieber über die Missstände bei RTA reden, den Groll angesichts des Geldmangels. „Unsere Reporter sollten eigentlich überall unterwegs sein können, um aus den Winkeln der Dörfer und den Falten der Täler des gebirgigen Afghanistan berichten zu können, nicht nur aus Kabul, Kandahar, Kunduz, Mazar i Sharif"“, sagt der RTA-Chef, „aber wir besitzen nur fünf alte Autos.“ Nicht ohne Neid sieht Eshaqs Equipe daher die glänzenden Landrover und Four- Wheel-Drives der Hilfsorganisationen und UN-Angestellten durch die Straßen von Kabul kreuzen. „Alles Geld fließt in deren Infrastruktur“, beschwert er sich, „und weil sie Privatsender und freien Markt fördern wollen, kaufen sie uns die besten Mitarbeiter weg.“ Die „Internationals“ wie Unesco bieten 300 Dollar Monatslohn, bei RTA verdient man 40 Dollar. „Raten Sie mal, wo einer dann hinwill!“ Mit Sorge sieht Mohammad Eshaq eine neue Kultur der indirekten Korruption nach den Taliban wachsen, in der die „Internationals“ als Hauptfinanziers fungieren. „Sie zahlen enorme Mieten an Hausbesitzer, die ihre Konten im Ausland führen. Wir Afghanen haben wenig davon.“

Dreißig Jahre alt ist die verschrammte Ausrüstung von Siemens, auf die RTA bis jetzt zurückgreifen muss. . Doch jetzt, das gibt dem Direktor Zuversicht, hat Japans Regierung eine Spende von 18 Millionen Dollar für technisch hochwertige Radiosender versprochen, „400 Kilowatt und 400 bis 500 Kilometer Reichweite“, schwärmt der Intendant. Er weiß, was er will: „Jedes Dorf erreichen, jedes Kind, in dem Land, das ich noch mehr liebe, seitdem ich aus dem Exil zurück bin. Da habe ich gemerkt, dass ein anderes Land immer ein geborgtes Land ist.“

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