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Josefine Preuß als Hebamme

© dpa

History-Film: Arbeit statt Männer

„Die Hebamme“ tröstet mit Bildern von gestern heutige Frauenherzen. Und selten hat man einen so quicklebendigen Axel Milberg gesehen.

Der Geist der Moderne macht vor nichts halt. Nicht mal vor Sat 1, nicht mal vor dessen Trivialevents. „Die Wanderhure“, der dreiteilige mittelalterliche Quotenbringer (2010 bis 2012), schickte die Heldin Marie durch Schandpfahl, Tatarengeilheit und Mutterleid in den Hafen des Glücks, in ein Familienleben mit ihrem Ritter Michel. „Die Hebamme“, die neue Geschichtsexkursion auf Sat 1 und (noch?) als Einteiler vorgesehen, verheißt dem Frauenherzen einen neuen Sehnsuchtsort: die schwesterliche Ausübung des Berufs ohne Männer und Männerfallen wie Liebe und Bevormundung.

Die Arbeit als berechenbares drittes Geschlecht, ganz ohne Michels, ganz ohne Gefühlsgedöns wäre auch schon früher die Lösung aller Probleme gewesen, verkündet der neuerdings liebes- und männerenttäuschte Zeitgeist und nimmt diese Sicht auf seine trivialen Geschichtsexkursionen mit. Eine klassische Projektion. Wenn wir dabei zusehen, wie sich anno 1799 die 19jährige Gesa (Josefine Preuß), Tochter einer gerade gestorbenen Hebamme aus einem Dorf aufmacht, um gemäß dem letzten Willen der Toten das Handwerk der Geburtshelferinnen bei der Marburger Stadthebamme Elgin (Lisa Maria Potthoff) zu erlernen, erleben wir den Mann in seiner ganzen Schwäche und Eitelkeit.

Männer schwängern hilflose Mägde, kirchliche Moralapostel sorgen dafür, dass uneheliche Mütter im Geburtshaus wie Aussätzige behandelt werden und sich die Herren der Wissenschaft brutal in das zuvor von Wehmüttern geprägte Geburtsgeschehen einmischen. Das ist sicher ein dunkles und trotzdem wichtiges Kapitel der Kulturgeschichte aus einer Zeit, in der Frauen dem riskanten Kinderkriegen ausgeliefert waren.

Süffiger Roman auf historischen Beinen

Die Vorlage zu diesem von Oliver Berben produzierten Thriller (Drehbuch: Thorsten Wettcke, Regie: Hannu Salonen) hat die Debütantin Kerstin Cantz (Diana Verlag) geschrieben. Ein süffiger Roman auf soliden historischen Beinen. Verglichen mit der 400-Seiten-Vorlage ist der Film – selbstbewusst, aber nicht ungeschickt– mit dem Cantz-Stück nach seinen Bedürfnissen umgesprungen. Aus der ziemlich traurigen Liebesgeschichte des Buches zwischen der erfahrenen Hebamme Elgin und einem ihr in tödlicher Melancholie hoffnungslos verfallenen Apothekersohn (Benedikt Blaskovic) ist ein TV-Schocker voller Gothic-Thrill geworden, als läge das alte Marburg in Transsilvanien.

Auf der Lahn treiben tote Mütter mit toten Säuglingen über den Schirm, ein Pathologe (Andreas Pietschmann), den die Hebammenschülerin Gesa lieben lernt, schneidet in Leichen herum, und die Kamera hat keine Scheu zu assistieren. Man sieht: Der Zeitgeist im TV ist krimiverrückt, mit den stilleren Momenten der Vorlage will er wenig anfangen.

Aber die Verschärfungen der Fernseherzählweise mit einem besonders dramatischen, neu erfundenen TV-Finale sind hier dennoch erträglich, weil die Substanz der Hebammengeschichte gewahrt bleibt: die zähe Selbstbehauptung unstudierter Frauen, die sich mit ihrem Erfahrungswissen gegen den männlichen Angriff im Namen der Verwissenschaftlichung behaupten. Die „Wanderhuren“-Klischees mit den einfältigen Dialogen jedenfalls überwindet „Die Hebamme“.

Das liegt nicht zuletzt an der glaubhaften historischen Ausstattung der Geburtsräume (Jana Karen). Hinzu kommen vorzügliche Darstellerleistungen: Josefine Preuß gelingt wie Lisa Maria Potthoff ein intelligentes, uneitles Mienenspiel, in dem jede Gefühlsregung erkennbar wird. Und wann hat man Axel Milberg, der den Oberprofessor Kilian spielt, so quicklebendig gesehen? Ihm gelingt die Mischung aus leidenschaftlichem Erkenntnisdrang und unbewusst sadistischen Ausrutschern. Seine Figurendarstellung zeigt ihn als Kind der Aufklärung.

Er tritt den Beweis an: Wenn es um echte Professionalität geht, sind Frauen nicht so von Männern verlassen, wie sie es in Liebesdingen zu sein glauben.

„Die Hebamme“, Dienstag, Sat1, 20 Uhr 15

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