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Hochglanzzeitschriften: Nach den Flegeljahren

Weniger Testosteron, mehr Lässigkeit: Condé Nast setzt mit der überarbeiteten „GQ“ auf Metrosexuelle.

Ob Boris Becker auch heute noch am liebsten Armani trägt? Im Oktober 1997 bekannte sich der 29-Jährige zu seinem Rückzug aus dem aktiven Sport – und zum italienischen Stardesigner. Aus Boris wurde in der ersten deutschen Ausgabe von „Gentlemen's Quarterly“ („GQ“) ein „Beauris“, der den potenziellen Käufer aus tiefblauen Augen von einem lindgrünen Cover anblickte. Eine Ausnahme, denn eigentlich, verrät der neue Condé-Nast-Geschäftsführer und „GQ“-Herausgeber Moritz von Laffert, gelten Männer auf dem Cover des Männermagazins als nicht verkaufsfördernd.

Wenn an diesem Mittwoch die runderneuerte „GQ“ erscheint, ist mit Model und Schauspielerin Milla Jovovich eine Frau zu sehen, die auch noch eindeutig zweideutig in ein weißes Laken beißt; unverblümte Anregungen liefert Sex-Kolumnistin Paula Lambert – in dem 246 Seiten starken Heft gibt es aber nur einen einzigen blanken Busen zu sehen. Vielmehr gibt sich die runderneuerte „GQ“ erwachsen und überraschend textlastig: ein Männermagazin mit der Lizenz zum Schmökern.

Am Montagabend hatte Condé Nast in sein Verlagshaus in München eingeladen, um das neu gestaltete Heft zu präsentieren. Lange galt der Verlag eher als verschlossen, doch mit von Laffert scheint eine neue Offenheit eingekehrt zu sein. Der 42-Jährige hat im vergangenen Oktober die Geschäftsführung übernommen, sein Vorgänger Bernd Runge war zum Auktionshaus Phillips de Pury nach London gewechselt. Von Laffert ist Magazinexperte, für den Axel Springer Verlag baute er Titel wie „Popcorn“, „Mädchen“, „Musikexpress“ und „Rolling Stone“ auf und verkaufte einige davon weiter. Nun widmet er sich dem Hochglanzbereich, denn darauf ist der Verlag Condé Nast, hinter dem die New Yorker Familie Newhouse steht, spezialisiert.

Neben „GQ“ werden von der deutschen Dependance Titel wie „Glamour“, „Vogue“, „Myself“ und „AD“ herausgegeben. Zwar hatten insbesondere Hochglanztitel unter den durch die Wirtschaftskrise bedingten Anzeigeneinbrüchen zu leiden, doch auflagenmäßig geht es zumindest den Frauentiteln gut. „Glamour“ wurde von zweiwöchentlicher auf monatliche Erscheinungsweise umgestellt und verzeichnet laut IVW im zweiten Quartal 2010 im Vergleich zum Vorjahresquartal einen Auflagenzuwachs von knapp zehn Prozent auf 541 381 verkaufte Exemplare, „Myself“ steigerte sich um knapp sechs Prozent auf 314 155 verkaufte Exemplare. „GQ“ hingegen verlor zuletzt kräftig, um etwa acht Prozent schrumpfte die Auflage auf 123 561 verkaufte Exemplare, die Abonnements sogar um ein Viertel.

Das soll José Redondo-Vega nun ändern. Im April wurde der 44-Jährige zum Chefredakteur berufen. Seine Kreativität hat er bereits als Ressortleiter Aktuelles bei der „Gala“ und Chefredakteur des Mediendienstes Kress bewiesen. Von 2002 bis Ende 2006 war er bereits Stellvertreter des damaligen „GQ“-Chefredakteurs Manuel Frei. Ab 2007 baute José Redondo-Vega in München für Condé Nast die Online-Redaktion von „Vanity Fair“ auf, um dann nach Berlin zu wechseln, wo er im Februar 2009 als Vizechef des illustren Wochenmagazins dessen plötzliches Ende miterlebte.

Sein schwarzer Anzug spiegelt sich am Montagabend in der cremefarbenen Tischfläche des Konferenzsaals. Für Redondo-Vega und seinen 33-jährigen Stellvertreter Dominik Schütte, den er von der Gruner+Jahr-Zeitschrift „Neon“ abwarb, ist der entscheidende Moment gekommen, der Übergang von der Theorie zum Haptischen.

Ein Spalier von 21 Werbeseiten eröffnet das neue „GQ“-Heft, das auch weiterhin fünf Euro kostet. Acht neue Rubriken wie „Gentlemen“, „Business“, „Home“, „Coach“ und die abschließende „Kultur-„Agenda“ bilden das Raster für große Reportagen und Interviews. Uschi- Glas-Sohn Ben Tewaag berichtet in der ersten Ausgabe von seiner Haft, der New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer spricht über sein vegetarisches Plädoyer „Tiere essen“. Ein anderer Schriftsteller hat das vorletzte Wort: Feridun Zaimoglu tippte den Anfang des „GQ“-Fortsetzungsromans auf seiner alten elektrischen Schreibmaschine. Marco Rechenberg, Harvard-Jurist und ehemaliger Style-Redakteur bei „Vanity Fair“, wird weiterhin Stiltipps geben. Für das neue Layout, eine Synthese aus US-amerikanischer Verspieltheit und deutscher Strenge, steht Art-Direktorin Jana Meier-Roberts. Die „Gentlemen“ – laut Lexikon die Verkörperung von Selbstbeherrschung, Hilfsbereitschaft, Mut und Höflichkeit – haben ihre Flegeljahre also erkennbar hinter sich gelassen. „Männer sind mehr als die Summe ihrer Klischees“, sagt Redondo-Vega. Weg vom reinen Testosteron, hin zu metrosexueller Ironie und Lässigkeit, könnte die neue Marschrichtung lauten.

Die Frage, ob die Einsparung von „Vanity Fair“ im Februar vergangenen Jahres nun indirekt dem Relaunch von „GQ“ zugute kam, will in der Münchner Karlstraße niemand so recht beantworten. Im Februar 2007 war die deutsche Ausgabe der „Vanity Fair“ mit lauten Getöse gestartet, wurde nach zwei Jahren aber wieder eingestellt. Für 2011 hat von Laffert nun ein neues Magazin im High-End-Bereich angekündigt. Ob es sich dabei um eine Wiederauferstehung von „Vanity Fair“ handelt oder um einen komplett neuen Titel, dazu wollte sich am Montag kein Condé-Nast-Vertreter äußern.

Fest steht nur, dass „GQ“ wie bereits die „Vogue“ auch als App fürs iPad erscheinen soll, zunächst kostenlos. Einen echten britischen Gentleman zeigt die „GQ“ schon jetzt mit Bryan Ferry. Der Musiker gibt einen Einblick in sein Londoner Heim.

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