zum Hauptinhalt

Medien: „Ich bin ein Event-Sucher“

Von Sandra Maischberger bis Willy Brandt: Programmchef Günter Struve über das ARD-Programmjahr 2003

Die ntv-Talkerin Sandra Maischberger wird 2003 in die ARD-Familie aufgenommen. Was kann Sandra Maischberger, was andere nicht können?

Sie kann Gespräche in einer Weise intim gestalten wie kein zweiter. Sie kann Männern wie Frauen Dinge entlocken durch scheinbare Sanftheit, die andere ihnen nicht entlocken können.

Nun funktioniert „Sandra Maischberger“ im engen Studio, im intimen Rahmen. Soll dieses n-tv-Konzept in der ARD wiederholt werden?

Diese Konzeption ist prinzipiell die richtige, weil sich dort so viel sichtbare Kraft entfaltet, wie sie sich in großen Runden nicht entfalten könnte.

Wird die Sendung von Sandra Maischberger so gestaltet sein wie jetzt das Zwei-Personen- Gespräch von Gabi Bauer?

Ja, so wie in etwa Gabi Bauers Talkshow.

Sandra Maischberger ersetzt Gabi Bauer.

Nein, Sandra Maischberger folgt Alfred Biolek.

Die Stimmung im Land ist richtig mies. Müsste da nicht das Fernsehen massiv Anti-Depressiva rausschicken?

Wir machen das seit langem, zum Beispiel mit den warmen, frauenaffinen Stoffen am Freitagabend. Dort bescheren wir unseren Zuschauern oft ein Happy End. Oder nehmen Sie die Hauptabendserien „Julia“ oder „In aller Freundschaft“. Das ist Unterhaltung im besten Sinn, hier werden Werte vermittelt, die Sie auch aus depressiven Stimmungen herausreißen mögen.

2002 war ein besonderes Jahr, auch im Fernsehen: Bundestagswahl, Fernseh-Duell, Fußball- WM. Da kann 2003 nur abfallen. Kein großes Event in Sicht.

Trotzdem, siehe 11. September 2001, man kann es so genau auch nicht wissen. Von der reinen Planung her haben Sie Recht: 2003 wird ein Jahr, in dem das Fernsehen auf sich selbst zurückgeworfen ist, auf sich und seine eigenproduzierten Events.

Als da wären?

Zum Beispiel die beiden Fernsehfilm-Zweiteiler „Eine Liebe in Afrika“ und „Im Schatten der Macht“, ein Zweiteiler über Willy Brandt. Aber auch der Grand Prix und unsere Doku-Reihen am Montagabend. Dann werden wir, und das wird die Intellektuellen besonders freuen, eine neue Büchersendung am Sonntag nach den „Tagesthemen“ platzieren: „Drucksache“. Insgesamt wird das Erste an seinem Sendeschema festhalten: Die „Tagesschau“ bleibt bei 20 Uhr. Wir werden eben den Programm-Alltag so attraktiv wie möglich gestalten.

Warum so defensiv? Da liegt ein Jahr ohne vorhersehbare Events vor Ihnen. Das schreit doch nach Risiko.

Unsere Fernsehfilme sind und bleiben eine künstlerische Herausforderung – für die ARD, für das Publikum und für unseren Erfolg beim Publikum. Insofern riskieren wir mindestens einmal in der Woche, meistens am Mittwoch, etwas.

Und nachmittags? Da wäre sehr viel zu tun. Der Nachmittag liegt bei der ARD wie ein toter Fisch im Wasser, während die Privatsender mit den Gerichtsshows und dem Gynäkologen-Fernsehen den abflachenden Boom der Talkshows bestens kompensieren konnten.

Wir sind schon relativ zufrieden mit den beiden Strecken Naturfilme und der Talkshow „Fliege“. Zudem mussten wir ein drängenderes Problem lösen und zwar um 14 Uhr. Da fiel Ingo Dubinski mit der „Wunschbox“ weg. Jetzt wiederholen wir dort eine Serie, was noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Die Gerichtsshows können und wollen wir nicht machen. Jetzt, wo diese so sehr boomen, irgendeinen Neustart zu machen, der zu unserem Image passt, davon halte ich gar nichts. Das Ding hätte keine Chance, wir würden Geld verbrennen. Und das haben wir nicht vor.

Tja, Herr Struve, die private Konkurrenz brummt, und die ARD wartet geduldig, bis sie nicht mehr brummt.

Wir haben Ideen, wir haben Formate, wir haben sogar Pilotsendungen gemacht. Aber mein Instinkt sagt mir, dass wir damit keine zweistelligen Marktanteile bekommen. Und die möchten wir schon haben. Also werden wir weiter nach geeigneten Formaten suchen und sie entwickeln.

Der Kauf der Bundesliga-Rechte wäre kein Risiko, das die ARD eingehen würde?

Nein. Dazu ist das Geld definitiv nicht vorhanden. Wenn wir freilich ad hoc die Übertragungsrechte an sehr interessanten Fußballspielen erwerben können, dann verfügen wir über eine taktische Eingreifreserve, siehe Halbfinale und Spiel um den dritten Platz bei der WM, siehe das Pokalspiel Bayern München gegen Hannover 96. Dies nicht zu tun und damit wie bei der WM auf 13 Millionen Zuschauer zu verzichten, das hielte ich für einen groben Fehler. Beim Pokalspiel kam hinzu, dass wir beim UEFA-Cup sparen, weil die Bayern nicht teilnehmen.

Sie suchen den plötzlichen Event, nicht die langfristige Bindung.

Ja, ich bin ein Event-Sucher, so wie ich Programmfragen oft aus dem Bauch heraus entscheide.

Ein Event, der dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer wieder passiert, das sind die Dokumentationen zu Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg. Diese Sendungen finden ein Millionenpublikum. Wissen Sie, wer da vor dem Fernsehgerät sitzt?

Beim ZDF zum Beispiel kann man sehen, dass gegen die ZDF-Gewohnheit ein außergewöhnlich großer Teil des Publikums zwischen 14 und 49 Jahren alt ist. Die Gesinnung unseres Publikums kennen wir nicht. An Reaktionen ist natürlich alles möglich. Da sind gewiss auch Ewiggestrige dabei, die aber mit unseren Darstellungen keineswegs zufrieden sind. Die wollen Glorifizierung, und die wollen zumindest wir im Ersten nicht.

Der Publizist Henryk M. Broder führt die hohen Quoten, die die Dokumentationen über den Nationalsozialismus erzielen, auch darauf zurück, dass dieser Stoff absolut deutsch ist, quasi das „Made in Germany“, das sich bei den Deutschen extrem gut verkauft.

Die These könnte stimmen. Was wir sehen: Sobald der Stoff personalisiert wird, funktioniert er auch. Das wiederum spricht dagegen, dass die Nazis als Phänomen so interessant sind. Aber Nazis als Personen, als herausragende Mitgestalter von Geschichte, finden ein größeres Interesse als vor 20 Jahren. Erst heute, Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, findet die Aufarbeitung des Nationalsozialismus durch das Fernsehen statt. Da war und ist ein latentes Interesse, das wir nicht befriedigt haben und vorher auch gar nicht befriedigen wollten. Ich hätte vor 15 Jahren solche Dokumentationen nicht in Auftrag gegeben.

In wenigen Tagen startet in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „Fernsehen macht glücklich“. Ein richtiger Titel?

Er stammt nicht von mir.

Er könnte auch nicht von Ihnen stammen?

Nein.

Das Gespräch führte Joachim Huber.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false