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Medien: Ich, der Selbstmordattentäter

Arte-Themenabend ergründet die Motive junger Muslime, radikal zu werden

Der heutige Arte-Themenabend über Selbstmordattentäter hat durch die Bomben in der Türkei und die Beinahe-Anschläge in Deutschland traurige Aktualität bekommen. Was bringt junge Muslime dazu, unschuldige Menschen zu töten und sich sogar in lebende Bomben zu verwandeln? In Filmen über den in den USA verurteilten Zacarias Moussaoui, den vermeintlichen 20. Attentäter des 11. September 2001, sowie über die Londoner Anschläge am 7. Juli 2005 sucht Arte nach Gründen und Gemeinsamkeiten. Die Antworten sind beunruhigend: „Al Qaida muss sich um seinen Nachwuchs keine Sorgen machen“, sagt der amerikanische Gerichtspsychiater Marc Sageman in der Dokumentation „Der Anschlag von London“. Terrorzellen würden im Westen spontan und unabhängig entstehen, nicht auf Geheiß einer Organisation wie Al Qaida.

Seit 1981 habe es mehr als 900 Selbstmordanschläge mit 9000 Todesopfern gegeben, allein 200 der Anschläge ereigneten sich in Israel, heißt es im Film. Der Pariser Anthropologe Scott Antran behauptet freilich, die meisten Attentate seien von tamilischen Terroristen auf Sri Lanka und kurdischen PKK-Angehörigen begangen worden. Nicht religiöse Gründe, sondern politische Ziele seien also ausschlaggebend für die Radikalisierung. Die Frage, welche Rolle islamische Hassprediger in westlichen Moscheen spielen, wird hier etwas vernachlässigt. Dennoch bietet die Dokumentation von Alicky Sussman bedenkenswertes Hintergrundwissen.

So stammen Attentäter durchaus nicht nur aus der Unterschicht. „Jeder kann zum Selbstmordattentäter werden“, sagt der Psychologe Ariel Merari aus Tel Aviv. Bei jungen Muslimen, die im Westen aufwachsen, spiele jedoch ein „Nachgeborenenphänomen“ eine wichtige Rolle. Die Folgegeneration der Einwandererfamilien leide unter kultureller Entfremdung, erklärt Sageman. Die Wissenschaftler sehen in dem Wunsch, einer Gruppe zuzugehören und anerkannt zu werden, einen entscheidenden Faktor bei der Radikalisierung.

Überzeugend wirkt hier das Beispiel der vier Londoner Attentäter, die sich zum Teil seit der Kindheit kannten. Ihr Weg nach London am 7. Juli 2005 und der Ablauf der Anschläge selbst bilden den dramaturgischen Rahmen. Dadurch wirkt der Film freilich übertrieben laut und aufgeblasen, die nachdenkliche Analyse wird in den Hintergrund gedrängt.

Einen leiseren Ton schlägt Valentin Thurns sehenswerte Dokumentation „Ich bin Al Qaida“ über Zacarias Moussaoui an. Der aus Marokko stammende Franzose ist im Mai in den USA zu sechsmal lebenslanger Haft verurteilt worden. Er war wenige Wochen vor dem 11. September 2001 verhaftet worden, weil er sich als Flugschüler verdächtig machte. Ob er wirklich der 20. Attentäter gewesen wäre, ist zweifelhaft, aber dass er ein Flugzeug entführen und als Waffe einsetzen sollte, ist offenbar gewiss.

Valentin Thurn sprach mit Moussaouis Mutter und den drei Geschwistern, schildert seinen Lebensweg von der schwierigen Kindheit mit gewalttätigem Vater, den Ausgrenzungen als dunkelhäutiger Jugendlicher in Frankreich bis zu seinem Doppelleben am Studienort London, wo er Kontakt zu Al Qaida fand. Und der Autor erzählt von einer ungewöhnlichen Freundschaft: zwischen Aicha al Wafi, der Mutter des verhinderten Terroristen Moussaoui, und Phyllis Rodriguez, der Mutter eines jungen Amerikaners, der beim Anschlag auf das World Trade Center in New York getötet wurde.

„Arte-Themenabend Selbstmordattentäter“: „Ich bin Al Qaida“, 20 Uhr 40 und anschließend um 21 Uhr 40 „Der Anschlag von London“

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