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Die Crawleys und ihre Angestellten im Jahre 1925

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Ich gestehe, ich sehe: "Downton Abbey": Klassenkonflikt in Watte

Die Dramen von oben sind der Gesprächsstoff für unten: Das Serien-Phänomen „Downton Abbey“. Am Freitag startete die sechste Staffel auf Sky.

Großbritannien im Jahr 1912. In der ersten Folge der Serie „Downton Abbey“ scheint die Klassengesellschaft noch zu funktionieren. Jeder kennt seinen Platz. Im Herrensitz der Adelsfamilie Crawley wuseln die Diener schon um sechs Uhr früh mit Besen, Teppichklopfer und Lineal durch die Gemächer, decken zentimetergenau die Tafel, fegen den Kamin und bügeln die Zeitung für den Earl of Grantham, Robert Crawley, damit sich Mylord beim Frühstück keine Druckerschwärze an seinen Tweedanzug schmiert.

Downton Abbey ist die seifigste Serie, die ich je gesehen habe. Bevor Sie jetzt das sagen, was ich immer zu meinen Großeltern sagte, wenn die beiden eine Schmonzette von Rosamunde Pilcher sehen wollten: „Guckt Ihr mal Soap, aber ich, ehm, mach’ mal was anderes.“ Stopp! Einen Moment. Wir erleben in „Downton Abbey“ die Geschichte der Crawleys, einer reichen adligen Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Großbritannien.

Oben im Schloss residiert der Adel, unten in den Kammern arbeitet und lebt die Dienerschaft. Menschen und Probleme von gestern. Und genau aus diesem Grund fasziniert mich und Millionen andere diese Serie: Eskapismus gute Unterhaltung. Die Probleme von gestern sparen die Probleme von heute aus.

So wie das Problem von Robert und seiner Frau Cora. Sie haben drei Töchter, aber keinen Sohn. Das Anwesen kann – wie auch der Titel des Earl von Grantham – nur einem männlichem Erben zufallen. Ein Cousin soll deswegen die älteste Tochter Lady Mary heiraten. Den gibt es aber nicht mehr. Der avisierte Nachfolger des Earls ist mit der Titanic untergegangen. Lady Mary hat keinen Mann mehr. Und Lord Grantham keinen Erben. Blöde Sache und Auftakt der Serie.

Die Glöckchen der Adeligen

Die Dramen von oben sind der Gesprächsstoff für unten, wenn die Diener an ihrem langen Küchentisch im Souterrain sitzen und versuchen, zwischen all ihren Aufgaben einen Happen reinzuschieben. Gar nicht einfach. Denn an der Wand scheppern alle naslang die Glöckchen der Adeligen, mit denen sie ihre Angestellten heranklingeln.

Es folgen Skandale, Affären und Intrigen, sowohl bei den Adligen, als auch der Dienerschaft. Ein anderer Cousin aus Manchester soll der neue Erbe werden und bringt alles durcheinander. Er meint, er könne sich ohne Hilfe des Kammerdieners anziehen. Zum Entsetzen des Oberbutlers Carson, der seit seiner Jugend der Familie dient und sich mindestens genau so strikt dem Standessystem verpflichtet fühlt wie der Adel selbst. „Sie sind genau dort, wo sie hingehören“, sagt er gerne.

Carson ist der Einzige, der die älteste Tochter der Familie, Lady Mary kompromisslos liebt. Lady Mary, die Frau mit der kreideweißen Fassade. Niemals sicher, ob sie einen emotionalen Zugang zur Welt hat, wundere ich mich immer, wie sie in dieser stocksteifen Gesellschaft so besonders stocksteif wirken kann. Geschrieben und inszeniert hat die Serie Julian Fellowes. Die Unterschiede der beiden Welten von Dienerschaft und Adel, von Oben und Unten, prägen jede Szene.

Dem Adel folgen wir in langen und ruhigen Kamerafahrten, in denen uns im goldenen Schnitt große Ahnenporträts, lange Wände mit handgefertigten Holzregalen voller Bücher und vergoldete Säulen gezeigt werden. Unten folgen wir den Dienern mit Handkamera und schnellen Schwenks bei ihrer ebenso hektischen Arbeit. Es herrscht reine Funktionalität: ein paar Stühle und Tische und keine Dekoration.

All die großen und kleinen Dramen der Lords, Ladies, Butler und Lakaien

Während Köchin Beryl Patmore über bislang fünf Staffeln die gleiche Schürze trägt, wandeln sich die Kleider der Crawleys von Folge zu Folge, ach was, von Szene zu Szene. Wir lernen nämlich: Was zum Tee passt, kann zum Dinner auf keinen Fall getragen werden.

Es gibt viele Szenen, in denen ich mich nur über die britischen Absurditäten des Adels lustig machen kann, wenn nicht genau in diesen Momenten die Verletzbarkeit dieser Personen verdeutlicht würde.

Fellowes verflicht mehr als 20 Erzählstränge, ohne dabei einzelne Charaktere ganz aus dem Auge zu verlieren. Wir erfahren zum Beispiel über die Küchenhilfe Daisy Robinson, die sich gern am Kohleherd verbrennt und ein wenig lispelt, genauso viel wie über Lady Sybil Crawley, die Suffragette, die sogar einen der Diener heiratet. Fellowes gleiche Verteilung der Aufmerksamkeit steht im Konflikt zu der Ungleichheit der Klassengesellschaft und den sozialen Unterschieden der damaligen Zeit.

Doch weil wir mit allen so viel Zeit verbringen, werden die Unterschiede klar. Während Mr. Patmore erblinden könnte (ernstes Problem) und auf die Gunst Lord Granthams angewiesen ist, die OP zu bezahlen, was er selbstverständlich macht, ist für die Adligen schon die Apokalypse nahe, wenn sie sich eingestehen müssen: Wir haben kein Geld mehr, Leute dafür zu bezahlen, uns anzuziehen (nicht so ernstes Problem).

Ich fiebere bei all den großen und kleinen Dramen der Lords, Ladies, Butler und Lakaien mit. Downton Abbey schafft es, dass ich mit den Protagonisten leide und jubele, dass ich all ihre großen und kleinen Probleme der Protagonisten spannend finde, auch die kleinen Wehwehchen von Lady Mary. Dabei sind die Zeiten passé, in denen die Serie spielt. Frauen dürfen wählen und Adlige erregen mittlerweile allenfalls noch Aufsehen, wenn sie an Expo-Zelte pinkeln, einen Paparazzi verprügeln oder mal wieder einer pompös heiratet.

Die Fernsehserie „Downton Abbey“ schildert, wie eine überflüssige Klasse an Bedeutung verliert, wie sie mit diesem Verlust umgeht und dabei merkt: Die Welt dreht sich auch ohne uns. Fellowes hat diesen Klassenkonflikt in eine Menge Watte gepackt. Im Gegensatz zu den harschen Realitäten der damaligen Gesellschaft nehmen die Crawleys die Verantwortung für ihre Angestellten nie auf die leichte Schulter.

Fellowes führt in seiner Serie niemanden vor, weder Adel noch Dienerschaft. Er bedient zwei unserer Grundbedürfnisse: Wir wollen spannende Charakterentwicklungen wie in „Breaking Bad“ miterleben und ab und zu etwas Trash-TV wie „Germany’s Next Top Model“. „Downton Abbey“ schafft beides. Der Klassenkampf der damaligen Zeit wird zu einer Klassenevolution des Sonntagabends.

Eine andere starke, historische Serie aus Großbritannien: "Call the Midwife"

Patrick Bauer

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