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Medien: „Ich hab halt Spaß am Zerstören von Mythen“

Markus Peichl über Nonnen, kreative Magazine, langweilige Anzeigen – und die Idee, „Tempo“ neu aufzulegen

Wissen Sie, wer über „Neon“, das Jugendmagazin des „Stern“, gesagt hat, es sei verzagt, traurig, brav und bieder?

Ich geb’s ja schon zu. Aber erstens kann mich niemand daran hindern, klüger zu werden. Und zweitens kann vor allem niemand eine Redaktion daran hindern, besser zu werden. „Neon“ war zu Beginn sehr bemüht. Aber jetzt hat es seine selbst auferlegten Fesseln abgestreift. Es traut sich was, überrascht die Leser und kommt immer wieder mit neuen Ideen. Und: „Neon“ ist keine Kopie eines ausländischen Magazins, sondern eine ureigene, deutsche Entwicklung mit einem ureigenen, deutschen Konzept. Davon haben wir viel zu wenige.

„Neon“ ist am Mittwoch einer der heißesten Anwärter auf den Zeitschriften-Oscar „Leadmagazin des Jahres“ – neben „032c“ und neben dem „SZ-Magazin“, das die beste Zeit hinter sich zu haben schien.

Das „SZ-Magazin“ war in den 90ern ein fantasievolles Heft. Dann ist es verflacht und war nur noch eine Kopie seiner selbst. Aber: Das „SZ-Magazin“ ist zurück. Es glänzt wieder durch Ideenreichtum, Vielfältigkeit und Originalität. Und das, obwohl der Druck auf die Redaktion groß, die finanziellen Mittel gering sind. Das „SZ- Magazin“ hat es trotz Zeitschriften-Krise geschafft, die deutsche Institution des Zeitungssupplements zu retten. Zu Recht ist das „SZ-Magazin“ in diesem Jahr das am häufigsten nominierte Heft.

Und was bitte ist „032c“?

Ein Traum auf Papier. Es ist ein Kulturmagazin, das in Berlin von einer kleinen, sehr kreativen Truppe gemacht wird. Vertrieben wird es vor allem im Ausland, wo es viel für das Image Deutschlands tut. „032c“ transportiert das positive Bild eines modernen, in der Kunst verankerten Deutschland in die Welt. Der „032c“-Erfinder Joerg Koch und seine Artdirektorin Petra Langhammer haben eine völlig eigenständige, höchst präzise Bildästhetik entwickelt. „032c“ holt das Maximum aus dem Minimalismus, der das 90er-Jahre-Magazindesign bestimmt hat. Dieses Heft zählt zum Besten, was Berlin in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Vergangenes Jahr sagten Sie, es gebe im Online-Bereich nichts Besseres als „Spiegel.de“. Jetzt ist es nicht einmal nominiert. Was ist passiert?

Wir haben die Online-Kategorie von Grund auf geändert, und zwar so, dass sie der neuen Bedeutung der Online-Medien gerecht wird. Das Jury-Ergebnis zeigt, dass die Neuausrichtung richtig war. In der Kategorie „Web-Leader des Jahres“ sind ausschließlich Community-Sites nominiert, und die sind nun mal im Internet das Ding der Stunde. Angebote wie die Netzwerk- Plattform „Open BC“ oder das Internet-Lexikon „Wikipedia“ geben im Moment den Takt vor – mehr als Online-Magazine. Das meint sogar der „Spiegel-Online“-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron, der auch in der Jury sitzt. Außerdem hat er sechsmal hintereinander gewonnen – ich glaube, er hat genug Größe, auch mal anderen den Vortritt zu lassen.

„Park Avenue“ ist als Newcomer des Jahres nominiert. Steht das Magazin für einen Trend, der sich 2005 abgezeichnet hat?

Wir werden 18 Gewinner in 18 Kategorien haben. Und wir werden einen Gewinner haben, der alle überstrahlt: die Kreativität. Wir hatten seit langem nicht mehr so viele unterschiedliche Anwärter für den Newcomer-Preis. „Park Avenue“ wird von manchen Leuten kritisch beäugt, von anderen begeistert verschlungen. Wir meinen: Es hat ein neues, anspruchsvolles Marktsegment begründet, und es hat eine große Chance, sich zu etablieren. Die Kreativität feiert ein leises Comeback. Ein Grund ist, dass die Verlage gesehen haben, dass man in der Krise nicht nur durch Gewinnmaximierung und Einsparungen weiterkommt. Die Redaktionen haben erkennen müssen, dass es im Independent-Bereich, also bei den verlagsunabhängigen Magazinen, sehr interessante und gute Ansätze gibt. Davon haben sich auch Großverlage inspirieren lassen. Denken Sie an die „Innovationsoffensive“ bei Gruner + Jahr, die jetzt Früchte trägt – siehe „Neon“, siehe „Park Avenue“. Ganz anders sieht’s bei den Anzeigen aus. Was wir früher in der Werbung bewundert haben – Qualität und Kreativität –, finden wir derzeit nur auf den redaktionellen Seiten. Die Anzeigen – ein einziges Ödland.

Woran liegt das?

In Anzeigen wurde nicht mehr investiert, weil Zeitschriften als Werbeträger nicht mehr attraktiv waren. Das ist nachvollziehbar. Wenn einen aus Zeitschriften jahrelang die Langeweile angähnt, interessiert man sich als Werber irgendwann nicht mehr für dieses Medium. Das rächt sich. Jetzt sind die Anzeigen langweilig, das redaktionelle Umfeld aber hochattraktiv.

Ist aus dem Zeitschriften-Jahrgang 2005 ein inhaltlicher Trend herauszulesen?

Wenn man bei den Jurysitzungen die Bilder des vergangenen Jahres nebeneinander hängt, bekommt man ein Spiegelbild der deutschen Befindlichkeit. Diesmal sah man überall Religion, Mystik, Spiritualität. Sie glauben nicht, wie viele Nonnen, Gläubige und Priester einen da anguckten.

Ist das ein Wunder, wenn ein Papst stirbt und ein neuer gewählt wird?

Das lag nicht nur daran. Das hat mit den Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu tun, mit einer immer stärkeren Hinwendung zum Übersinnlichen, aber auch mit dem Bedürfnis nach Halt in einer unüberschaubaren und zunehmend als bedrohlich empfundenen Welt. Bilder mit religiösen Bezügen gab es nicht nur in Reportagebeiträgen, sondern auch in vielen Mode- und Lifestylestrecken. Sehr häufig wurde dabei nicht nur christliche, sondern auch islamische Symbolik verwendet. Das meistfotografierte Motiv 2005 war die verschleierte Frau. Ein weiterer Trend fiel auf: Es gab noch nie so viele Bilder von alten Menschen, ob in der Werbung, ob in der Mode – überall. Das neue Bild vom alten Menschen ist ein Icon des Zeitschriftenjahrgangs 2005.

Ein anderes Thema: Vor 20 Jahren haben Sie „Tempo“ gegründet, vor acht Jahren wurde das Blatt eingestellt. Jetzt wollen Sie es wiederbeleben. Wie kommen Sie dazu, den Mythos „Tempo“ zu zerstören?

Ich hab damals ja nur die Zeitschrift „Tempo“ geschaffen. Der Mythos kam später. Ach, wissen Sie, ich hab halt Spaß am Mythen-Zerstören. Mal schauen, ob ich es überhaupt schaffe, ihn kleinzukriegen.

Erlaubt Ihnen Verleger Thomas Ganske, die Titelrechte zu nutzen?

Das weiß ich leider nicht. Das Gespräch steht noch aus. Die Idee kam aus einer Weinlaune heraus unter ehemaligen „Tempo“-Leuten, die sagten: Lass uns das noch mal hinrocken. Wenn überhaupt, will ich ja sowieso nur eine einzige Ausgabe machen. Einfach, weil ich daran Spaß hätte. Weil es für mich eine lustvolle Angelegenheit wäre, mit all den Autoren und Fotografen, die aus „Tempo“ hervorgegangen sind, wieder etwas auf Papier zu bringen.

Warum machen Sie dann nichts Neues?

Wenn man je die Chance hatte, ein so einzigartiges Blatt zu machen wie „Tempo“, sollte man tunlichst danach kein anderes mehr machen. Deshalb bin ich vorsorglich zum Fernsehen gegangen. Da steht man in den Augen von Print-Menschen ohnehin im Generalverdacht hoffnungsloser Dünnbrettbohrerei und kann nichts falsch machen. Eine andere, ebenso wahre Antwort ist: Mich hat nach „Tempo“ einfach nie wieder jemand gefragt. Vielleicht ist meine Liebäugelei mit der einmaligen „Tempo“- Ausgabe eine Umbesinnung, die ich mir selber noch nicht eingestanden habe. Sie können ja schreiben: Peichl will wieder. Und schreiben Sie dazu, dass ich auch nicht mehr so ein großer Risikofaktor bin wie früher, dass ich inzwischen altersmilde bin. Allerdings müssten Sie mich dann fragen, ob ein Altersmilder überhaupt „Tempo“ machen kann. Darauf könnte ich antworten: Auch als Altersmilder kann man sich noch mal für drei, vier Monate eine Auszeit gönnen und ein bisserl wild sein.

Markus Peichl, 47,

einst Gründer von „Tempo“, ist

Juryvorsitzender des

Kreativpreises

„Lead Award“. Im Hauptberuf leitet der Wiener die Redaktion von „Beckmann“.

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