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Medien: „Ich kenne keine Formel 1 ohne Schumi“

Für RTL ist Schumachers Karriereende eine Zäsur. Aber auch den anderen Sendern gehen die Stars aus

Da war sie noch einmal, ein letztes Mal, diese Schumi-Begeisterung auf den Zuschauerrängen in Sao Paulo, beim Formel-1-Rennen zum Großen Preis von Brasilien. „Mach’s noch einmal, Michael!“ rief RTL-Kommentator Christian Danner euphorisch ins Mikrofon, als Schumacher drei Runden vor dem Ende des Rennens und seiner Karriere als Profirennfahrer in bewährter Brechstangenmanier an Kimi Räikkönen, seinem Nachfolger im Ferrari-Team, vorbeizog. Doch es war nicht diese unvergleichliche Aufholjagd vom letzten Platz nach dem Reifenplatzer zurück auf Rang vier, die Kommentator Danner zu der Frage brachte: „Soll ich jetzt jubeln oder soll ich heulen?“

Gerührt von den eigenen Emotionen war am Sonntagabend in Sao Paulo vor allem das Fernsehen selbst. Fünf Stunden lang zelebrierte RTL das Karriereende des Formel-1-Superstars, der so gut wie jeden Rekord gebrochen hatte und seiner Bilanz zum Abschluss noch einen weiteren hinzufügte. Diesmal einen medialen. In der Spitze sahen 14,83 Millionen Deutsche am Fernseher zu, wie Schumacher in Brasilien seine „letzte Dienstfahrt“ absolvierte. Im Durchschnitt verfolgten 13,44 Millionen Schumi-Fans das Finale, was einem Marktanteil von 39,7 Prozent entspricht.

Dabei tat sich RTL auf Suche nach der ultimativen Abschiedsemotion fast noch schwerer als Schumacher bei seinem vergeblichen Versuch, doch noch Titel Nummer acht zu holen. Erst kam „Tschüss Michael – Die Saison 2006“, dann der „Countdown“ zum Rennen und der Große Preis selbst, dann die „Highlights“, bis es erneut „Tschüss Michael“ hieß – selbst die treuesten Schumacher-Fans konnten diesen fünfstündigen Spannungsbogen kaum halten.

Vor allem, weil einer bei diesem Zapfenstreich nicht mitspielen wollte – oder nicht konnte. Erst bei Boxen-Reporter Kai Ebel, später bei Florian König und Ex-Weltmeister Niki Lauda konnte Schumacher immer nur wiederholen: „Stellt mir keine Fragen, die ich nicht beantworten kann.“ Wie es wirklich „ganz tief drin im Herzen“ (König) von Michael Schumacher aussah, das Fernsehen vermochte es nicht zu transportieren. „Mach mal einen Vorschlag, wie lange es dauert, bis man den Abschied wirklich realisiert hat“, fragte Schumacher zurück und sagte am Ende ins RTL-Mikrofon: „Bis es bei mir richtig Reset gemacht hat, wird es sicherlich ein paar Monate dauern.“ Doch dann wieder: „Das nächste Rennen kommt bestimmt“, auch wenn er selbst dann nicht mehr im Cockpit sitzen wird.

So oft an diesem Abend die Worte „zum letzten Mal“ fielen – zum letzten Mal in seinen Rennwagen, zum letzten Mal in der Startaufstellung, zum letzten Mal beim Boxenstopp – das Fernsehen traute sich selbst nicht über den Weg. Wie wenig, das zeigte sich bei der Schalte nach Kerpen, zum Heimatort Schumachers. Dort, wo sonst der Überschwang zu Hause war, herrschte an diesem Abend tiefe Depression. Das Fernsehen wollte Emotionen, sicher, aber sie sollten anders aussehen, positiver. So wie bei Balbir Singh. „Du kannst die Tränen ruhig zeigen“, drängte Florian König den Ex-Physiotherapeuten von Schumacher geradezu. Und der spielte mit, sprach von Dankbarkeit, dem Star so nahe gewesen zu sein. Und Boxen-Reporter Kai Ebel bekennt: „Ich kenne keine Formel 1 ohne Michael Schumacher.“

Für RTL ist der Abgang von Michael Schumacher eine Zäsur. Sportchef Manfred Loppe hat im Tagesspiegel-Interview bereits angekündigt, dass es in der nächsten Formel-1-Saison bei den Quoten „eine Korrektur nach unten“ geben werde. Zwar ist das Interesse an Motorsport groß, doch die Faszination für mehr als die Hardcore-Fans verbindet sich mit Erfolgen und Siegen deutscher Fahrer. Es werden Helden gebraucht. Möglich, dass sich aus dem Pulk der deutschen Formel-1-Fahrer ein Strahlemann herausmendelt. Er garantiert die Spitzenquoten, mit denen die Werbekunden und die Sponsoren angelockt werden – damit zum großen Sport das große Geschäft kommt.

Der ideale Fernsehsport besteht aus der Klammer von saisonalem, bestenfalls sich von Wochenende zu Wochenende erneuerndem Wettbewerb und deutschen Sportlern mit Treppchenchance. Da wird es für alle Sender und nicht für RTL eng. Tennis ist nach den Jubel-Dekaden mit Boris Becker und Steffi Graf ein Ereignis für Eurosport, Basketball hätte den XXL- Mann mit Dirk Nowitzki zu bieten, der aber wirft in den USA in die Körbe. Handball ist derart begrenzt im Zuschauerinteresse, dass das Deutsche Sport-Fernsehen selbst bei europäischen Spitzenspielen kaum mehr Quote als mit den doofen Quizspielchen einfährt; das gerne inszenierte „Zickenduell“ der Eisschnellläuferinnen Anni Friesinger und Claudia Pechstein reißt die Medien mehr als die Massen hin.

Prüft man die fernsehtauglichen Sportarten auf ihren Heldenappeal, läuft zwangsläufig eine Ehemaligenparade ab: Boris Becker, Steffi Graf, die Schwimmerin Franziska van Almsick, der Skispringer Sven Hannawald, jetzt Michael Schumacher, Jan Ullrich scheint vom Rad zu fallen, von den Klitschko-Brüdern, den deutschesten aller Ukrainer, boxt noch Wladimir. Weil es erkennbar an Star-Nachwuchs fehlt. wird die Aktion „Heldenklau“ absolviert: RTL reaktiviert die Boxer Axel Schulz, 37 Jahre, und Henry Maske, 42 Jahre. Dahinter steckt mehr Verzweiflung als Überzeugung. Lässt sich Schumacher nicht doch zum Rücktritt vom Rücktritt überreden? War Ullrich gar nicht gedopt? Springt Almsick wieder ins Becken?

Wahrscheinlich ist es nur eine Sportart, die immer Konjunktur kennt – der Fußball. Mit dem Wechsel von Michael Ballack nach England ist die Schar der Weltklassespieler auf dem Bundesliga-Rasen erneut überschaubarer geworden, was soll’s? Die Liga ist spannend, die Nationalmannschaft international erfolgreich, die Bundesliga-„Sportschau“ hat in dieser Saison mit durchschnittlich fünf Millionen Zuschauern ein paar mehr als in der vergangenen. Dieses „Sommermärchen“ hat ein Happy End.

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