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Medien: „Ich will keine zweite Christiansen sein“

SETTING München Unterföhring. Die alte Leo- Kirch-Stadt.

Von Barbara Nolte

SETTING

München Unterföhring. Die alte Leo- Kirch-Stadt. Am Rand, gleich neben einem Feld, wird „Leute heute“ produziert. Nina Ruge sitzt an ihrem Schreibtisch und telefoniert. „Wir sprechen uns heute Abend“, sagt sie und dann: „Tschüss, Süße.“ Sie ist unglaublich schlank und trägt eine braune Hornbrille.

MATERIALLAGE

Die Medienwissenschaft würde von Text-Bild-Schere sprechen. Hunderte Fotos, die sie auf so ziemlich jedem roten Teppich zeigen, der in diesem Land ausgerollt wurde: „Im Blumenkleid von Burani“ bei der DVD-Night („Bunte“) oder in „ultramodischen Kurzstiefeln“ beim Veuve- Clicquot-Preis; längst selbst zur Prominenten geworden. In ihren Interviews besteht sie aber darauf, Journalistin zu sein. „,Leute heute’“, sagte sie der „FR“, „sei eine Nachrichtensendung“. Die „Süddeutsche“ bemerkte, dass sie sogar „leicht pampig“ werde, wenn man sie mit den anderen „Klatschansagerinnen“ vergleiche.

THESE 1

Sie fühlen sich als etwas Besseres als die Welt, aus der Sie berichten.

„Ich wehre mich nur gegen das plumpe Vorurteil, dass ich eine partysüchtige Boulevard-Tussi bin, für die es das Größte ist, einmal Richard Gere zu begegnen.“

LEBENSLAUF

Bildungsbürgerlicher Hintergrund, Vater Professor. Abitur hat sie mit eins gemacht. Das steht in jedem Artikel. Scheint ihr wichtig zu sein, wohl um sich abzugrenzen. Klatschansagerinnen machen Abitur höchstens mit 3,2.

Frau Ruge, noch immer stolz auf ihr Abitur?

„Nein“, sagt sie. „Aber dass ich alle meine Examina mit Auszeichnung gemacht habe, darauf bin ich mit Verlaub ein bisschen stolz.“

Jüngste Lehrerin Niedersachsens, Wechsel zum Fernsehen. Sie wird Allzweck-Moderatorin bei Rias, 3sat, ZDF. Vom Frühstücksfernsehen bis zum „Tele-Zoo“.

Was war eigentlich der „Tele-Zoo“?

„Eine sehr schöne Tiersendung.“ Einmal stellte sich Nina Ruge für die Moderation vor den Eisbärenkäfig. Die Kollegen hatten tote Hühner oben auf die Glaswand gelegt, damit die Eisbären hochspringen und es schön gefährlich aussieht. „Und patsch!“, sagt sie. „Hatte ich ein Huhn auf dem Kopf.“ Sie lacht. Nina Ruge wirkt viel natürlicher als im Fernsehen.

Dann, 1994, die ZDF-Nachrichten „heute nacht“. Ihr Karriere-Höhepunkt. Damals hatte man sie in eine Reihe mit Sabine Christiansen und Maybrit Illner gestellt.

THESE 2

Sie leiden darunter, nicht mehr Nachrichtenmoderatorin zu sein.

„Ich leide nur darunter, dass es immer so in der Presse steht“, sagt sie. „Manche Journalisten schreiben aus Pressearchiven ab, anstatt mich anzurufen und einfach zu fragen. Ich identifiziere mich voll mit ,Leute heute’.“

Schon bei „heute nacht“ hatte sie einen Abschiedsspruch: „Träumen Sie schön“…

… „nein“, sagt sie, „träumen Sie gut.“

Sie wollten die Menschen schon damals lieber weich betten als aufklären.

„Nein, ich finde bloß, dass ich am Ende einer Nachrichtensendung, die sich mit den wichtigen Dingen der Welt beschäftigt, meine Haltung ein bisschen durchschimmern lassen darf, und die ist positiv.“

Trotzdem: Eine positive Haltung ist etwas anderes als eine journalistische Haltung. Vielleicht ist es doch kein Zufall, dass Maybrit Illner heute die Minister interviewt und Nina Ruge die Models.

THESE 3

Sie sind dort, wo Sie hingehören .

Nina Ruge nickt. „Genau. Ich fühle mich verkannt, wenn mir unterstellt wird, dass ich viel lieber eine zweite Sabine Christiansen werden wollte.“

Nina Ruges Habitat sind die Gala-Diners der Republik und die Hotelsuiten, in denen US-Stars deutsche Journalisten zu Fünf-Minuten-Audienzen empfangen.

Sie steht morgens um 6 Uhr auf und geht abends nach Mitternacht ins Bett, aber nur weil sie gerade an zwei(!) Büchern schreibt. Man darf sich das Leben einer Party-Reporterin nämlich nicht als große Party vorstellen. Nina Ruge steht für einen modernen Begriff von Glamour, der ein Produkt von Leistung und Anstrengung ist und nicht von exzessivem Lebenswandel; Glamour, der von Event-Agenturen produziert wird und nicht zufällig irgendwo im Nachtleben entsteht.

THESE 4

Sie können mit Abgründen nichts anfangen.

„Das Existenzialistische, Selbstzerstörerische schreckt mich“, sagt sie.

Früher, erzählt sie, sei sie ein paar Mal mit der Clique von Claudia Schiffers Ex- Freund Tim Jeffries ausgegangen. „Die machten eine Sause bis weit in den Morgen hinein. Ich fühlte mich, als hätte ich Zöpfe und graue Strümpfe an.“

THESE 5

Ein perfektes Wochenende ist für Sie, wenn Sie auf einer Chaiselongue liegen und die Design-Zeitschrift „AD“ lesen.

Falsch. „AD“ hat sie zwar abonniert, aber sie liest lieber „Selbsterkenntnisliteratur: Bücher darüber, wie wir innerlich wachsen können.“ Ruges Kontrastprogramm zu den beruflichen Oberflächlichkeiten.

„Ich versuche“, sagt sie, „in meinen Moderationen Botschaften zum Thema Werte verschlüsselt unterzubringen.“

Vorurteil endgültig widerlegt: Ruge ist keine „Boulvard-Tussi“, eher wie ein Mädchen in der Hermann-Hesse-Phase.

THESE 6

Sie haben zu Hause noch Stofftiere.

Richtig. Damit in ihrem Gästezimmer die Stereoanlage nicht so kahl aussieht, hat sie dreißig Stofftiere drum herum drapiert. Auch im Bett hat sie eins.

Sie kramt in ihrem Schreibtisch und zieht ein Nilpferd hervor. „Hab ich geschenkt bekommen. Ist es nicht süß? Von Hermès.“ Ihren Schreibtisch hätte man sich ordentlicher vorgestellt. Darüber hängt eine Pinnwand mit Trophäenfotos: Ruge an der Seite von Johnny Depp und Jean Claude van Damme. Neben van Damme erkennt man sie kaum. „Oh, da war ich ungeschminkt“, sagt sie und lacht wieder. Sie ist wirklich nett.

THESE 7

Wütend werden Sie nur, wenn Sie von neuen Minenopfern erfahren; wenn der Tante- Emma-Laden um die Ecke wegen Mieterhöhung zumachen muss oder wenn Sie Gäste haben und der Wein korkt.

Alle drei Punkte stimmen. Gerade, sagt sie, habe sie sich für Unicef mit der Minen-Thematik auseinander gesetzt. „Da kann ich heulen.“ Und letztes Jahr, als sie noch in Schwabing wohnte, schloss in der Nachbarschaft ein altes Kino. „Fand ich richtig Horror. Das diese Kultur verschwindet. Was war das Dritte?“

…der korkende Wein…

…„ich möchte, dass sich meine Gäste wohl fühlen, und wenn der Wein korkt, dann korkt auch die Stimmung.“

ABGANG

Eine Kollegin streckt den Kopf in die Tür. „Hallo Mausi!“, sagt Nina Ruge. Gleich ist Konferenz. Den Block vor die Brust gedrückt, mit schwingendem weiten Rock verschwindet sie im endlosen Gang.

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