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Kommen und Gehen: Der Bruder von Jonas (Louis Hofmann, rechts) ist verschwunden, der Fremde (Andreas Pietschmann) kann ihm nicht helfen. Eine Zeitmaschine bringt das Leben der Menschen in der fiktiven Kleinstadt Winden durcheinander.

© Erhard/Netflix

Im Düsterland: Netflix startet erste deutsche Serie "Dark"

Nun hat auch Netflix eine in Deutschland entwickelte und produzierte Serie. "Dark" verbindet Mystery mit Science-Fiction und Tschernobyl-Ängsten.

„Zu spät, wir sind zu spät“, ruft der Mann den Menschen zu, die sich in der Schule von Winden versammelt haben, weil in ihrer Gemeinde seit Tagen ein Junge vermisst wird. Er wird nicht der Einzige bleiben, denn alle 33 Jahre gehen in dem kleinen Ort Kinder auf ungeklärte Weise verloren. Die Szene stammt aus der Serie „Dark“. Es ist die erste Produktion von Netflix, die komplett in Deutschland entwickelt und produziert wurde. Lange hatte der Streamingdienst nach einem passenden Stoff gesucht, andere waren da schneller. Amazon hatte im vergangenen Jahr mit Matthias Schweighöfers „You are wanted“ vorgelegt, bei TNT wurde „4 Blocks“ zum Überraschungserfolg und der Pay-TV-Sender Sky hat gerade die vorerst letzte Folge von „Babylon Berlin“ ausgestrahlt. Nun folgt also Netflix. Die Frage, die sich nun stellt, lautet: Hat sich das Warten gelohnt?

„Dark“ ist vom Genre her eine Mixtur aus Mystery und Science-Fiction. Drehbuchautorin Jantje Friese und Regisseur Baran bo Odar haben sie aber zugleich als großes Familiendrama angelegt, das auf dem kleinen Raum eines verschnarchten Provinzortes stattfindet. Der Titel der Serie ist übrigens Programm. In „Dark“ sind Grautöne die vorherrschenden Farben, alles ist dunkel und düster. Wenn es nicht regnet, fallen tote Vögel vom Himmel oder tote Schafe bevölkern die Weide.

Ein AKW und ganz viel Wald

Das Leben in Winden hat absolut nichts Anheimelndes. Die fiktive Kleinstadt wird durch das Reaktorgebäude eines Atomkraftwerks der ersten Generation geprägt. Der Ort ist von Wald umgeben. Kaum ein Ort ist für Deutsche mythischer als der Wald. Und kaum ein Platz weckt größere Ängste als dunkle Höhlen – und genau in den Windener Höhlen tragen sich die schrecklichen Ereignisse zu.

Bei der Suche nach einem Stoff für eine eigene deutsche Serie hatte Netflix Odar und Friese angesprochen, weil der Streamingdienst Interesse an einem Spin-off von deren Hacker-Film „Who am I – Kein System ist sicher“ hat. Doch die beiden hatten einen besseren Vorschlag. Schon vorher hatten sie die Idee für eine Familien-Crime-Serie entwickelt. Auch der Entwurf für eine Trilogie über Zeitreisen, die bei „Dark“ eine zentrale Rolle spielen, lag bereits vor. Odar und Friese kombinierten die Stoffe, schlugen das Netflix vor – und erhielten den Auftrag.

Eine dunkle Höhle in einem düsteren Wald. Das ist die Welt der Netflix-Serie "Dark".
Eine dunkle Höhle in einem düsteren Wald. Das ist die Welt der Netflix-Serie "Dark".

© Netflix

„Dark ist für uns etwas sehr Persönliches. Es hat so viel mit mir und Bo zu tun, dass es sich fast von alleine schrieb“, erzählt Jantje Friese, die wie bei „Who am I“ das Drehbuch geschrieben hat. „Wir sind beide in den 80er Jahren groß geworden. Tschernobyl war für uns fast so etwas wie ein 9/11-Erlebnis. Dazu kommt das Gefühl der Kleinstadt, die wir als sehr beschaulich, friedliebend und wunderschön empfunden haben. Zugleich haben wir uns immer gefragt, was passiert denn wirklich hinter den geschlossenen Türen? Wir haben der Idylle nie getraut“. Und Regisseur Odar ergänzt: „Wenn es in ,Dark‘ einen deutschen Blick gibt, dann gehört Tschernobyl 1986 dazu. Das ist schon sehr deutsch.“

Mystery-Serien mit verschwundenen Kindern stehen bei Netflix derzeit hoch im Kurs. Zu den erfolgreichsten Serien des Streamingdienstes von Reed Hastings gehört aktuell „Stranger Things“, von der bereits die zweite Staffel läuft. „ ,Dark‘ ist dennoch keine deutsche Antwort auf ,Stranger Things‘, allein schon deshalb nicht, weil wir die Serie vorher nicht wahrgenommen haben“, betont Friese. „Wenn es Überschneidungen gibt, dann weil jetzt Filmemacher nachwachsen, die alle in den 80er Jahren groß geworden sind und alle Stephen King gelesen und ,Twin Peaks‘ gesehen haben.“ Auch inhaltlich gebe es deutliche Unterschiede, meint Baran bo Odar, schließlich sei „Stranger Things“ eine Horrorshow mit Fantasy-Elementen. „In ,Dark‘ geht es um um Zeitreisen. So etwas Übernatürliches wie Monster gibt es bei uns nicht.“

"Eine Chance für deutsche Geschichten"

Davon abgesehen gibt es durchaus Ähnlichkeiten nicht nur zwischen „Stranger Things“ und „Dark“, sondern auch mit Streamingserien im Allgemeinen. Die neuen Anbieter haben das Genre-Spektrum deutlich erweitert. Wenn wie bei Netflix Serien für 190 Länder produziert werden, kann man es sich leisten, Themen jenseits des Mainstreams zu behandeln. „Gerade für Deutschland ist es eine Chance, dass man Stoffe für die Nische erzählen kann, aber nicht nur für Deutschland, sondern eben global“, freut sich Regisseur Odar.

Den Vergleich müssen die „Dark“-Macher nicht scheuen, wobei sich die beiden Showrunner weniger an US-Produktionen als an dänischen Serien orientieren. „Wenn wir auf dem Level wahrgenommen werden, wären wir glücklich“, sagt Odar. In jedem Fall ist er begeistert, dass mit Netflix, Amazon und HBO jetzt wieder Content für das erwachsene Publikum geschaffen werden kann, das sich gerne zu Hause ein Figurendrama anschaut und nicht nur die nächste Superhelden-Geschichte.

Gedreht wurde „Dark“ übrigens in Berlin und Umgebung. In einigen Szenen glaubt man die Kopfsteinpflasterstraßen zu erkennen, in anderen Szenen mag man es kaum glauben, dass die Serie hier entstand. „Berlin ist wie ein großes Dorf, keine Großstadt wie New York. Man muss nur eine halbe Stunde rausfahren, und schon wird es sehr kleinstädtisch“, erzählt Odar.

Dabei ist in Winden jeder mit jedem verbunden, das gilt besonders für die vier Familien, die im Zentrum der Geschichte stehen. Die Schuldirektorin (Jördis Triebel) ist mit dem Kommissar (Oliver Masucci) verheiratet, der wiederum eine Affäre mit einer Frau (Maja Schöne) hat, deren Mann sich in einer Schockerszene in der ersten Folge das Leben genommen hat. Der Sohn (Louis Hofmann) wurde von einem Therapeuten (Stephan Kampwirth) im engeren Bekanntenkreis therapiert. Dessen Frau (Karoline Eichhorn) arbeitet wiederum mit dem Kommissar zusammen. Der Akw-Betreiber (Paul Lux) ist mit der Besitzerin des ortsansässigen Hotels (Lisa Kreuzer) verheiratet. Zudem gibt es einen mysteriösen Fremden und einen Uhrmacher mit ganz speziellen Fähigkeiten. Das Ganze spielt dazu noch auf drei Zeitebenen. Überhaupt glänzt das Ensemble mit großen Namen, mit dabei sind auch Anatole Taubmann, Mark Waschke, Michael Mendl.

Doch hat sich das Warten nun gelohnt? Wie alle Mystery-Serien entwickelt sich die Geschichte ganz langsam. Das Ende kennen bislang auch die TV-Kritiker nicht, doch eines lässt sich sagen: Wer es düster und geheimnisvoll mag, kommt bei „Dark“ auf seine Kosten. Und wer noch mehr Geduld hat, kann auf "Dogs of Berlin", die zweite deutsche Netflix-Serie warten, die gerade in Berlin gedreht wird.

„Dark“, alle Folgen ab Freitag bei Netflix

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