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Medien: „Im existenziellen Funkloch“

Der Fall Susanne Osthoff: Ein Gespräch über die Inszenierung und die Grundspießigkeit deutscher Medien

Frau Meckel, wären Sie gerne die Medienberaterin von Susanne Osthoff?

Nein, da wäre ich mittlerweile in einer relativ schwierigen Situation und außerdem zu spät. Ich wünschte mir aber, Frau Osthoff hätte einen Medienberater gehabt, bevor sie in die Medienmühle geraten und da auch an manchen Stellen zermahlen worden ist.

Was hat Susanne Osthoff falsch, was richtig gemacht?

Mit diesen Kategorien kann und will ich das nicht bewerten. Es geht doch um etwas anderes: Man kann nicht von jedem Menschen verlangen, dass er den professionellen Kriterien gerecht wird, die in der heutigen medialen Inszenierungswelt verlangt werden. Es gibt eben Menschen, deren beste oder höchste Ausdrucksform nicht das Fernsehinterview ist und daran ist auch nichts zu kritisieren. Und: Wenn diese Menschen sich im Fernsehen erklären sollen und dann von den Journalisten nicht verantwortungsvoll geführt werden, dann gibt es die Probleme, die Susanne Osthoff gerade erlebt. Ich beobachte, dass sie sich gerade gezwungen sieht, eine Medienkampagne für sich selbst zu führen, um ihren Ruf in Deutschland zu retten, weil der in der medialen Inszenierung gelitten hat.

Bisher gibt es mehrere Fernsehauftritte von Frau Osthoff, zuletzt bei „Beckmann“ in der ARD. Eindeutig will die Archäologin ihre Biographie selbst bestimmen, beschreiben, vermitteln. Kann das gelingen?

Nein, das kann nicht gelingen. Da waren zu viele Faktoren im Spiel, die unkontrollierbar sind. Wer Opfer einer Entführung war, ist ein veränderter Mensch, der eher psychologische Betreuung braucht als mediale. Ich hätte es deshalb ziemlich großartig gefunden, wenn das „heute-journal“ des ZDF dabei geblieben wäre, auf die Ausstrahlung des Interviews zu verzichten. Dieses Interview hat kein öffentliches Interesse bedient und Frau Osthoff sehr geschadet.

Wäre das öffentliche Bild von Susanne Osthoff ganz anders, wenn es Bilder von ihrer Geiselhaft, ihren Qualen gäbe?

Das wäre vermutlich so. Zwischendurch hatte ich fast den Eindruck, als müsse sich Susanne Osthoff öffentlich für die Entführung entschuldigen. Nach dem Motto: Eigentlich ist sie ja selber schuld. Da spielt aber noch ein anderer Punkt eine Rolle, eine Grundspießigkeit in der Interpretation deutscher Medien. Susanne Osthoff wird nicht nach ihrer Arbeit im Irak bewertet, nach der Wichtigkeit des archäologischen Projekts, das sie mit finanzieller Hilfe der Bundesregierung dort betreut. Vielmehr werden ihre familiären Verhältnisse, ihre privaten Probleme, der vermeintlich mangelnde Kontakt zu ihrer Tochter zum Thema gemacht. Damit kommen wir an einen wirklich fragwürdigen Punkt der medialen Bewertung. Wenn ich zugespitzt formulieren darf: Auch derjenige, der nicht dem klassischen Familienbild in Deutschland entspricht, hat das Recht, aus Entführerhand gerettet zu werden. Familie Chrobog hat andere Bilder bedient, die offenbar eher akzeptabel sind. Die Chrobogs erfahren deshalb auch eine andere Darstellung und Bewertung in den Medien.

Was bleibt vom Medienfall Osthoff?

Irgendwann wird dieser Medienhype um Susanne Osthoff aufhören. Was dann bleibt, hat sie bei Reinhold Beckmann klar benannt: „Die Medienwelle ist über mir zusammengeschlagen und lässt mich als menschliches Strandgut zurück.“

Zwei Beobachtungen: Felix Chrobog, Sohn des früheren Staatsministers Jürgen Chrobog, führt Tagebuch über die eigene Entführung und trägt es dann zur „Zeit“, nach den Bombenattentaten von London machen U-Bahnpassagiere Handy-Fotos, wie sie durch die U-Bahn-Schächte laufen. Kann es so etwas wie das Konzept „Ich bin meine eigene Öffentlichkeit“ geben?

Das Konzept gibt es ja längst. Und es gibt viel mehr Facetten als diese beiden Beispiele. Durch das Internet haben wir eine weltweite Plattform bekommen, die unabhängig von Zeit und Ort jede Selbstveröffentlichung und Selbstinszenierung zulässt, und zwar ohne dass es Selektion oder Kontrolle gäbe. Über Homepages, Webblogs und Videoblogs können wir alles veröffentlichen, was wir wollen. Menschen haben auch früher Tagebücher geführt, Erlebnisse im Schreiben be- und vielleicht auch verarbeitet. Aber eins ist heute anders: Heute veröffentlichen wir nahezu alles, was uns geschieht, sogar die privatesten Dinge: Sex, Leiden, Tod, und zwar über Text und Bilder. Offenbar haben viele Menschen das Gefühl, sie werden nur noch über diese öffentlichen Plattformen wahrgenommen. Wenn man nicht durch andere erkannt wird, erkennt man sich selbst auch nicht. Anders gesagt: Wer nicht permanent an dieser öffentlichen Selbstinszenierung teilnimmt, fällt in ein existenzielles Funkloch.

Die mediale Verwertung der eigenen Persönlichkeit schreitet voran, nicht nur im Unglücksfalle. Das Reality-TV hat es gezeigt, die „DSDS“-Show bei RTL zeigt es gerade wieder. Endlich: Der Mensch beherrscht seine eigene Biografie.

Niemand beherrscht seine eigene Medien-Biografie, weder ein Topstar noch ein so genannter Normalbürger. An einer Medien-Biografie arbeiten sehr viele Menschen mit. Hier sind mediale Konstruktionsprozesse im Gang, die sehr komplex sind und daher auch schnell aus dem Ruder laufen können.

Zum Beispiel?

Beispiele ergeben sich immer dann, wenn Menschen zu vermeintlichen Medienstars werden, die zuvor nie mit den Medien zu tun hatten. Denken sie an Monica Lewinsky, die durch ihre Affäre mit Bill Clinton berühmt wurde und dann erfahren musste, was das alles bedeuten kann. Oder denken sie an die vielen medialen Glühwürmchen aus „Big Brother“: Einer wurde aus dem Container weg verhaftet. Und alle Teilnehmer mussten erkennen, dass ihre Medienkarrieren nicht geradlinig verlaufen. Wer durch die Inszenierung menschlicher Banalität und Verfehlung zum Star wird, darf sich nicht wundern, dass es nicht lange funktioniert. Das flackert auf und verbrennt sofort.

Gibt es auch Medien-Persönlichkeiten, die Ihnen sehr imponiert haben?

Vielleicht bin ich da etwas nostalgisch: Mir imponieren die großen Stars von früher, Greta Garbo oder Marlene Dietrich. Das waren natürlich auch medial konstruierte Figuren, aber sie wurden dafür bewundert, dass sie etwas Besonderes waren, etwas Besonderes konnten und wurden damit Projektionsfiguren für viele. Heute funktioniert ein Medienstar häufig nach dem Motto: Seht her, ich bin genauso blöd wie ihr. Das mag ja für viele Beobachter entlastend wirken, faszinierend finde ich es nicht.

Das Gespräch führte Joachim Huber.

Miriam Meckel ist

Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen, Schweiz, und Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement.

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