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Im Radio: Fichte, Kafka und Daniel Defoe

Lebensgeschichten aus Hamburg, ein neuer "Process", verlorene Kinder in Ghana: Tom Peuckert verrät, was man im Radio in den nächsten Tagen nicht verpassen sollte.

In den frühen Sechzigern gab es in Hamburg ein berühmtes Kellerlokal namens „Die Palette“. Ein Schlupfwinkel für Lebenskünstler aller Art, für Beatniks, Gauner, Homosexuelle, Prostituierte und Zuhälter. Für den Schriftsteller Hubert Fichte ist die „Palette“ jahrelang das zweite Zuhause gewesen. Nachdem er dort genug Lebensgeschichten aufgesammelt hatte, schrieb er einen Roman, der hieß „Die Palette“. Stammgast Jäcki, Fichtes Alter Ego, taucht durch den heißen, engen Kneipenkeller und lässt sich Stories erzählen. Wer hören will, wie abenteuerlich die deutschen Sechziger sein konnten, sollte die nagelneue Hörspieladaption des Romans nicht verpassen (Deutschlandradio Kultur, 2. März, 21 Uhr 33, Teil 2 am 9. März, UKW 89,6 MHz).

Zu Franz Kafkas traurig-chaotischer Lebensgeschichte gehört auch eine Verlobung, die wegen Bindungsängsten bald wieder aufgelöst wurde. Der frisch Entlobte begann einen Roman zu schreiben, in dem ein junger Mann wegen einer Schuld, die ihm selbst nicht fassbar ist, von einem undurchschaubaren Gericht angeklagt und zum Tode verurteilt wird. Kafkas Roman „Der Prozess“ ist eines der großen Fragmente der deutschsprachigen Literatur. Nun hat sich Hörspielregisseur Klaus Buhlert der dunklen Parabel angenommen und unter dem Titel „Der Process“ auf formal sehr reizvolle Weise fürs Radio adaptiert. Ein freies Spiel einer Schauspielergruppe mit dem Textmaterial, das nicht nur Kafka-Kennern gefallen dürfte (Deutschlandfunk, 5. März, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

Daniel Defoes 1719 erschienenes Buch „Robinson Crusoe“ gilt als der erste Roman der englischen Literatur. Und dieser Erstling hat gleich Weltgeschichte geschrieben, weil seine Hauptfigur zum Lieblingshelden vieler Generationen wurde. Robinsons Tatkraft und ordnende Vernunft, inklusive einiger moralischer Glanzleistungen, stellte dem weißen Mann ein blendendes Führungszeugnis aus. Der Dramatiker Holger Teschke hat aus der alten Fabel ein neues Kinderhörspiel gemacht. Mit den Menschen Robinson und Freitag, aber auch mit Hund Jack, Katze Moll und Papagei Poll, die hier zur kleinen Inselgemeinschaft gehören (Deutschlandradio Kultur, 6. März, 14 Uhr 05).

In Ghanas Hauptstadt Accra gibt es ein Armenviertel, das wird von seinen Bewohnern nur Sodom und Gomorrha genannt. Die wichtigste Erwerbsquelle hier ist die Gewinnung von Edelmetallen aus europäischem Elektronikschrott. Unter freiem Himmel werden Computer, Fernseher und Kühlschränke angezündet, der Kunststoff verbrennt, übrig bleibt etwas Kupfer, das sich verkaufen lässt. Es sind vor allem Kinder, die in den giftigen Rauchschwaden arbeiten. Das preisgekrönte Feature „Kinder von Sodom und Gomorrha“ von Jens Jarisch führt auf einen Schauplatz der globalen Wirtschafts- und Umweltkriminalität. Und an einen Ort, an dem sich gut begreifen lässt, warum so viele junge Afrikaner von Europa träumen und für diesen Traum sogar ihr Leben riskieren (Kulturradio vom RBB, 2. März, 22 Uhr 04, UKW 92,4 MHz).

Eine achtzigjährige Berliner Witwe verliebt sich in eine junge Arbeitsmigrantin vom Balkan. Die junge Frau hat kein Geld und keine Aufenthaltserlaubnis, die alte hat eine ruinierte Gesundheit und kaum noch menschliche Kontakte. Es kommt zu einer gegenseitig nutzbringenden Verbindung, in der allerhand Wärme entsteht, obwohl das Ersparte der Witwe rapide abnimmt. Die Verse der lesbischen Dichterin Sappho werden zitiert, eine Lebensgemeinschaft wird amtlich eingetragen, bevor ein Herzinfarkt das späte Glück der Witwe jäh beendet. Eine ungewöhnliche Amour fou, die das Hörspiel „Alles ist Erpel“ von Holger Siemann da erzählt. Aber mit so viel lakonischem Witz vorgetragen, dass der Hörer den Liebeswirren gerne folgt (SWR 2, 6. März, 18 Uhr 20, Kabel UKW 107,85 MHz).

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