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Medien: Im Radio: Genial unglücklich

Der einsame Poet sitzt im Tübinger Turm und führt fiebrige Selbstgespräche. Er rezitiert aus seinem "Hyperion": Handwerker findest du, aber keine Menschen.

Der einsame Poet sitzt im Tübinger Turm und führt fiebrige Selbstgespräche. Er rezitiert aus seinem "Hyperion": Handwerker findest du, aber keine Menschen. "Friedrich Hölderlin empfängt niemanden mehr" heißt das Hörspiel des in Deutschland lebenden iranischen Autors SAID. Hölderlin wird hier noch einmal als Ikone des romantischen Wahnsinns vorgeführt. Ein Weltkranker, fremd unter den Deutschen. Er träumt von gewaltigen Revolutionen, die das kalte Vaterland näher an die Sonne des Südens rücken. Aber nicht Napoleon, sondern der griechische Gott Apoll ist Hölderlins wahrer Schutzheiliger. SAID benutzt den toten Dichter als Projektionsfläche auch für zeitgenössische Erfahrungen von Flucht und Vertriebensein. Von Panzern ist im Hörspiel die Rede, und vom Bürgerkrieg in Sarajewo. Nicht unbedingt originell, trotzdem eine Ermunterung, mal wieder Hölderlins bizarr-schöne Texten zu lesen (SWR 2, 24. Juni, 16 Uhr 05, Kabel UKW 107,85 MHz)

Ein anderes trauriges Genie ist Hauptfigur des preisgekrönten Features von Kai Buchholz: "Es ist eine herrliche Sonne hier und ein schlechter Mensch". So schrieb Ludwig Wittgenstein in einem Brief aus Norwegen. Den Philosophen zog es oft in die raue Einsamkeit Skandinaviens. Hier entstanden die Anfänge seines berühmten "Tractatus", in dem abendländische Logik sich mit der spirituellen Energie der Mystik verbündet. Auf beeindruckende Weise erzählt Buchholz vom Dasein eines großen Mannes, dem die praktischen Lebensfragen zu unlösbaren Rätseln wurden. Der Alltag, das vermeintlich Einfache, führte Wittgenstein in ein Labyrinth der Paradoxien, während er die Grundprobleme der Philosophie fast nebenbei klärte. Auch Thomas Bernhard hat ja die Schicksale der österreichischen Familie Wittgenstein beschrieben, die der Welt ein unglückliches Genie nach dem anderen schenkte (Deutschlandradio Berlin, 26. Juni, 0 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Dritter im Bund legendärer Figuren, denen das Kulturradio in den kommenden Tagen seine Aufwartung macht, ist Giacomo Casanova. Ein Feature von Thomas Zenke porträtiert den Genießer als alten Mann. Casanova sitzt im böhmischen Schloß Dux und schreibt seine Memoiren. Ein literarischer Rausch der Erinnerung an gehabte Freuden, die das gegenwärtige Elend erträglich scheinen lassen (Deutschlandfunk, 29 Juni, 19 Uhr 15, UKW 97,7 MHz).

Aus eben jenen Memoiren liest Otto Sander in der kommenden Woche auf Radio Kultur (Montag bis Freitag, 8 Uhr 30, Wiederholung 19 Uhr 30, UKW 92,4 MHz).

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