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IM RADIO: Kassandra in der Festung Europa

Klimakatastrophe, globale Finanzkrise, Schweinegrippe. Das waren die Leitmotive im Katastrophensound des vergangenen Jahres.

Klimakatastrophe, globale Finanzkrise, Schweinegrippe. Das waren die Leitmotive im Katastrophensound des vergangenen Jahres. Ganz sicher werden wir dieses Jahr neue Kandidaten kennenlernen, wir werden uns gehörig fürchten und trotzdem hoffen, dass dann alles nur Medienpalaver bleibt. In Kathrin Rögglas Hörspiel „Die Alarmbereiten“ findet sich diese moderne Bewusstseinslage furios aufbereitet. Zu vernehmen ist der atemlose Monolog einer zeitgenössischen Kassandra, die auch nichts Genaues weiß, aber trotzdem alles zur Sprache bringt. Im rhetorischen Dauerfeuer quellen die apokalyptischen Bilder und Begrifflichkeiten, stets im Konjunktiv und aus zweiter Hand. Ein alarmiertes Drama aus den Hallräumen unserer medialen Erregungskultur (SWR 2, 29. Januar, 22 Uhr 03, Kabel UKW 107,85 MHz).

In der indischen Stadt Mumbai leben mittlerweile rund 14 Millionen Menschen. Eine Metropole, die alle europäischen Vorstellungskräfte mühelos sprengt. Mumbai ist größer, lauter, greller, schmutziger, blühender, reicher, ärmer, gewalttätiger, sanfter. Unter dem Titel „Die Stadt der sieben Inseln“ widmet Autor Nikolaus Scholz der indischen Megacity eine Lange Radionacht. Mumbai ist Bollywood-Kino-Zentrale und größter Slum Asiens, ist friedlicher melting pot der Kulturen und auch Kapitale des Terrors. Was immer man über Mumbai zu hören bekommt, so Nikolaus Scholz, auch das Gegenteil ist richtig. Es ist eine Stadt, so modern wie archaisch, so abstoßend wie anmutig (Deutschlandradio Kultur, 30. Januar, 0 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

Marcel Duchamps „Readymades“ sind wohl die revolutionärsten ästhetischen Akte des 20. Jahrhunderts. Trivialste Alltagsgegenstände werden wie bedeutende Kunstwerke ausgestellt, was nicht nur die Spielregeln des Kunstbetriebs schockhaft bloßstellt, sondern auch die Routinen unserer Wahrnehmung erschüttert. Der Künstler wendet sich vom Handwerk ab und der Philosophie zu. Der Franzose Duchamp schrieb auch viel über Kunst und Leben und sammelte seine Texte in einer sogenannten „Grünen Schachtel“. Der Radiokünstler zeitblom hat tief in die Schachtel hineingegriffen und aus seinen Funden ein Hörstück komponiert. Dessen verwirrenden Titel fand er ebenfalls bei Duchamp: „Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar“ (Deutschlandradio Kultur, 31. Januar, 18 Uhr 30).

Einerseits leben wir Deutschen heute wirklich sehr sicher. Wir wohnen mitten in dieser Festung Europa, unsere Politiker setzen auf Maß und Ausgleich und der TÜV wacht mit Argusaugen über unseren Alltag. Andererseits gibt es hierzulande eine Menge Menschen, die sich sogar freiwillig in große Gefahr begeben. Jugendliche wagen haarsträubende Mutproben und ihre Eltern treiben Extremsport. Man springt am Gummiseil in die Tiefe, surft auf der S-Bahn oder stürzt sich mit kleinen Fluggeräten von hohen Klippen. Stefanie Müller-Franks Feature „Vom freien Fall“ befragt Soziologen und Psychotherapeuten nach dem tieferen Sinn all dieser Wagnisse. Wie Risiko und Kick psychodynamisch zusammenhängen, warum denn Angstlust meist stärker wirkt als Vernunft und wieso aussichtslose Lagen ungeahnte Vitalitätsressourcen in uns mobilisieren können (Deutschlandfunk, 31. Januar, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

Im Fernsehen gibt es jetzt immer häufiger Frauenboxen, im Polizeibericht liest man regelmäßig von Mädchengangs. Auch in puncto Gewalt will nun das weibliche Geschlecht seinen Anteil vom Kuchen. Laut Kriminalstatistik geht heute schon jede fünfte Körperverletzung bei Jugendlichen auf das Konto eines Mädchens. Sabine Bernardi und Annette Blaschke erzählen in ihrem Feature „Riot Girls“ von den neuen Waffen junger Frauen. Kratzen und Beißen war gestern, heute trainiert frau Kampfsport und prügelt sich im urbanen Dschungel wie ein Kerl. Das Feature beobachtet Mädchen beim staatlich verordneten Anti-Aggressions-Training und interessiert auch für jene, die strafmündig werden, ohne ihre Wut vorher in legale Bahnen lenken zu können (Deutschlandradio Kultur, 1. Februar, 0 Uhr 05).

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