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Medien: Im Weltinnenraum

Handke langweilt sich und trifft Gero von Boehm

Neulich erst saß Peter Handke bei Volker Panzer im extra seinetwegen nach Paris verlegten ZDF-„Nachtstudio“ und gab Auskunft über „Die morawische Nacht“, über sein Leben und mehr. Da bekannte der medienscheue Handke, sich zu langweilen. Das neue Buch sei in der Welt, er habe noch keine neue „erotische“ Beziehung zum Schreiben gefunden, Pilze gebe es zurzeit auch keine im Wald, und „warum soll ich da nicht Leute treffen, die ich kenne, und mir anhören, was sie über meine Scheißbücher zu sagen haben?“.

Bei solchen Worten erinnert man sich zwar nur zu gut, dass Handke schon einmal angekündigt hatte, „sein Idiotentum nie mehr öffentlich zu zeigen“. Inzwischen aber scheint er Gefallen daran zu finden, mit Fernsehleuten Gespräche zu führen: Auch Gero von Boehm durfte ihn nun besuchen und mit ihm einen Spaziergang in die Umgebung seines Hauses in Chaville in der Nähe von Paris unternehmen.

Es ist noch immer nicht richtig warm. Handke hat eine Mütze auf, von Boehms Kragen ist hochgeschlagenen, die Waldwege sind matschig, Pilze auf Anhieb keine zu sehen. Ein Kuckuck unterbricht die Wandersleute, was für Erstaunen sorgt. Dann flattern ein paar Enten auf, was Handke entzückt: „Da gibt es ja richtige Enten noch!“ Gerade hatte er die Prominenteninflation und das „Verschwinden der Seltenheit“ aus der Welt beklagt, und von Boehm versteigt sich zu einer Analyse: „Da steckt die Seltenheit.“ Und Handke: „Das ist wie die ganze Welt, pars pro toto, ein kleines Ding verkörpert die ganze Welt.“

So reden sie an diesem Vorfrühlingstag, der Dichter und sein devoter Stichwortgeber, mitten in der Welt und doch der Welt entrückt, der anderen, der medial aufgeheizten, der urbanen. Handke gibt sich milde, nur einmal fährt er von Boehm an: „Ach, jetzt lassen Sie mich doch einmal mit meiner Mutter in Frieden.“ Das ständige Unterwegssein Handkes, das seiner Figuren, Handkes Liebe zu den Landschaften, die besondere Beziehung zur Mutter, sein Hang zum Alleinsein, Jugoslawien – von Boehm fragt die Standards, die auch Panzer schon abgefragt hatte.

Das ist wenig überraschend, das wirkt in seiner Inszenierung von Intimität extrem aufgesetzt, ja, selbst die begleitenden R.E.M.-Songs „Man On The Moon“ und „Everybody Hurts“ klingen greinender als sowieso. Trotzdem ist es absolut sehenswert, wie Peter Handke in Jeans, offenem Mantel, Wanderschuhen und mit Blümchen in der Hand durch die Natur stiefelt, mit immer markanter werdenden Gesichtszügen und langen grauen Haaren. Und es ist durchaus hörenswert, wie Handke keine vorgefertigten Statements von sich gibt, sondern sich oft selbst ins Wort fällt, sich korrigiert, seine Sätze modifiziert und präzisiert, ganz der bekannte Innerlichkeitsfetischist, der Sachen sagt wie: „Nur im Schreiben werde ich ganz. Wie jeder Mensch, wenn er nur halbwegs wahrhaftig ist, bin ich brüchig, bestehe ich aus Bruchstücken.“ Oder: „Es gibt keine Weltliteratur mehr, aus den Weltinnenräumen kommt nichts mehr, um mit Novalis zu sprechen.“

Manche Ranschmeißerei seines Gegenübers, „Sie schreiben Weltliteratur!“, weiß er zu ironisieren, und mit seinem Einsatz für Jugoslawien ist er auch ganz eins: „Ich habe dabei das Selbstbewusstsein und den Stolz dessen entdeckt, der sich als Schriftsteller bezeichnen darf.“ Erst als von Boehm ihn fragt: „Kann es sein, dass sie manchmal eine Pflicht zur Zuversicht spüren?“, ist der eigensinnige Dichter so sprach- wie ratlos: „Ach nein. Ja, vielleicht, da habe ich noch nicht drüber nachgedacht.“ Und dann findet Handke noch einen Morchelbecherling, ein Hinweis für ihn, dass noch einiges stimmt in der Natur. Aber auch ein Hinweis dafür, dass es leider schon bald ein Ende haben dürfte mit den Fernsehgesprächen – Pilzesammeln wird dann wieder erste Handke-Pflicht sein. Gerrit Bartels

„Gero von Boehm begegnet … Peter Handke“, 22 Uhr 25, 3sat

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