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Ende Januar hat das ZDF in Potsdam den Gedenkgottesdienst zum 300. Geburtstag von König Friedrich II. aus der Friedenskirche im Park von Sanssouci übertragen.

© picture alliance / dpa

Immer wieder sonntags: Predigt nach Drehbuch

Wenn der Gottesdienst zur Fernsehmarke wird: Seit seinem Sendestart im Jahr 1963 überträgt das ZDF aus Deutschlands Domen und Dorfkirchen.

620.000 Gläubige lauschen der Predigt von Joachim Zehner. Etwa 200 in der Friedenskirche in Potsdam – der Rest auf dem Sofa vor dem Fernseher. Der 29. Januar ist kein normaler Sonntag für den routinierten Superintendenten Zehner, denn an jenem Vormittag überträgt das ZDF live. Vier Kameras, 40 Scheinwerfer und 4000 Meter Kabel, die die Friedenskirche mit der Trafostation im St.-Josefs-Hospital und den sogenannten Ü-Wagen, den Übertragungswagen des ZDFs, verbinden. „Seien Sie herzlich willkommen“, begrüßt Zehner seine Gemeinde. „Ganz besonders diejenigen, die den Gottesdienst am Bildschirm verfolgen.“ In den kommenden 45 Minuten wird Superintendent Zehner zum Fernsehpfarrer, nicht er führt den Gottesdienst, sondern die Regie.

Seit seinem Sendestart 1963 überträgt das ZDF Gottesdienste, anfangs nur vereinzelt und zu bestimmten Anlässen, seit 1986 wöchentlich. Es sind normale Gemeindegottesdienste, aus Kathedralen und Domen, Dorfkirchen und Gemeindehäusern, mit Gläubigen als Hauptdarstellern und ganz ohne Schnickschnack. Laut Staatsvertrag sind alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dazu verpflichtet, den Kirchen „angemessene Sendezeiten“ zu ermöglichen. Fernsehgottesdienste sind sogenannte Verkündigungssendungen, die Inhalte dieser Sendungen werden von den Glaubensgemeinschaften selbst bestimmt, die Redaktionen haben in der Regel keinen Einfluss. Anders als das ZDF überträgt die ARD Gottesdienste nur an besonderen Feiertagen wie etwa Ostern oder Christi Himmelfahrt. Die ARD besteht aus neun Landesrundfunkanstalten, jede hat ein anderes Gottesdienst-Kontingent.

Beim ZDF ist die Redaktion Kirche und Leben für die Fernsehgottesdienste verantwortlich, bereits im Mai stehen die Termine für das kommende Jahr fest. Die Kosten für die Fernsehübertragung übernehmen die Sender. 2011 lag die durchschnittliche Zuschauerquote aller ZDF-Fernsehgottesdienste – also katholische, evangelische und einmal im Jahr ein orthodoxer – bei rund 7,8 Prozent, das sind 680.000 Zuschauer. Die Zuschauer der TV-Gottesdienste sind durchschnittlich 65 plus und damit rund drei Jahre älter als der normale ZDF-Zuschauer. Michaela Pilters, Redaktionsleiterin für die katholischen Gottesdienste, sagt: „Gottesdienste sind die älteste Sendung, im doppelten Sinn.“ Aber was heißt das heute schon, alt?

Pilters evangelischer ZDF-Kollege Reinold Hartmann sagt: „Die älteren Menschen von heute sind ganz anders sozialisiert.“ Die Generation 65 plus kennt das Privatfernsehen besser als die Sonntagspflicht. Sie kennen die Songtexte der Rolling Stones besser als das Vaterunser. Es sind auch die alt gewordenen 68er, die sich damals vom Muff der Talare befreit haben. Nur logisch, dass Fernsehgottesdienste dieselben Probleme haben wie die fernab des Bildschirms: „Die Quoten gehen auch bei uns zurück“, sagt Hartmann. Modernisieren, zumindest im Fernsehen geht das. Das ZDF arbeitet vor allem an der Dramaturgie. Die Gottesdienste werden nicht einfach abgefilmt, der Zuschauer wird von der Regie in und durch das Geschehen geführt. Früher sprach ein Pfarrer 12 bis 15 Minuten lang, heute sind es nur noch acht bis zehn Minuten. 2001 führte das ZDF einen Sendungsvorspann ein, der signalisieren sollte: Auch der Gottesdienst ist eine Fernsehmarke.

Die Fernsehmarke „Gottesdienst“ wird beworben, von der evangelischen Kirche mehr als von der katholischen

Die Fernsehmarke „Gottesdienst“ wird beworben, von der evangelischen Kirche mehr als von der katholischen. Der Grund ist theologischer Natur: Für die Katholiken ist die Sonntagspflicht mit dem Schauen eines Fernsehgottesdienstes nicht erfüllt, er ist vor allem für alte und kranke Menschen gedacht, die nicht mehr in die Kirche gehen können. Auch müssen katholische Gottesdienste live übertragen werden, sie dürfen weder vorab aufgezeichnet noch gekürzt werden – da gibt es klare Auflagen von der Deutschen Bischofskonferenz.

Die Protestanten haben es da einfacher. Der Gottesdienst aus der Kreuzkirche in Istanbul etwa, der Mitte Januar übertragen wurde, war nicht live. Markus Bräuer, Medienbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sagt: „Das war ein Ausnahmefall, den wir aus Sicherheitsgründen gemacht haben.“ Die Sorgen waren berechtigt: Vor der Sendung durchtrennten Unbekannte die Kamerakabel, eine Live-Sendung wäre kaum möglich gewesen.

In der Friedenskirche in Potsdam ist das Gesicht von Joachim Zehner jetzt ganz groß zu sehen. Während die ARD Wintersport zeigt, RTL alte Folgen von „Ritas Welt“ wiederholt und Vox „Einblicke in die geheime Welt der Haute Couture“ gewährt, spricht Zehner davon, Frieden zu finden. Jede Woche plant er seine Gottesdienste. Für diesen aber gibt es ein Drehbuch, an dem ein dreiviertel Jahr lang gearbeitet wurde.

Zusammen mit dem Sendebeauftragten des ZDF wurde an dem Ablauf des Gottesdienstes gefeilt, alles muss exakt berechnet werden. Zehners Gottesdienst war anfangs vier Minuten zu lang, also mussten Textpassagen gekürzt und Liedstrophen gestrichen werden. Ernüchternd sei es gewesen, er habe üben müssen. Das unbeschwerte Lachen, es fiel ihm schwer. Vor dem Gottesdienst schickte seine Tochter ihm das Lied „Inner smile“ (Inneres Lächeln) der Band „Texas“, das habe er sich angehört. Ein bisschen hat es geholfen.

„Katholischer Gottesdienst. Aus dem Bonifatiuskloster in Hünfeld“, 9 Uhr 30, ZDF

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