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Internationales Teletext-Festival: Pixel + Pixel = Kunst

16 Millionen Deutsche nutzen regelmäßig den Videotext – nun lädt die ARD zum Festival der Bilder.

Jeder kennt ihn, jeder nutzt ihn, zwischendurch beim Fernsehgucken: Wetter, Fußballergebnisse, Prominews, Kochrezepte, manchmal sogar Gewinnspiele. 16 Millionen Deutsche steuern täglich den 1980ern etablierten Bildschirmdienst an, um schnell mit der Fernbedienung Nachrichten, Sport- oder Programminfos abzurufen. An die neue ARD-Videotextseite 770 wird man sich allerdings erst noch gewöhnen müssen. Die sieht anders aus. Nur sechs Farben, dazu schwarz und weiß und eine Pixel-Grafik aus längst vergangenen Zeiten. Für das Internationale Teletextkunstfestival ITAF haben 17 Künstler Pixel-Exponate erstellt. Von Donnerstag an sind die digitalen Kunstwerke einen Monat lang im ARD-Videotextangebot abzurufen. Zudem werden die Werke in der Berliner Galerie Pflüger68 in Neukölln gezeigt.

Zur ARD kam das Festival auf Umwegen. „Wir wurden vor einiger Zeit von Berliner Künstlern angesprochen, die eine Ausstellung zum Thema Michael Jackson gemacht haben. Eines der Kunstwerke war ein Porträt des King of Pop als Videotextgrafik, und wir haben es im ARD-Text gesendet“, sagt Frauke Langguth vom ARD-Text. Im Frühjahr ist Langguth auf eine Ausstellung im Videotext des finnischen Fernsehens gestoßen. „Wir haben dann in Helsinki angefragt, ob wir die Bilder nicht auch im ARD-Text zeigen können.“

Kunst im Teletext, wie soll das gehen? Die Teletextkünstler mussten sich an die technischen Vorgaben des World Standard Teletext halten. Der Teletext nutzt die sogenannte Austastlücke im Sendesignal, um Informationen zu übermitteln. Gerade in dieser Beschränkung liegt die Besonderheit der Arbeiten. „Es gab immer wieder Künstler, die Videotext als Medium gereizt hat. Die engen Vorgaben zwingen sie, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. So können Bilder von ikonografischer Kraft entstehen – so wie das schon Andy Warhol gewusst hat“, sagt Frauke Langguth. Dass Videotext zumeist ohne Bilder auskommt, hat ohnehin eher mit praktischen Gründen zu tun.

Der Kunstwissenschaftler Joachim Sauter, der sich an der UdK Berlin mit dem Lehrgebiet „New Media“ beschäftigt und die digitale Kunst seit 30 Jahren begleitet hat, sieht den Reiz, den der Teletext auf die Künstler ausübt, in einem größeren Zusammenhang. So sei zeitgleich wieder eine Musikszene entstanden, die mit dem 8-bit-Spielesound der 80er Jahre experimentiere. Hinter beiden Entwicklungen steht für Sauter die Sehnsucht nach Kindheitserinnerungen, die bei den heute 25- bis 35-jährigen Künstlern auch mit der Ästhetik der digitalen Anfangsjahre verbunden ist.

Es gebe den Wunsch nach Reduktion in einer Zeit, in der man mit dem Computer alles machen kann. Wo selbst Freundschaften in die Datenwolke wandern, wende sich die Kunst wieder dem Physischen zu.In Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung und hyperrealistischer Welten in Computerspielen und Animationsfilmen fasziniert offensichtlich der Minimalismus des Teletextes. „The road begins from here. Teletext is the future“, formuliert einer der beteiligten Künstler.

Technisch blieb der Videotext in seiner über 30-jährigen Geschichte unverändert. Ein Kurznachrichtendienst, der kompakte Informationen ohen Zeitverlust liefert. Das Medium zwingt die Macher zu einer knappen Darstellungsweise. Grafiken waren ursprünglich gar nicht vorgesehen. Dennoch gibt es in der Geschichte des Videotextes viele Beispiele für informative und auch unterhaltsame Illustrationen. So wurde in der Vergangenheit sogar mit Liveschach auf einem Pixelbrett experimentiert. Auch eine Kamera, die aus Politikerfotos Videotextbilder erstellte, hat es bei der ARD schon gegeben.

Die modernen Teletexte kommen allerdings in der Regel eher nüchtern und textorientiert daher. Der ausgereifte Standard ist aus Sicht der Sender ein großer Vorteil: Auf über 95 Prozent aller TV-Geräte läuft der Videotext, der bei Technik, Funktion und Benutzung keine Hemmschwellen aufbaut.

Kunst für die Zuschauer-Massen also: Das aktuelle Teletextfestival bewegt sich auf den Spuren von Nam June Paik, des 2006 gestorbenen Vaters der Videokunst. Bereits 1963 hatte der aus Südkorea stammende Amerikaner in Paris eine Installation mit zwölf Fernsehgeräten ausgestellt, auf denen verfremdete TV-Bilder zu sehen waren. Für seine Verfremdungen hatte er einen speziellen analogen Synthesizer entwickelt, mit dem er die Fernseh- und Videobilder manipulieren konnte.

Eine andere Kunstrichtung entstand aus der Ästhetik der frühen Computergrafiken, wie sie zu Anfang der 80er Jahre unter anderem mit dem Commodore 64 als einem der ersten bezahlbaren Heimcomputer auf dem TV-Bildschirm dargestellt wurden. Elemente der Teletext-Ästhetik finden sich derzeit an vielen Stellen, auf Hauswänden und in Graffitis, in Videos und Animationsfilmen, auf Webseiten im Internet.

In der Beschränkung auf das Wesentliche liegt nicht nur im Videotext der Reiz. Auch das „Blinkenlight“-Projekt von 2003 war davon geprägt. Hinter den Fenstern im Haus des Lehrers am Berliner Alexanderplatz wurden Baulampen so positioniert, dass auf der Gebäudefassade Bilder mit 144 Pixeln entstehen konnten.

Das Teletextkunstfestival zeigt zugleich, dass die Zeit des Videotextes noch lange nicht abgelaufen ist – trotz der Smartphones und Tablet-PCs, die in die Wohnzimmer Einzug gehalten haben und Web-Informationen auf vielen kleinen Bildschirmen liefern. „Im Videotext aber“, sagt Frauke Langguth, „werden Sie sich nie verlieren wie beim Surfen im Internet.“

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