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Medien: Internet: Die schnellsten Gerüchte der Welt

Das Datum sagt jedem Wissenden genug: Am 11. 9.

Das Datum sagt jedem Wissenden genug: Am 11. 9. 2001 krachten Flugzeuge auf das World Trade Center und das Pentagon. Die Quersumme des Datums ergibt die Zahl 23. Diese Zahl ist dem Geheimbund der Illuminaten heilig und beweist, dass finstere Mächte ihre Hände im Spiel hatten. Der Roman-Autor Robert Wilson hat deren Machenschaften in seinem Werk "Illuminatus" schon vor zwanzig Jahren aufgedeckt. Verschwörungs-Experten sind gefragt, die den Ahnungslosen verraten, welche geheimen Zeichen das Internet uns sendet oder zum Entschlüsseln bereithält.

Im Usenet - einem speziellen Bereich des Internets, der anders als das sonst gewohnte World Wide Web nur aus Textnachrichten besteht und auch nicht mit dem sonst gebräuchlichen Internet-Browser, sondern dem Mail-Programm aufgerufen wird -, aber auch auf vielen normalen Websites blühen die Theorien über das, was wirklich in den USA geschah. Der September ist der siebte römische Monat, die Anfangsbuchstaben für World Trade Center ergeben, nach ihrer Position im Alphabet, addiert mit dem Datum, die Zahl 22. Und diese symbolisiert den "Großen Baumeister der Welten" bei den Freimaurern. Was die Medien berichteten, so sagen die Verschwörungsexperten, war ein Fake - eine Fälschung. Die Terroristen waren nur Marionetten, wie wir alle, die an geheimnisvollen Fäden hängen, die uns und die Ereignisse manipulieren.

Nur gut, dass es im Internet genügend Leute gibt, denen die kleinen Fehler des geheimen Plans auffallen: Zeigt nicht der davoneilende Schatten hinter einem der berstenden Türme zweifelsfei ein nicht identifizierbares Flugobjekt? Zeigt nicht der aufsteigende Qualm aus einem der beiden Twin-Tower eindeutig eine Teufelsfratze? Meldet nicht ein Sender in Beirut, dass - merkwürdig! - 4000 Israelis am Tag der Anschläge nicht an ihren Arbeitsplätzen waren? Warum lassen die Terroristen Flugunterlagen in ihren Mietautos? Vergleicht man die Flugbewegungen minutiös, merkt jeder, dass genug Zeit geblieben wäre, die Maschinen abzufangen. Und ist es nicht bezeichnend, dass das Gebäude der CIA verschont blieb? Es sei doch offensichtlich, diskutiert man in der Newsgroup alt.conspiracy.new-world.order, dass es sich um einen heimtückischen Anschlag der CIA handele, der wieder einmal vorher Bescheid gewusst habe.

Das kennen wir von Pearl Harbor, vom Mord am Präsidenten Kennedy, vom Tod Prinzessin Dianas und vergleichbaren Ereignissen: Man erfährt nie, wie es wirklich war. Nur "sie" wissen es. Und "sie" weihen nur einige wenige ein, die von der Welt verlacht werden, weil sie hinter die Kulissen schauen. Wurden nicht im Zweiten Weltkrieg 188 entschlüsselte Botschaften den Militärs vorenthalten, die vor dem bevorstehenen Angriff der Japaner warnten? Ist nicht mittlerweile bewiesen, dass den Geheimdiensten damals der "Überraschungsangriff" gelegen kam? Wussten die USA nicht schon lange vorher vom Aufmarsch Saddam Husseins gegen Kuwait - und blieben untätig? Und päppelte George W. Bush nicht Osama bin Laden hoch, weil ein Cousin von bin Laden, Salim Ibn Laden, sich von einem schwerreichen Repräsentanten in den USA vertreten ließ, James R. Bath, einem Fliegerkameraden von Bush, der diesem das Startkapital für dessen Ölfirma verschaffte?

Die einschlägigen Internetadressen heißen alt.conspiracy.fbi, alt.conspiracy.jfk, alt.conspiracy.laid.di oder alt.conspiracy.america-at-war - mit vielen Links, die auf passende Fundstellen im World Wide Web verweisen. Es gibt kein Medium, das Gerüchte, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien schneller und effizienter verbreitet als das Internet. Bilder, das stimmt ja, müssen nicht die Realität widerspiegeln. Bilder können manipuliert werden - und in einem Ambiente wirken, das Seriosität suggeriert. Das Internet, besonders die Diskussionsforen, ist nach den Anschlägen zu einem Markplatz der Sensationen geworden, wo die Weltsicht von Exoten und Sonderlingen gleichberechtigt neben den neuesten Agenturmeldungen zu finden ist. Wer nie eine Chance hatte, der Öffentlichkeit zu erklären, wie die Welt in Wahrheit ist, wer sie wirklich regiert und welche geheimen Mächte die Strippen ziehen, der ist hier richtig.

Wie schön wäre es, wenn die Welt ein Ziel hätte! Wenn alle Ereignisse Teil eines womöglich rationalen Plans wären, den es nur zu erforschen und zu erkennen gilt! Wenn es nur des Entschlüsselns geheimer Zeichen bedürfte, um die Wahrheit zu erkennen!

Vor dem Internet-Zeitalter haben uns die geheimen Mächte verstaubte Folianten und kodierte Symbole hinterlassen, als Quelle der verschwörungstheoretischen Inspiration. Jetzt tritt das scheinbar allumfassende Wissen der Menschheit, online verfügbar, an deren Stelle. Es gilt nur noch, die richtigen Websites zu finden, um die Fülle der Zeichen richtig zu ordnen. Das Internet macht, wie Karl Marx schon über den Protestantismus urteilte, alle Pfaffen zu Laien, indem es alle Laien zu Pfaffen macht. Das Internet ist der große Gleichmacher von Gurus, Endzeitpropheten und Wirrköpfen.

Gleichzeitig untermauert das Internet die bekannte erkenntnistheoretische Tatsache, dass jeder nur das wahrnimmt, was das eigene Weltbild bestätigt. Warum sollte der amerikanische Präsident George W. Bush nicht der Antichrist sein? Die Terroranschläge auf New York nicht die Vorboten des Armageddon, von dem die heiligen Bücher ohnehin verkünden? Das Internet produziert, wenn man nur will, alle Bilder und Botschaften, die genau das bestätigen, was man dunkel vermutete. Da helfen auch keine grimmigen Kommentare, derer sich Verschwörungstheoretiker immer gewiss sein müssen.

Natürlich könne Bush nicht der Antichrist sein, argumentiert ein Zyniker in der Newsgroup atl.conspiracy.antichrist. Die Bibel habe schließlich geweissagt, der Antichrist stamme aus Syrien. George W. Bush sei aber bekanntlich in Texas geboren. Außerdem sei der amerikanische Präsident nicht "smart" genug für den Job als Vollstrecker der göttlichen Teleologie. Der Prophet Daniel sage über den Antichristen: "Ein Mund ward ihm gegeben, um große Dinge auszusprechen." Und das sei "clearly not in reference to Bush."

Burkhard Schröder

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