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Internet-Magazin: „Alle Religionen, alle Regionen“

Wie tickt die Migranten-Community? Das mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete „Migazin“ gibt online Antworten.

Herr Senol, Ihr Online-Magazin „Migazin“ hat den renommierten Grimme Online Award gewonnen, in Konkurrenz mit Angeboten des „Spiegels“ und der „Tagesschau“.

Es war eine Riesenüberraschung für uns. Alle anderen verfügten über Geld oder einen großer Verlag. Wir waren in der Kategorie „Information“ das einzige nominierte Projekt, das quasi aus dem Nichts heraus entstanden ist.

Die Grimme-Jury beklagte, in den deutschen Medien kämen Migranten zu wenig zu Wort. Sehen Sie das auch so?

Wir haben das „Migazin“ gegründet, weil uns bestimmte Themen und Meinungen in der Berichterstattung zu wenig vorkamen. Und viele unserer Autoren stellen fest, dass sie mit ihren Themen in den herkömmlichen Medien nicht durchkommen. Wenn doch, wird ihnen der Inhalt vorgegeben. Einige haben davon die Nase voll. Sie sagen: Wenn der Inhalt vorher feststeht, wird kein Autor gebraucht, sondern ein Roboter.

Auf migazin.de geht es nur um Themen zu Migration. Die meisten Autoren haben einen Migrationshintergrund. Sorgt so ein Projekt nicht auch für Abgrenzung?

Nicht wirklich, denn nicht alle unsere Autoren sind Migranten. Selbst unser Koordinator in Berlin hat keinen Migrationshintergrund. Dass wir uns thematisch auf Migrationsthemen beschränken, ist sicherlich richtig, aber das haben Fachmagazine nun einmal so an sich.

Was ist am „Migazin“ anders als an den Online-Angeboten der „Islamischen Zeitung“, des Zentralrats der Muslime oder der Online-Zeitung deutsch-tuerkische-nachrichten.de?

Wir beziehen uns nicht auf eine bestimmte Religion oder Region. Wir wollen nicht nur Geschichten über Türken, sondern für alle Menschen mit Migrationsgeschichte bieten. In den meisten Fragen ticken italienische Einwanderer genauso wie die türkischen oder griechischen. Und Russlanddeutsche haben ähnliche Probleme, wenn es um den Familiennachzug geht.

Welche Themen stehen im Vordergrund?

Die sind so vielfältig wie die Integrationsdebatte selbst. Oft geht es um Bildung, Arbeit oder Einbürgerung, aber auch mal um Sport. Wir schreiben zum Beispiel auch über Vertreter von Pro NRW, die im Polizeidienst tätig sind. Ein Hauptkommissar in Aachen wurde nach unserer Berichterstattung vor kurzem vom Dienst suspendiert. In den Mainstream-Medien ging es zeitgleich um den suspendierten Salafisten bei der Duisburger Polizei. Wenn es neue Studien zu unseren Themen gibt, beschäftigen wir uns intensiv mit ihnen, bevor wir darüber schreiben. Wir versuchen, Themen zu bringen, von denen wir denken, dass sie viele Migranten interessieren. In klassischen Redaktionen ist das anders: Wenn sie überlegen, was ihre Leser interessiert, haben sie nicht in erster Linie Migranten vor Augen.

Leser ohne Migrationshintergrund sind nicht Ihr Zielpublikum?

Doch, wir wollen die Aufnahmegesellschaft erreichen und ihnen die Welt aus der Migrantenperspektive näherbringen. Nach einer Leserbefragung haben 49 Prozent unserer Leser keinen Migrationshintergrund. Sie wollen einfach wissen, was in der Community passiert und wie die Einwanderer ticken. Das ist wie ein Blick durchs Schlüsselloch.

Wie finanzieren Sie migazin.de?

Wir sind vor dreieinhalb Jahren online gegangen und betreiben „Migazin“ immer noch ehrenamtlich. Bis heute gibt es niemanden, der von dem Projekt leben kann. Unsere einzigen Einkünfte sind Werbeeinnahmen und ab und zu geringe Spenden von Lesern. Damit können wir gerade einmal die Unkosten decken.

Die Grimme-Jury meinte, das „Migazin“ baue Klischees ab. Ist die Berichterstattung trotzdem kritisch?

Absolut. Allerdings werden in der Integrationsdebatte häufig Migranten für Dinge kritisiert, für die Integrationspolitiker zuständig sind. Da lenken wir den Blick auf die Verantwortlichen und berichten über Hintergründe und Ursachen. Wir sehen auch nicht eine einzige migrantische Community, sondern differenzieren stark zwischen unterschiedlichen Gruppen und Akteuren. Sicherlich haben wir einen anderen Blick auf die Themen. Allein schon, weil in unserem Team der Migrationshintergrund nicht die Ausnahme ist, sondern die Regel.

Das Interview führte Karin Schädler.

Ekrem Senol ist

Chefredakteur

des „Migazin“.

migazin.de ist vor

dreieinhalb Jahren

online gegangen.

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