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Internet: Runter von den Barrikaden!

Öffentlich-rechtliche Sender und Printverlage können im Netz kooperieren und voneinander profitieren

Medienpolitik gleicht einem Anfallsleiden. Brach es bisher alle vier Jahre in den Debatten über die Erhöhung der Rundfunkgebühren aus, droht das Leiden nun chronisch zu werden. Jeder der im jährlichen Rhythmus zu verabschiedenden Rundfunkstaatsverträge löst neue Attacken aus. Zur Zeit tobt der Kampf um die Präsenz von ARD und ZDF im Internet. Jeder Klick auf öffentlich-rechtlichen Seiten ist ein Klick weniger auf kommerziell betriebenen Plattformen und damit ein Cent weniger in der Bilanz derer, die mit dem Internet Geld verdienen wollen.

Wie viel von den tösenden Verbandskampagnen PR-Rummel ist, wie viel begründete Sorge um die Zukunft der Printbranche – das zu entschlüsseln ist eine Frage der Tiefenpsychologie. Dass die Verlage tatsächlich Grund zur Verunsicherung haben, liegt nicht nur an dem wärmenden Strom von sieben Milliarden Euro Gebühreneinnahmen; auch die Politik, die sich des Medienstandorts Deutschland rühmt, hat viel getan, um den Standort zu schwächen.

Das geltende Kartellrecht, insbesondere die vom Anti-Springer-Furor der sechziger und siebziger Jahre getriebene Pressefusionskontrolle, hat ökonomisch gebotene Übernahmen und Kooperationen blockiert. Das Ergebnis ist niederschmetternd. „Berliner Zeitung“ und ProSiebenSat 1 wurden zur Notschlachtung und zur Verfütterung an Heuschrecken freigegeben. Ökonomisch leistungsfähige Medienunternehmen wie Springer und Holtzbrinck durften nicht den Standort stärken, sondern wurden mit ihren Investitionen ins Ausland gedrängt. Vieles von dem aufgestauten Unmut der Verleger entlädt sich auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich als Prügelknabe immer eignet, denn über das Fernsehen hat jeder was zu meckern.

Statt die Medienpolitik als Vermittler anzurufen, könnten die Bellizisten auf beiden Seiten einen Friedensvertrag zum Nutzen der Bürger und des gesellschaftspolitischen Auftrags aller Medien schließen. Noch verbreiten in Deutschland 354 Tageszeitungen mit 1512 Lokalausgaben und 47 Millionen Lesern, 2450 Publikums- und 3750 Fachzeitschriften (250 Millionen Leser) Fakten und Kommentare tonnenweise. Jeder bessere Zeitungskiosk ist eine Volksuniversität. Und auch in der Fülle der Radio- und Fernsehkanäle findet jeder zu jeder Zeit ein Qualitätsangebot – bis auf den Samstag, da herrscht die Florian-Silbereisen-undHolzhackerbuam-Paranoia.

Verkehrte Welt. Statt die Stärken des Standorts zu nutzen, Kompetenzen zu bündeln und dem Bürger einen Mehrwert an Informations- und Meinungsvielfalt zu bieten, rüsten die einen mit neuen Fernsehkanälen und Online-Portalen auf, die anderen rüsten kampfeslustig mit neuen Verbots-Paragrafen nach. Dabei ist gerade das Internet mit seiner Multimedialität das ideale Medium für ein Bündnis zwischen Presse, Radio und Fernsehen, denn es kombiniert Text, Ton und Bild. Bei kluger redaktioneller Führung ist es ein Orientierungsmedium par excellence.

Bislang ist die Mehrzahl dessen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seinen Portalen bietet, mit Gebührengeldern produziert und auf klassischen Wegen gesendet. Es ist von allen bezahlt. Warum sollte es nicht auf allen Wegen weiterverbreitet werden? Der Auftrag des Public Service, der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorgibt, Diener der Allgemeinheit zu sein, legt nahe, dass das von den finanziellen Beiträgen der Allgemeinheit Produzierte orientiert an der Idee einer Public Domain auch von Verlagen für Ihre Online-Portale genutzt werden könnte.

Statt an Verboten zu feilen, wäre es eher zukunftsweisend, wenn sich alle, die an einem solch neuartigen Kooperationsmodell interessiert sind, über die Abgeltung der Urheberrechte verständigen. Statt über eine Sieben-Tage-Regelung zu sinnieren, nach der Angebote von ARD und ZDF nach Wochenfrist aus dem Netz zu nehmen sind, spricht viel dafür, diese Inhalte auf möglichst vielen Portalen dauerhaft zugänglich zu machen. Je mehr Substanz ein Beitrag hat, desto häufiger wird er über längere Zeiträume nachgefragt. Wer den Bildungsauftrag der Medien ernst nimmt, muss den Kern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Information und Kultur – ohne Einschränkung von der 7-Tage-Frist freistellen. Zur Zeit sind dazu noch Ausnahmegenehmigungen einzuholen, die Bürokraten erfreuen und Journalisten nerven. Das Wort: „Suchet, so werdet Ihr finden“ sollte in den Rundfunkgesetzen nicht ersetzt werden durch die magere Weisheit: „Suchet, so lange Ihr wollt, aber bitte nicht länger als sieben Tage“. Bekanntlich hat der Herrgott die Welt zwar in sieben Tagen erschaffen, aber das Internet erst am achten.

Solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich bis auf die Ausnahme des Deutschlandradios partiell auch durch Werbung und Sponsoring finanziert, dürften öffentlich-rechtliche Angebote auf werbefinanzierten Plattformen von Verlagen keiner Verseuchungsgefahr ausgesetzt sein. Salopp gesagt, sie sind es gewöhnt. Dass ARD, ZDF und Deutschlandradio dabei zu einer Inhalte-Agentur werden, die auch offensiv von privatwirtschaftlich verfassten Medienunternehmen genutzt wird, kann ihren Markencharakter nicht mindern: Als Quelle für inhaltliche Substanz wird ihr Alleinstellungsmerkmal eher gestärkt.

In Großbritannien haben BBC und die kommerziellen Sender ITV und Channel 4 ein gemeinsames Internetportal geschaffen. Gemeinsame Portale von Verlagen, ARD, ZDF und Deutschlandradio könnten die Antwort des Standorts Deutschland auf die Herausforderung globaler Suchmaschinen sein. Der Politik bleibt unter dem Motto „qualitaetsmedien.staerken.de“ die Mammutaufgabe, das verstaubte Medienkartellrecht zu entrümpeln, damit finanzstarke deutsche Medienunternehmen künftig schwächere unterstützen und im Inland investieren dürfen. Die derzeitige Praxis ist Investorenvertreibung und Zwangsverschickung von Medienkompetenz.

Ernst Elitz ist Intendant von Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur und Direktor an der BerlinMediaProfessionalSchool der Freien Universität.

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