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Internet-Wahl: Weg vom Spießer-Image

Experten kritisieren Online-Strategien der Parteien: Wie ein Blick in die „Apothekenumschau“, meint Medienfrau Beate Wedekind. Auch Markus Berger-de León von den VZ-Netzwerken weiß, die Parteien müssen noch viel lernen

Das Internet gehört für Markus Berger-de León zu den klaren Gewinnern des Wahlabends. Bei den Erst- und Jungwählern waren das Internet und die Piratenpartei zwei große Themen des Wahlkampfes 2009, sagte der Chef der VZ-Netzwerke (SchülerVZ, StudiVZ, MeinVZ) am Tag nach der Wahl. Das sei auch außerhalb des Internets zu beobachten gewesen, so am Samstag bei Stefan Raabs Wahlsendung auf Pro Sieben.

Die Wahl 2009 hat aber auch gezeigt, wie weit das Internet noch von einem kompletten Abbild der Gesellschaft entfernt ist. Für Berger-de León ist das ganz natürlich. „Von den 82 Millionen Deutschen hat nur die Hälfte einen Internetanschluss, darunter tendenziell eher der jüngere Teil der Bevölkerung. Dagegen ist der durchschnittliche Wähler 55 Jahre alt.“ Noch etwas anderes kam hinzu. „Speziell die CDU hat einen eher zurückhaltenden Wahlkampf geführt, der nicht unbedingt die Massen mobilisieren sollte“.

Anders als in den USA blieben die deutschen Parteien auf Abstand zum Internet. „Die Politik ist nach wie vor wenig vertraut mit dem Medium. Die Piraten haben es den anderen Parteien vorgemacht, was man mit der Mobilisierung per Internet erreichen kann. Wenn die SPD einen ordentlichen Internetwahlkampf gemacht hätte, hätte sie mindestens so gut sein können wie die Piraten und wäre ihrem Wahlziel 25 Prozent plus näher gekommen“, sagt der Chef der VZ-Netzwerke. Eine gute Nachricht für die Zukunft hat Berger-de León dennoch für die Sozialdemokraten: „Bei unserer Umfrage in SchülerVZ lag die SPD vorn.“

Als Seismograf für die realen Chancen am Wahltag taugen zumindest die Politiker- und Parteienprofile im Internet nur bedingt. In der Wahlzentrale von Studi- VZ und MeinVZ versammelten sich fast 77000 Anhänger hinter der Piratenpartei, so viele wie von CDU, SPD und FDP zusammen. Tatsächlich holten die Piraten bundesweit nur zwei Prozent. Für Berger-de León ist das kein Widerspruch. Zum einen liegen die Piraten in der jungen Zielgruppe bis 24 Jahre bei bis zu neun Prozent. Zudem erinnert der VZ-Chef an die erste Bundestagswahl der Grünen 1980. Da holte die alternative Partei auch nur 1,5 Prozent. „Dass soll jetzt nicht heißen, die Piraten kommen bei der nächsten Wahl in jedem Fall in den Bundestag. Aber ein Trend ist auf jeden Fall da.“

Auch Beate Wedekind, früher „Bunte“-Chefin, heute Bloggerin und Unterstützerin der Bundeskanzlerin Merkel kritisiert den Internetauftritt der CDU. „Die Websites sehen immer noch zu sehr nach ,Apothekenumschau’ aus“, sagt Wedekind. Alle Parteien müssten sich dringend online modernisieren. Merkel selbst sei im Wahlkampf mit ihrer Strategie, nur ein TV-Duell zu machen und ansonsten solo im Fernsehen aufzutreten, richtig gefahren. „So hat sie es selbst in der Hand behalten, ihr Profil in die von ihr gewünschte Richtung zu schärfen“, sagt die PR-Expertin.

Den Wahlsieg von CDU und FDP sieht sie unter gesellschaftlichen Aspekten als großen Durchbruch. „Jetzt werden wir von einer Karrierefrau und einem bekennendem Homosexuellen regiert, beide Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, die vielen Spießern immer noch ein Dorn im Auge sind“, sagt Wedekind. „Dass sie gewählt wurden, zeigt aber, dass sich die Gesellschaft als Ganzes geöffnet hat.“

FDP-Chef Guido Westerwelle und sein Partner Michael Mronz seien zudem ein attraktives, schickes Paar – und auch Merkel habe sich in den vergangenen Jahren „entspießt“ und sei vom Stil her kosmopolitischer geworden. Ihren bunten Jacken zur schwarzen Hose werde die Kanzlerin aber wohl trotzdem treu bleiben. „Merkel ist eine zutiefst unmodische Frau. Sie trägt, was praktisch ist, und Jacketts sind einfach zu kombinieren“, sagt Wedekind. Nur eines solle Merkel modisch vermeiden: sich jetzt ein gelbes Jackett zuzulegen. Sonja Pohlmann/Kurt Sagatz

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