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Interview: "Auftritt mit geringer Haltbarkeit"

Der Merkel-Biograf Gerd Langguth spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über den Auftritt der Kanzlerin bei Anne Will - und die Frage, wann jemand "Medienkanzler" ist.

Herr Langguth, hat sich für die Kanzlerin der Auftritt bei "Anne Will" gelohnt?

Eindeutig ja. Sie ist ihrem persönlichen Stil treu geblieben, war schlagfertig, hat ihre politische Überzeugungen kundgetan, auch mit Humor, und versucht, Führungsstärke zu demonstrieren. Vor allem aber hat sie sich als völlig unaufgeregt gezeigt. Zudem ist sie nicht in die Falle der SPD gelaufen, deren Attacken mit Pauken und Trompeten zurückzuschlagen.

Trotzdem fühlte sie sich herausgefordert.

Zweifellos - durch die Fragen von Anne Will, aber auch von der politischen Situation, von der Kritik, auch der innerparteilichen, die ihr erstmals ernsthaft zu schaffen macht. Bisher war sie eine Kanzlerin im Glück.

Was kann diese Politikerin mit dem Fernsehen erreichen?

Erst einmal zu dem, was sie nicht erreichen kann: Angela Merkel kann nicht mit großem geschichtlichen Impetus die konservativen Seelen in ihrer Partei wärmen. Sie ist keine Geschichtsdeuterin mit großen Visionen, sondern sie macht das, was sie schon in ihrer ersten Regierungserklärung angekündigt hat - eine Politik der "kleinen Schritte". Sie ist eine ideologiefreie Problemlöserin. Das hat bisher ihre Beliebtheit ausgemacht; die Menschen wollen mehrheitlich keine Ideologien, sondern pragmatische Lösungen, auch in Krisenzeiten. Diesen Konsens mit der Bevölkerung hat die Kanzlerin am Sonntagabend wiederherstellen wollen. Sie hat bisher eine große seherische Fähigkeit gezeigt, das Populäre zu erkennen und dem Volk gegenüber zum Ausdruck zu bringen.

Wie lange hält die Wirkung eines solchen Auftritts bei "Anne Will" an?

Die Haltbarkeit solcher Auftritte ist in der heutigen Zeit immer kürzer. Merkel muss es zunächst darauf ankommen, die Abwanderung ihrer Wähler zur FDP zu stoppen. Daher dieser Fernsehauftritt, der Merkel in der Offensive und als Bewahrerin der großen Koalition gezeigt hat, die quasi bis zur letzten Sekunde der Koalition arbeitet. Zudem hat sich ihre Fähigkeit, Kritik an sich abprallen zu lassen, bei "Anne Will" erneut bestätigt.

Müssen wir uns jetzt auf die Fernsehkanzlerin Angela Merkel einstellen?

Sie ist schon jetzt mehr Medienkanzlerin als ihr Vorgänger, weil sie die Medien in ihrer ganzen Breite und Vielfalt einsetzt und weil ihre Nichtinszenierung ihre Inszenierung ist. Anders als Gerhard Schröder würde Angela Merkel ihr mediales Auftrittsfeld nie allein auf "Bild, BamS und Glotze" verengen. Die Frage, ob jemand "Medienkanzler" ist, hängt auch sehr stark damit zusammen, ob sich "die" Medien gegen einen wenden. Das war bei Kanzler Schröder vor allem in der Schlussphase so. Angela Merkel kann immer noch konstatieren, dass ihr ein Großteil der Medien mit Respekt begegnet.

Das Interview führte Joachim Huber.

Gerd Langguth ist Merkel-Biograf und lehrt politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Den Auftritt der Kanzlerin bei "Anne Will" verfolgten 4,17 Millionen Zuschauer.

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