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Freeman Dyson, 90, war Professor am Institute for Advanced Study in Princeton. Der gebürtige Engländer ist Mathematiker, Physiker, Autor („The Sun, The Genome, and the Internet“

© Lumidek/Wikipedia

Interview: „Die Freiheit ist analog“

Das menschliche Hirn leistet mehr als jeder Computer. Weil es nicht digital arbeitet. Also sollte der Mensch machen, was er am besten kann: kreativ sein. Sagt Freeman Dyson, Wissenschaftler an der Universität Princeton und Bewunderer von Edward Snowden. Professor Dyson hielt sich auf Einladung des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik der Humboldt-Universität in Berlin auf und hielt die Helmholtz-Vorlesung zum Thema "Ist das menschliche Gehirn digital oder analog?".

Mister Dyson, Oscar Wilde hat gesagt, Fortschritt sei Verwirklichung von Utopien. Stimmen Sie zu?

Nein. Es ist immer besser, unterwegs zu sein, als anzukommen. Es stimmt, viele Menschen glauben, alles werde gut, wenn wir erst in Utopia ankommen würden. Aber von diesem Traum, das ich ein Trauma nennen würde, sollten sie sich verabschieden: Ein verwirklichtes Utopia wird es nie geben.

Auch kein digitales Utopia?

Es liegt an uns. Wir haben die Wahl, wir können frei entscheiden, was wir mit dieser großartigen Technologie machen wollen. Sie ist billig und sie ist für jedermann verfügbar. Das ist gut für die Entwicklung des Individuums. Und schlecht für Regierungen, die etwas zu verbergen haben. Das Leben für alle, die etwas verbergen wollen, ist schwieriger geworden. Das finde ich gut.

Haben Sie keine Angst vor Datenkraken? Viele Deutsche fürchten sich vor Google, NSA und Co.

Das ist eine reale Gefahr, die wir erkennen müssen. Deshalb bin ich auch ein großer Bewunderer von Edward Snowden. Regierungen lieben es, Geheimnisse zu haben. Wenn man sie ihnen entreißen kann, umso besser.

Was ist Edward Snowden für Sie: Held oder Verräter?

Ein Held. Unbedingt. Ich habe enormen Respekt vor dem, was er getan hat. Und ich bin sehr traurig darüber, dass die US-Regierung es nicht versteht, Herrn Snowden vernünftig zu behandeln.

Würden Sie ihn gerne treffen?

Auf jeden Fall. Ich wäre hocherfreut, einem solchen Mann in die Augen schauen zu dürfen. Wir bräuchten viele Snowdens.

Wir hören da eine gewisse Sympathie für Menschen heraus, die Geheimnisse verraten. Hatten Sie jemals etwas mit Spionen zu tun?

Ich kannte Klaus Fuchs ganz gut. Er war ein Freund und Kollege, der damals wie ich in England arbeitete. Er war ein wirklich erfolgreicher Spion für die Sowjets. Ich habe ihn immer sehr respektiert. Natürlich, er hat meinem Land enormen Schaden zugeführt, aber er hat niemandem persönlich geschadet. Die Russen konnten aufgrund seines Geheimnisverrats die Atombombe zwei Jahre früher bauen, als es ihnen ohne die Erkenntnisse von Fuchs möglich gewesen wäre. Auf lange Sicht gesehen war es keine so schlechte Tat. Das Gleichgewicht wurde früher erreicht, das verminderte die Gefahr eines Krieges. Die meisten meiner Freunde halten Klaus Fuchs immer noch für das personifizierte Böse. Ich nicht.

Mit andern Worten: Sie mögen Spione. Und halten sie für nützlich.

Ich habe viel übrig für die Idee, Geheimnisse, und insbesondere Staatsgeheimnisse, öffentlich zu machen. Wenn jemand spioniert, um die Welt friedlicher zu machen, dann bin ich dafür.

Gehören Sie auch zu den Menschen, die ihre Computer mehr lieben als ihre Freunde?

Ich gebe zu, in gewisser Weise ja. Mir geht es da nicht viel anders als den meisten Menschen heute. Man gewöhnt sich sehr schnell an Computer. Sehen Sie sich nur all die jungen Menschen an, die mit ihren Handys geradezu verwachsen zu sein scheinen. Da lauert eine Gefahr, das ist wahr. Ich zum Beispiel habe Freunde in der ganzen Welt, mit denen ich täglich chatte. Aber meine direkten Nachbarn kenne ich nicht. Das ist schon merkwürdig.

Sie machen einen Unterschied zwischen analog und digital, wenn es um das menschliche Hirn geht. Sie sagen, das menschliche Hirn arbeite analog, nicht digital. Haben Sie Beweise für Ihre These?

Noch nicht. Aber es gibt Hinweise. Dass die sogenannte künstliche Intelligenz ihre Grenzen hat, das steht fest. Als vor 60 oder 70 Jahren die Entwicklung computergesteuerter Systeme begann, dachte man, dass der Computer irgendwann das Niveau des menschlichen Gehirns erreichen werde. Alles nur eine Frage der Zeit. Gewaltige Summen wurden investiert. Aber erreicht wurde nichts. Automatisch gesteuerte Prozesse wurden verbessert, das ist wahr, aber das ist im Grunde Mechanik. Mit dem, was das menschliche Hirn zu leisten imstande ist, hat das nichts zu tun.

Hat die Wissenschaft vom menschlichen Hirn in den letzten Jahren nicht Unglaubliches geleistet?

Natürlich, wir haben viel dazugelernt. Aber wenn es darum geht, wie das menschliche Hirn wirklich funktioniert, stochern wir immer noch im Nebel. Wir sind Lichtjahre davon entfernt, eine Maschine entwickeln zu können, die leisten könnte, was das menschliche Hirn vermag. Wenn es überhaupt jemals dazu kommen sollte.

Werden wir jemals wissen, wie unser Hirn funktioniert?

Wir werden abwarten müssen. Ich glaube allerdings, dass es früher oder später dazu kommen wird.

Warum ist es sinnvoll, die Geheimnisse des menschlichen Hirns zu entschlüsseln? Was bringt uns das?

Wir hätten dann ganz andere Möglichkeiten. Zum Beispiel Maschinen zu bauen, bei denen dann tatsächlich von künstlicher Intelligenz gesprochen werden könnte. Das liegt, wie gesagt, noch in weiter Zukunft. Aber dass die Zeit kommen wird, das steht für mich fest.

Wie nützlich ist die Digitalisierung unsere Lebenswelt? Ist sie gut oder schlecht?

Rein praktisch gesehen macht sie möglich, dass alles immer billiger wird. Norbert Wiener, ein Mathematiker aus den USA, hat schon vor 70 Jahren über dieses Thema geforscht. Wiener hat 1950 ein Buch veröffentlich, in dem es darum ging, dass immer mehr menschliche Arbeit von Maschinen übernommen würde – und was daraus folge.

Und das wäre?

Wiener sagte zum Beispiel, dass derjenige, der mit einem Sklaven im Wettbewerb stünde, über kurz oder lang selbst zum Sklaven werden müsse. Ein Sklave arbeitet umsonst, also werden auch Sie, auch wenn Sie kein Sklave sein sollten, für (fast) umsonst arbeiten müssen, wenn Sie bestehen wollen. Die Digitalisierung führt also in letzter Konsequenz dazu, dass die Maschinen alle Arbeit machen werden, weil sie nicht nur rund um die Uhr arbeiten können, ohne jemals zu ermüden, sondern dazu auch noch konkurrenzlos billig sind. Die Menschen werden sich nach etwas anderem als Arbeit umsehen müssen.

Das klingt ja eigentlich nicht schlecht. Erleben wir gerade eine Revolution?

Revolution ist vielleicht etwas zu stark. Aber wir befinden uns ganz sicher in einem revolutionären Prozess, dessen Ende und Ausgang noch nicht abzusehen ist.

Welche Chancen hat das Analoge, also der Mensch, gegen das Digitale, also die Maschine?

Wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch kein digitales Wesen ist, dann erkennen wir, das sein analoges Denken ihm Welten eröffnet und Fähigkeiten verleiht, die eine Maschine nie erreichen wird. Denken Sie an bildende Kunst, Literatur, Musik. Das alles kann der Mensch. Die Maschine kann es nicht. Und wird es, wahrscheinlich, auch nie können. Aber ganz sicher können wir uns da nicht sein. Wie schon gesagt, es ist ein offener Prozess mit offenem Ausgang.

Lassen wir die Maschinen die Arbeit machen, widmen wir uns der Kunst! Eine herrliche Vorstellung.

Das wäre sehr zu wünschen. Ich könnte auch sehr gut damit leben.

Sie sagen also: keine Angst vor der Digitalisierung. Sie ist unser Freund, unser Helfer, unser Türöffner in eine bessere Zukunft!

Der Mensch sollte die Arbeit machen, die er am besten kann: kreativ sein. Das menschliche Hirn ist zu Dingen fähig, die kein Computer vermag. Nutzen wir dieses Potenzial, nutzen wir unsere Fähigkeiten – dafür plädiere ich mit größtem Nachdruck.

Es werden zurzeit immer mehr Supercomputer entwickelt mit angeblich fantastischen Fähigkeiten. Was kommt da auf uns zu?

Ach, dumme Maschinen, die nur für dumme Zwecke genutzt werden. Datensammeln zum Beispiel. Das führt nirgendwohin.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

Freeman Dyson, 90, war Professor am Institute for Advanced Study in Princeton. Der gebürtige Engländer ist Mathematiker, Physiker, Autor („The Sun, The Genome, and the Internet“)

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